cash.ch: Die Börsen haben am Montag mit Verlusten auf den internationalen Handelsstreit reagiert. Wie gross, schätzen Sie, dürfte der Schaden mittel- bis langfristig sein?
Thomas Stucki: Die Reaktion der Märkte ist klassisch. Aktien verlieren, Zinsen sinken, der Franken wird zum Euro stärker. Das Ausmass dieser Reaktion ist aber bescheiden. Das zeigt, dass man die wirtschaftlichen Auswirkungen momentan noch nicht kennt. Niemand weiss, ob die USA ihre Zollpolitik wieder anpassen, zurückfahren oder sogar auf Europa ausweiten. Zudem haben sich die Unternehmen auf die neue Situation vorbereitet und die Lager mit Zwischenprodukten gefüllt, auf denen noch kein Zoll lastet. Erst, wenn die Lager abgebaut sind, wird es richtig weh tun. Die genauen Folgen sind aber noch schwer abschätzbar.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die USA unter Präsident Donald Trump auch gegenüber Europa und besonders gegenüber der Schweiz die Zollschranken hochziehen?
Die Wahrscheinlichkeit ist sicherlich grösser als null. Ich glaube aber, dass die Schweiz etwas unter dem Radar der USA fliegt. Die Trump-Administration wird zuerst die Europäische Union ins Visier nehmen. Und dann würde ich davon ausgehen, dass die Schweiz eigentlich vergessen geht. Zudem: Es geht der US-Regierung vor allem um Güter, die man öffentlichkeitswirksam ausschlachten kann - um Autos zum Beispiel. Diesbezüglich gibt etwa die Luxusgüterindustrie wenig her.
Welche Unternehmen sind besonders betroffen?
Die grossen Unternehmen können besser mit den Zöllen umgehen als KMU. Weil sie schon in diversen Märkten produzieren, finden sie eher Umgehungswege. Statt von China aus exportieren sie von Vietnam aus nach Amerika. KMU haben diese Möglichkeit meistens nicht. Und wenn wir wieder auf die Börsen zurückkommen: Da sind üblicherweise die grossen Firmen kotiert, nicht die KMU. Von dem her wird die Auswirkung auf die Börsen nicht so gravierend sein - solange nicht eine Rezession aufkommt.
Denken Sie, dass eine Rezession wahrscheinlich ist?
Es ist schwierig zu sagen. Was, wenn die amerikanische Regierung bemerkt, dass aufgrund der Zölle die Inflation in den USA steigt, das Wachstum fällt, die Menschen unzufrieden werden - wird sie dann nach dem Motto «Augen zu und durch» handeln oder kalte Füsse bekommen? Das kann man aus heutiger Sicht kaum beurteilen.
Klarer ist, dass die Turbulenzen an den Märkten zunehmen. Wie können Anleger der wachsenden Volatilität an den Aktienmärkten begegnen?
Ja, die Volatilität ist seit Anfang Jahr deutlich grösser geworden, gerade im amerikanischen Markt. Die Schweizer Börse ist nun mit den konservativen Titeln aus der Pharma- und der Nahrungsmittelbranche attraktiv. Also können Anleger grundsätzlich in Aktien investiert bleiben, sich aber defensiver aufstellen - mit Aktien der Pharmaunternehmen oder mit den Nestlé-Titeln, die im letzten Jahr zu stark abgestraft wurden. Sie dürften jetzt an Attraktivität gewinnen.
Aufgrund der Zölle muss man mit steigenden Preisen in den USA rechnen. Welche Folgen hat dies für die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed?
Die amerikanische Notenbank wartet erst einmal ab und wird schauen, was sich in den nächsten Monaten entwickelt. Die entscheidende Frage ist, wie stark der Einfluss der Zölle auf die Preise ist. Wenn die Inflationsrate um ein halbes Prozent steigt, kann die Fed gut damit umgehen. Sollte es zu einer neuen Lohn-Preis-Spirale kommen, wird die Notenbank natürlich reagieren müssen - und allenfalls die Zinsen erhöhen. Ich glaube aber nicht, dass es dazu kommt. Denn die Zölle werden die Wirtschaft dämpfen, was die Inflationsrate drückt. Es würde mich nicht überraschen, wenn der Effekt auf die Preise insgesamt neutral oder sogar negativ ist.
Inwiefern wird die Zinspolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) durch den Handelsstreit beeinflusst?
Die SNB wird vor allem beobachten, was mit dem Franken passiert. Wird er als sicherer Hafen stärker gesucht, wird sie aktiv werden müssen - sei es, indem sie die Devisenreserven aufstockt, oder sei es, indem sie die Zinsen weiter senkt.
Der Franken hat gegenüber dem Dollar in den letzten Tagen an Wert verloren. Wie wird sich das Dollar-Franken-Paar weiterentwickeln?
Der Dollar hat bisher profitiert. Das ist die klassische Reaktion auf möglicherweise steigende Inflation und höhere Zinsen in Amerika. Der Dollar wird sich auch weiterhin relativ gut halten und gegenüber dem Franken unter Umständen noch stärker werden. Dagegen wird der Euro zum Franken unter Druck bleiben. Dies erst recht, sollten die Zölle auf Europa ausgeweitet werden.
Thomas Stucki ist Anlagechef der St. Galler Kantonalbank. Er hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St. Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 35 Mitarbeitenden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven. Das Interview wurde am Montagvormittag geführt.