cash: Herr Gitzel, die Schweizerische Nationalbank hat den Leitzins um 25 Basispunkte auf 1 Prozent gesenkt. Was hat die SNB davon abgehalten, den Zins um 50 Basispunkte zu senken, wie dies zunehmend an den Märkten erwartet worden war?

Thomas Gitzel: Ja, das wäre eine Option gewesen, vor allem weil die bedingte Inflationsprognose für die kommenden Jahr so deutlich nach unten genommen wurde. Die SNB hat sich stattdessen für einen anderen Weg entschieden und die Kommunikation angepasst. Die Währungshüter wurden für ihre Verhältnisse ungewöhnlich deutlich, was den weiteren Zinspfad anbelangt. Während die Zinssenkung erwartet worden war, erstaunt dann doch die verhältnismässig klare Aussage bezüglich der kommenden Zinssitzungen: In den nächsten Quartalen könnten weitere Zinssenkungen erforderlich werden, heisst es in der Medienmitteilung. Diese klare Kommunikation hinsichtlich des weiteren Zinspfades ist einer grossen Zinssenkung ebenbürtig. Dies ist beinahe eine "Forward Guidance", was es so in den vergangenen Jahren bei der SNB nicht gegeben hat.

Mit welchen SNB-Zinsschritten rechnen Sie bei der SNB weiter?

Die SNB wird auf ihren kommenden zwei geldpolitischen Lagebeurteilungen den Leitzins um jeweils 25 Basispunkte reduzieren. Das würde bedeuten, dass wir im März 2025 bei einem Leitzins von 0,5 Prozent stünden. Sollte auch bei der Lagebeurteilung im März ein anhaltender rückläufiger Inflationstrend diagnostiziert werden, ist selbst ein Nullzinsniveau nicht auszuschliessen. So ähnlich wurde es heute auch von Thomas Jordan und Martin Schlegel auf der Medienkonferenz kommentiert. Ein Leitzins von 0 Prozent ist aber bislang nicht mein Hauptszenario, sondern bei 0,5 Prozent sollte aus heutiger Sicht Schluss sein.

Die Unsicherheit bei der Entwicklung der Inflation sei hoch, sagt die SNB. Sind Sie gleicher Meinung?

Ja, sicherlich, die Unsicherheit bei der Inflation ist immer hoch. Mit Blick auf die kommenden Monate würde ich aber eher sagen, dass die Unsicherheiten bei der eidgenössischen Inflationsentwicklung eher gering ausgeprägt sind: Die Inflationsraten werden vermutlich im Rückwärtsgang bleiben. Der Hauptgrund ist schnell identifiziert - der starke Franken. Die starke Währung vergünstigt importierte Waren und drückt somit die Inflationsraten nach unten.

Mit welcher Entwicklung des Frankens zum Euro rechnen Sie in den nächsten Wochen? Wo steht das Währungspaar Ende Jahr?

Ich rechne damit, dass der Franken wieder leicht oberhalb der Marke von 0,95 liegen wird. Wir können seit Jahresbeginn eine hohe Korrelation zwischen dem Dollar-Franken- und dem Euro-Franken-Wechselkurs feststellen. Und dabei spielte die Musik auf der Dollar-Seite. Aufgrund der von der Fed in Aussicht gestellten Zinssenkungen gab der Greenback in den vergangenen Wochen breitflächig nach - eben auch gegenüber der eidgenössischen Valuta. Der Dollar verlor gegenüber dem Franken seit den Frühjahrsmonaten in der Spitze um satte 9 Prozent. Da gleichzeitig der Dollar gegenüber dem Euro im gleichen Zeitraum um lediglich etwas mehr als 5 Prozent nachgab, stellte sich im Ergebnis ein stärkerer Franken gegenüber dem Euro ein. Wir rechnen damit, dass der Dollar wieder etwas stärker wird und sich damit die Entwicklung in ihr Gegenteil verkehrt, folglich dürfte der Franken gegenüber dem Euro zumindest etwas abgeben.

Das Zinsniveau bei der SNB steht bei 1 Prozent, die SNB will weiter senken. Sind Negativzinsen unter Umständen wieder möglich?

Meine persönliche Meinung ist, dass Negativzinsen ein Experiment waren, das scheiterte. Die Schäden des Negativzinses waren grösser als der Nutzen. Deshalb rechne ich nicht damit, dass wir erneut Negativzinsen erhalten werden.

Welche andere Mittel hätte die SNB, statt Negativzinsen einzuführen?

Die SNB müsste wieder an den Devisenmärkten intervenieren, also wieder in den Modus einer ultra-expansiven Geldpolitik schalten.

Wie beurteilen Sie die Leistung von Thomas Jordan, der nach über zwölf Jahren als SNB-Präsident abtritt?

Thomas Jordan hat die Schweiz durch unruhige Zeiten geführt, ohne dass das Land grösseren Schaden genommen hat. Thomas Jordan hat Preisstabilität gewährleistet. Seine Verdienste sind deshalb unbestritten. Gleichwohl hinterlässt er seinem Nachfolger eine aufgeblähte Notenbankbilanz. Letzteres ist ein nicht unerhebliches Risiko. Doch insgesamt gilt: Thomas Jordan wird uns als guter und verlässlicher Notenbankpräsident in Erinnerung bleiben.

Was kann sein Nachfolger Martin Schlegel besser machen?

Martin Schlegel kann die Kommunikation verbessern. Die SNB überraschte in der Vergangenheit mehrfach und löste damit oftmals deutliche Wechselkursschwankungen aus. Erinnert sei an die überraschende Aufhebung des Mindestwechselkurses im Januar 2015. Auch die Zinssenkung im März dieses Jahres war eine Überraschung. Die SNB und damit Martin Schlegel haben also noch Verbesserungspotenzial bei der Transparenz.

Daniel Hügli
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