Die Ernennung eines neuen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank könnte eine Steilvorlage für die Schweiz sein, grundlegende Reformen umzusetzen. Der Abschied von Thomas Jordan im September böte einen natürlichen Anlass, Reformen in der konservativen Institution anzugehen. Doch die Mehrheit der Parlamentarier in Bern, die es in der Hand hätte, zeigt wenig Interesse.
«Eine Reform wird sicher nicht vorgeschlagen», sagt Thomas Aeschi, Fraktionsvorsitzender der Schweizerischen Volkspartei — der grössten Fraktion im Parlament. Seine Parteikollegen vertrauen der derzeitigen Führung, wollen die Unabhängigkeit der SNB schützen, und werden jeden Reformvorstoss der Opposition blockieren, so Aeschi.
Der Ruf der Unfehlbarkeit der Nationalbank spiegelt ihre Leistungen im Bereich der Preisstabilität und ihre Rolle als Hüterin des Frankens wider, dessen Status als weltweit bedeutende Währung der kleinen Schweiz überproportionalen Einfluss verleiht.
«Die gute Erfolgsbilanz Jordans in Bezug auf die Inflation hat die SNB gegen Kritik abgeschirmt», sagt Yvan Lengwiler, Professor an der Universität Basel und Mitglied einer Gruppe von Ökonomen, die sich «SNB Observatory» nennt. «Die Unabhängigkeit einer Zentralbank setzt voraus, dass sie Rechenschaft ablegt — und das ist bei der SNB nicht der Fall.»
Im Laufe der Jahre konnte die SNB dank ihrer Erfolge jegliche Kritik beiseite wischen — von den negativen Zinssätzen über die Verwaltung der Währungsreserven in Höhe von Hunderten Milliarden Franken bis hin zu ihrer Weigerung, Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen, und zu Vorwürfen, weibliche Mitarbeiter würden schikaniert und bei der Bezahlung diskriminiert.
Die Arbeitsatmosphäre in der SNB stand zum Beispiel im Jahr 2020 in der Kritik, als Berichte über die Behandlung von weiblichen Mitarbeitern aufkamen. Eine interne Untersuchung ergab zwar nur sehr wenige derartige Fälle, aber die Bilanz der SNB bei der Einstellung und Beförderung von Frauen ist im internationalen Vergleich schwach.
Das Ausscheiden von Andréa Maechler, der einzigen Frau, die jemals in der Schweiz über die Leitzinsen mitentschieden hat, verstärkte im vergangenen Jahr den Eindruck einer Institution, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Sie wechselte zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und nahm dort ein womöglich niedrigeres Gehalt in Kauf, nachdem ein jüngerer Mann, der seine gesamte Karriere bei der SNB verbracht hatte, ihr als Jordan-Stellvertreter vorgezogen wurde.
In einer ausführlichen Antwort auf eine Anfrage von Bloomberg wies die SNB die Vorwürfe mangelnder Rechenschaft und Transparenz, unzureichender Aufsicht und fehlender Frauenförderung umfassend zurück. Auch dass man die globale Finanzwelt durch die 2015 beschlossene Aufhebung der Frankenobergrenze vor den Kopf gestossen habe, treffe nicht zu.
«Die bestehende Governance der SNB hat sich als wirksam erwiesen», so die SNB. «Dies zeigt sich insbesondere in den Erfahrungen der letzten 15 Jahre, in denen die SNB ihr Mandat trotz immer wieder auftretender aussergewöhnlicher externer Störungen optimal erfüllen konnte.»
Die SNB, deren vierteljährliche Zinsentscheidung am Donnerstag ansteht, fand schon immer, dass sie selbst am besten weiss, was sie tut. Ihr neoklassizistischer Hauptsitz ist ein Jahrhundert alt. Ihre interne Organisation, einschliesslich des dreiköpfigen Direktoriums, stammt aus dem Jahr 1907. Ihr geldpolitisches Ziel — Inflation zwischen Null und 2 Prozent — gilt seit der Jahrtausendwende unverändert.
Im Gegensatz zu anderen Notenbanken werden abweichende Meinungen nicht öffentlich geäussert — eine Praxis, die in der Schweiz zwar auch in anderen öffentlichen Einrichtungen üblich ist, die aber auch den Eindruck mangelnder interner Debatte vermittelt.
Trotz all ihrer möglichen Fehler kann die Zentralbank aber plausibel behaupten, in ihren Kernaufgaben erfolgreich zu sein. Die Inflation in der Schweiz erreichte 2022 mit 3,5 Prozent ihren Höchststand, weniger als anderswo, und Jordan nennt die langfristige Preisstabilität als seinen grössten Erfolg.
Sogar die Entscheidung der Zentralbank im Jahr 2015, die Obergrenze für den Franken aufzugeben, mit der sich das Land aufgrund der weltweiten Marktturbulenzen keine Freunde gemacht hat, wurde mit Lob bedacht. Ihre Währungsinterventionen haben zwar die Bilanz der SNB aufgebläht, schützten aber auch die heimische Wirtschaft.
«Diese Entscheidung war hart, aber gut», sagte Ipek Ozkardeskaya, Analystin bei Swissquote in Genf. «Sie haben einen guten Job gemacht.»
Selbst der Kritik für den Beinahe-Zusammenbruch der Credit Suisse im vergangenen Jahr konnte die SNB grösstenteils entgehen. Die Episode ist zwar ein peinlicher Makel für den Finanzplatz Schweiz — nicht zuletzt weil jetzt eine einzige Megabank dominiert —, sie wird aber weit mehr der Finanzaufsicht Finma angelastet.
Lengwiler und seine Kollegen vom SNB-Observatory sind seit langem Kritiker der Nationalbank. Nur drei Tage nach Jordans Rücktritt forderten sie die Schweiz auf, die Gunst der Stunde zu nutzen und den Wandel in der Zentralbank voranzutreiben.
Neben der Forderung, dass ein Externer in das Direktorium berufen werden sollte, und der Kritik an der Ineffektivität des Bankrats, der die SNB beaufsichtigt, empfahlen sie eine Reihe von Reformen, darunter die Überprüfung der Art und Weise, wie die SNB geldpolitische Entscheidungen trifft, die Förderung von mehr Frauen und die Einführung regelmässigerer Überprüfungen ihrer Aktivitäten.
Ob und inwieweit solche Änderungen gerechtfertigt wären, wird in der Schweiz nicht wirklich diskutiert, und öffentlich äussert die Regierung niemals Kritik an der SNB.
Ob das auch hinter den Kulissen der Fall ist, daran liess zuletzt die Ernennung von Antoine Martin als Maechlers Nachfolger Zweifel aufkommen. Der von der Federal Reserve kommende Externe wurde gegenüber möglichen internen Kandidaten vorgezogen, während in den Medien Jordans Macht kritisiert wurde.
Rudolf Strahm, ein ehemaliger sozialdemokratischer Nationalrat, geht davon aus, dass es für eine mögliche Reform auf die Unterstützung der Nationalbank selbst ankommen wird. «Es ist unwahrscheinlich, dass Bundesrat und Parlament eine Reform der SNB gegen den Willen der Nationalbank durchdrücken», sagte er. «Die SNB muss mithelfen.»
Die Wahl von Jordans Nachfolger könnte dabei von entscheidender Bedeutung sein. Angesichts der bisherigen Praxis ist Vizepräsident Martin Schlegel der offensichtliche Kandidat. Aber auch Maechler wäre als Nachfolgerin und erste weibliche Präsidentin denkbar.
Wer auch immer den Job bekommt, Ozkardeskaya von Swissquote weist auf die grosse Vorsicht hin, die in der Schweiz dominiert. Während die Nachfolge im Präsidentenamt zweifellos eine Veränderung darstellt, gibt es ihrer Meinung nach sonst kaum einen Anstoss, etwas zu tun.
«Veränderungen sind in diesem Land schwer zu erreichen», sagt sie. «Die Schweizerinnen und Schweizer mögen den Status quo.»
(Bloomberg)
2 Kommentare
Weshalb Reformen? Nur damit ein weiteres Problem geschaffen werden kann? Das Parlament hätte mehr als genug Arbeit seine unerledigten Pendenzen endlich auf- bzw. abzuarbeiten und zwar ausnahmesweise einmal in qualitiv guter Arbeit. Da wäre die Finanzierung der 13. AHV-Rente (weil vorher zu faul für einen Gegenvorschlag), die Privatisierung des Strommarktes endlich fertig machen, Staats- bzw. Kantonalbanken die Staatsgarantie verbieten, Privatisierung Swisscom (die unternehmerische Leistung der Ruag lässt grüssen), etc.etc.
Aber es ist wohl einfacher, etwas kaputt zu reformieren das funktioniert als selbst mal etwas positives zu erarbeiten! Also, Hände weg von der SNB!
An etwas nicht herumzuwerkeln, dass bis auf wenige Punkte bis anhin ganz gut funktioniert hat, muss nichts Schlechtes sein.
Als Vater von drei Kindern habe ich noch gut die ständigen Schulreformen im Gedächtnis, die nur wenig wirklich Gutes gebracht haben, jedoch leider auch viel Schlechtes.
Kein Wunder also, will da nicht wirklich jemand herangehen und etwas an der SNB ändern. Also bleibt es wohl beim „Never change a running system", auch wenn es keine Garantie gibt, dass etwas, was bis anhin funktioniert hat, es auch in Zukunft tut.