Gemäss einem Bericht der Financial Times zufolge überdenken immer mehr deutsche Mittelständler das langjährige Tabu, den Rüstungssektor zu beliefern. Dieser Wandel könnte sich positiv auf die Unternehmen im Bereich Fertigung und Ingenieurwesen auswirken, denn sie werden seit geraumer Zeit vom schwachen Wirtschaftsumfeld geplagt.
Der Motorenhersteller Deutz verzeichnete kürzlich einen Anstieg seiner Aktien um mehr als 20 Prozent, nachdem er Pläne angekündigt hatte, neben seinen zivilen Geschäftsbereichen auch Panzermotoren zu bauen. Deutz ist ein Zulieferbetrieb im zyklischen Automobilsektor. Die Gewinnmargen unterliegen hohen Schwankungen, während das Gewinnpotenzial aufgrund des Geschäftsmodells eines Zulieferbetriebs gedeckelt ist. Die Aktien von Deutz befinden sich seit 20 Jahren in einer Seitwärtsbewegung von etwa 3 Euro bis 8 Euro. Ausnahme ist das Rekordhoch vom 22. Januar 2007 bei 12,17 Euro.
Kursentwicklung von Deutz (in Euro).
Für Unternehmen wie Deutz ist die Erschliessung eines neuen Geschäftsbereichs (Verteidigung), der sich fundamental gegenüber den Eigenschaften des existierenden Geschäftsfeldes (Automobil) unterscheidet, positiv zu bewerten. Vorteilhaft sind besonders die Stabilität und Visibilität der Verteidigungsausgaben und -budgets.
Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte kurz nach Moskaus Invasion einen 100-Milliarden-Euro-Fonds zur Stärkung der deutschen Verteidigung an. Weiter plant Deutschland eine Panzerbrigade nach Litauen zu entsenden – die erste dauerhafte Stationierung von Militärpersonal im Ausland in der modernen Geschichte des Landes – und führt eine begrenzte Form des Wehrdienstes wieder ein. Für Unternehmen auf der Suche nach stabilen Einnahmen sind diese politischen Entscheide willkommene Neuigkeiten.
Eine Zeitenwende der anderen Art
Viele deutsche Unternehmen haben sich aufgrund der früheren Zusammenarbeit mit dem Nazi-Regime bisher vom Verteidigungssektor distanziert. Doch seit Februar 2022 nehmen wichtige Akteure der deutschen Ingenieurlieferkette, wie der Laserhersteller Trumpf oder das Komponentenunternehmen Hawe Hydraulik, Verteidigungsaufträge ins Visier.
Cathryn Clüver Ashbrook, Politikwissenschaftlerin und ehemalige Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sagte gegenüber der Financial Times, dass sich die Einstellungen gegenüber dem Verteidigungssektor rasch verändert haben: «Nach drei Jahren Krieg auf dem europäischen Kontinent und erheblichen wirtschaftlichen Verlusten scheint Deutschland vor einem historischen Wandel zu stehen».
Eine Umfrage von PwC Deutschland in diesem Jahr ergab, dass fast 70 Prozent der Befragten eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben unterstützen. «Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat definitiv das Bewusstsein in unserer Gesellschaft dafür geschärft, dass Freiheit gegebenenfalls militärisch verteidigt werden muss», sagte das Unternehmen Daimler Truck in einer Mitteilung. Der weltgrösste Hersteller von Nutzfahrzeugen gab kürzlich bekannt, einen Vertrag zur Lieferung von 1’500 Lastwagen an das kanadische Militär vereinbart zu haben.
Karl Haeusgen, Vorsitzender von Hawe Hydraulik sagte, dass Russlands Invasion und der anschliessende Druck die europäischen Militärausgaben zu erhöhen das Stigma um den Verteidigungssektor verringerten. «Die Verteidigungslieferkette hat jetzt ein völlig anderes Image als vor drei oder vier Jahren», erklärte er.
Hawe Hydraulik hob das Verbot von Verteidigungsaufträgen im Jahr 2022 auf. Bis dahin hat das Unternehmen keine Lieferungen an den Verteidigungssektor getätigt. Jetzt beurteilt ein Ausschuss auf Vorstandsebene die Aufträge für seine Ventile und Pumpen, die für die Verwendung zu militärischen Zwecken dienen.
Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft
Dieser Wandel kommt inmitten einer schwächelnden deutschen Wirtschaft aufgrund nachlassender Nachfrage aus China. Im Gegensatz zum boomenden Verteidigungssektor musste die deutsche Automobilindustrie erhebliche Stellenkürzungen ankündigen. Der Übergang zu Elektrofahrzeugen und der zunehmende Konkurrenzdruck durch die chinesischen Produzenten bereiten den deutschen OEM- und Zulieferbetrieben Schwierigkeiten.
Deutschland erlebt momentan das Gegenteil der Situation in Europa nach dem Kalten Krieg. Damals mussten Unternehmen militärische Produktionsanlagen für die zivile Nutzung umwandeln, erklärte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. «Jetzt wird darüber nachgedacht, wie man zivile Produktionskapazitäten, Technologien und Verfahren effizienter für den militärischen Bereich nutzen kann», fügte er hinzu.
Continental, ein führender Automobilzulieferer mit 200’000 Mitarbeitern, hat bedeutende Stellenkürzungen angekündigt und kürzlich ein Programm gestartet, um Hunderte seiner Mitarbeiter zum deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall zu transferieren. Peter Sebastian Krause, Vorstandsmitglied bei Rheinmetall, sagte kürzlich, dass die Continental-Mitarbeiter «hochwertige» Fähigkeiten in das Unternehmen einbringen würden.
Der Laserhersteller Trumpf erwägt ebenfalls, das Lieferverbot an den Verteidigungssektor aufzuheben. Die deutschen Behörden klassifizieren die Trumpf-Laser als «Dual-Use». Das heisst, dass sie sowohl für zivile als auch militärische Anwendungen in Frage kommen. Gemäss Hagen Zimer, Leiter der Laserabteilung des Unternehmens, haben bereits einige Rüstungsunternehmen Interesse an den Trumpf-Lasern gezeigt. Im Interview mit der Financial Times betonte er die defensiven Fähigkeiten des Lasers und meinte, dass es ohne Laser-Technologie «einfach nicht möglich ist, sich gegen einen mehrgleisigen Angriff von 200 Drohnen zu verteidigen».
Lufthansa Technik, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Airline-Gruppe, hat im letzten Jahr eine Sparte zur Wartung militärischer Flugzeuge gegründet. Diese Einheit, die Deutschlands Chinook-Hubschrauber und F-35-Kampfflugzeuge warten soll, ist zu einer schnell wachsenden Geschäftslinie geworden.
«2019 haben wir basierend auf unserer Beziehung zur deutschen Regierung beschlossen, einen grösseren Schritt in den Verteidigungsbereich zu machen», sagte Michael von Puttkamer, Vorstand der Lufthansa Technik, und fügte hinzu, dass der 100-Milliarden-Euro-Fonds «eine Gelegenheit sei, vertieft in die Branche einzusteigen». Er glaubt, dass der Einstieg in den Verteidigungsbereich nicht nur eine lukrative Geschäftsmöglichkeit ist, sondern auch die deutschen Streitkräfte dabei unterstützen soll, das Land verteidigen zu können.
Besonders bei Lufthansa sind Impulse gefragt. Der Aktienkurs befindet sich auf den Kursniveau von 1994 und hat seit März 2023 knapp 45 Prozent an Wert verloren. Das Vorhaben, vertieft in die Rüstungsindustrie einzusteigen, ist Teil eines umfangreichen Wachstumsprogramms und soll dazu beitragen, einen Konzernumsatz von mehr als 10 Milliarden Euro zu erreichen. Zwar ist Lufthansa Technik für nur 20 Prozent des Konzernumsatzes verantwortlich, eine gewisse Umsatzdiversifikation und gleichzeitigige Erschliessung von Wachstumsmärkten ist zu begrüssen.
Kursentwicklung der Lufthansa-Aktien (in Euro).
Susanne Wiegand, CEO des Panzerteileherstellers Renk, betonte die wachsenden «Synergien» zwischen den zivilen und militärischen Fertigungssektoren in Deutschland, die beiden Seiten zugutekommen könnten. «Es ist eine grossartige Möglichkeit, Technologie weiterzuentwickeln. Innovationen kommen aus der militärischen Welt und finden ihren Weg in zivile Anwendungen und umgekehrt», sagte sie.
Der Augsburger Rüstungszulieferer hat das Momentum im Rüstungssektor und an den Finanzmärkten genutzt, um sich an der Deutschen Börse kotieren zu lassen. In den zwei Monaten nach dem IPO im Februar dieses Jahres haben die Valoren von Renk um knapp 130 Prozent zugelegt. Derzeit befinden sich die Valoren noch 53 Prozent über dem Ausgabepreis, wobei das Kurspotenzial gegenüber dem derzeitigen Kursniveau gemäss Analystenkonsens 21 Prozent beträgt. Die Hälfte der Analysten bewertet das Unternehmen mit einer Kaufempfehlung, die andere Hälfte empfiehlt ein «Halten».
RENK Group I
1 Kommentar
Einerseits erlebt Deutschland eine durch die Politik (Klima, Energie, Lieferkettengesetz u.v.m.) verursachte rasante Deindustrialisierung. Gem. Cash 210624 hat Deutschlands Chemie in den letzten beiden Jahren 23% ihrer Produktion verloren. Viele für die Rüstung notwendigen Grundprodukte wie Salpetersäure, Stahl, Aluminium werden immer weniger in D hergestellt. Andererseits gibt es eine starke Nachfrage nach Rüstungsgütern.
Die Nachfrage nach Rüstungsgütern wird vielen Industrieunternehmen helfen, kann jedoch den Trend der Deindustrialisierung nicht umkehren.
Die Kapazität der deutschen Rüstungsunternehmen beträgt nur einen Bruchteil derjenigen im Kalten Krieg.
Ein grösserer Teil der Wertschöpfung der Rüstungsgüter wird importiert. Die Abhängigkeit von vielen Staaten nimmt zu.