cash.ch: Das diesjährige WEF-Motto lautet «Collaboration for the Intelligent Age». Die Mottos des WEF seien jeweils mehr oder weniger austauschbar und belanglos, sagen Kritiker. Ihre Meinung?

Sandra Navidi: Auch das WEF kann das Rad nicht neu erfinden. Ich finde, das Motto passt, weil Künstliche Intelligenz jetzt das wichtigste Thema ist. Zwar war das Thema letztes Jahr schon relevant. Aber damals stocherten die Teilnehmer noch ziemlich im Nebel. Wir sind heute ein Stück weiter. Und das Motto der Kooperation trifft einen Nerv angesichts der geopolitischen Krisen und des drohenden Isolationismus, der insbesondere durch Donald Trump angefacht wird.

Mit der Austauschbarkeit der Mottos meinen Kritiker eher, dass in Davos vielmehr die Geschäfte im Vordergrund stehen als die Lösung von drängenden Problemen. 

Das eine schliesst das andere ja nicht aus. Natürlich werden beim WEF auch Geschäfte angebahnt oder neue Geschäftspartner gesucht. Das ist extrem effizient und auch sinnvoll. Irgendwie muss die Wirtschaft funktionieren. Gleichzeitig kann man philanthropische Unternehmungen am WEF vergrössern, was zum Teil auch gemacht wird. Denken Sie an die Social Entrepreneurs, die vom WEF gefördert werden. Das WEF und seine Führung können die Welt aber nicht alleine ändern. Und eine grosse soziale Verantwortung liegt dann tatsächlich bei den Unternehmen. Viele sind ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Und jetzt geraten ESG und Nachhaltigkeit zunehmend in die Kritik. Das ist natürlich nicht gut.

Sie sind Autorin des Buches «Super Hubs», in dem Sie Machtzirkel analysieren. Wie unterscheidet sich das WEF von anderen Machtzirkeln?

Ich war schon auf renommierten Konferenzen auf der ganzen Welt. Keine erreicht das Kaliber von Davos. Der Konferenzort ist gerade wegen seiner eigentlichen Ungeeignetheit perfekt. Die Anreise ist beschwerlich und auch im Ort selber sind viele Dinge umständlich. Aber Davos hat den Vorteil, dass alle Teilnehmer an einem Ort gebündelt sind und nicht ausschwärmen können. Beispielsweise schwärmen bei der Milton-Konferenz in Los Angeles viele Teilnehmer aus, nehmen noch andere Termine wahr und treffen sich mit Freunden. Viele haben über die Jahre versucht, das WEF-Konzept zu kopieren, aber es ist noch niemandem gelungen. Das liegt auch an der Persönlichkeit von Klaus Schwab und an den hochkarätigen Board-Mitgliedern. Die wiederum bringen ihre eigenen wichtigen Netzwerke mit.

Die USA dominieren das WEF. Die Demokraten scheinen dabei jeweils in der Überzahl. Täuscht der Eindruck?

Die USA sind nun mal die grösste Wirtschaftsmacht der Welt. Sie haben die grössten, mächtigsten Konzerne. Und sie sind, was solche Konferenzen angeht, tendenziell eher grosszügig im Hinblick auf Marketing und Networking. Was mir aufgefallen ist in den letzten Jahren und was, wie ich finde, die Atmosphäre am WEF ein wenig verändert hat, ist die zunehmende Grösse und Macht der grossen Tech-Konzerne. Die Tech-Elite schöpft eine ganz kleine Anzahl der Top-Leute ab und vereinnahmt sie sozusagen. Die Tech-Elite kommt unscheinbar daher, mit Hoodie, aber einige von ihnen haben eine sehr subtile Arroganz. Die Tech-Elite schöpft eine ganz kleine Anzahl der Top-Leute für ihre Events ab und vereinnahmt sie sozusagen. Dass am WEF die Demokraten in der Überzahl sind, das könnte vielleicht stimmen. Denn das WEF belegt viele ESG-Themen. Das haben sich vor allem Demokraten auf die Fahnen geschrieben.

Letztes Jahr sass ich in einem Uber in Las Vegas. Als der Fahrer merkte, dass ich Schweizer bin, wollte er nichts über Schokolade, Berge oder andere Klischees wissen, sondern über die Verschwörungstheorien gegen Klaus Schwab, wonach dieser mit dem WEF an einer neuen Weltordnung arbeiten soll. Es ist bloss eine Episode. Aber die Skepsis gegen die so genannten Eliten und Machtzirkel scheint massiv zugenommen zu haben?

Absolut. Man sucht nach einfachen Erklärungen in einer immer komplexer werdenden Welt. Und wenn man die Erklärungen reduzieren kann auf einen einzigen Menschen, den man für alles verantwortlich macht, ist das natürlich bequem. An Pandemien, Krisen und so weiter. Allerdings haben wir jetzt das Problem, dass diese Verschwörungstheorien vorgedrungen sind bis in US-Regierungskreise. Nehmen Sie zum Beispiel die Minister, die Donald Trump nominiert hat. Der potenziell neue Gesundheitsminister, der mögliche neue Chef des FBI - sie sind Anhänger von Verschwörungstheorien und nutzen die auch als politisches Instrument. Das zieht bei den Leuten. Und je ausserirdischer die Verschwörungstheorien, desto mehr kommen sie an.

Lange kam die Kritik an den Eliten von links aussen, in den letzten Jahren immer mehr auch von rechts aussen. Ihre Erklärung?

Das liegt vor allem an der zunehmenden Ungleichheit und ideologischen Extreminisierung auf beiden Seiten. Das ist sehr gefährlich. Allein die USA haben über 800 Milliardäre. Als ich diese Zahl für mein Buch recherchiert habe, konnte ich es selbst kaum glauben. Durch Netzwerkeffekte wird diese Konzentration immer weiter zunehmen. Neu ist die Tech-Komponente. Zum Beispiel Elon Musk, der versucht, immer mehr politische Power, Finanz-Power und Network-Power zu bündeln und damit sozusagen allmächtig zu werden.

Elon Musk und Donald Trump - zwei Egomanen erträgt es nicht lange nebeneinander. Was halten Sie von der These, dass sich Trump und Musk bald heftig zerstreiten?

Das ist die herrschende Meinung. Ich wäre mir da aber nicht so sicher. Denn es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine zwei Menschen auf der ganzen Welt, die einander mehr nutzen und auch schaden können als Trump und Musk. Ich glaube, geteiltes Scheinwerferlicht ist für Donald Trump okay. Wenn Elon Musk ihn verdrängen wollte, wäre das aber ein Problem. Beide sind die ultimativen Opportunisten und schlau genug, ihren Stolz zu schlucken. Musk hält den Kontakt zu Trump so eng, damit er Deregulierung und Subventionen für seine Unternehmen wie Tesla und SpaceX bekommt. Und für Donald Trump ist natürlich Musks Finanzmacht und die soziale Medienmacht wichtig.

Donald Trump ist einer der grössten Kritiker der Eliten, zugleich einer der grössten Fans des Elite-Treffens WEF. Paradox?

Keineswegs. Wir haben 2018 gesehen, wie er das ganze Treffen annektiert und die ganze Aufmerksamkeit beschlagnahmt hat. Er hat in der Menge und in der Medienaufmerksamkeit geschwelgt. Das zeigt seine Verlogenheit, seine Politik, die Lügen instrumentalisiert. Er erzählt seinen Anhängern genau das Gegenteil der Realität. Das ist eine Sekte, eine faschistische Bewegung mit einem Führerkult. Egal, welche Lügen Trump erzählt, seine Anhänger glauben es. Und wenn sie merken, dass etwas nicht der Wahrheit entspricht, dann "schlucken" sie es trotzdem. Für sie ist Donald Trump der Herr über die Wirklichkeit. Er regiert mit seinen Lügen die Welt und alle müssen folgen. Bei den Republikanern sieht man kein Aufbegehren gegen diese Lügen, im Gegenteil.

Fakt ist: Trump die Wahl gewonnen, und zwar deutlich. Die Demokraten haben gewisse Wählerschichten, die weniger Privilegierten, über die Jahre vernachlässigt.

Die Demokraten haben Fehler gemacht und sich selbst geschadet. Zum einen haben sie die Politik, die sie gemacht haben, nicht gut genug verkauft. Kamala Harris ist kritisiert worden, dass sie kein konkretes Wahlkampfprogramm vorlegt hat - was nicht stimmte. Ihr Wahlkampfprogramm war dezidiert auf ihrer Website aufgelistet. In Europa sehe ich ähnliche Tendenzen wie in den USA. Man könnte es als ein Aufbgehren gegen Elitismus und Elfenbeinturm-Denken beschreiben. Zum Beispiel den Wokeismus, also das Ins-Zentrum-Stellen der Interessen von Mikro-Minderheiten und das wahrgenommene Zurückstellen der Interessen von Mehrheiten. Theoretische, intellektuelle, abstrakte Themen, die der Normalbürger als Luxusprobleme wahrnimmt, werden zur Priorität, so jedenfalls die Wahrnehmung. Bei vielen Themen wie der Migrationspolitik fühlten sich die Bürger ignoriert. Man kann zwar anführen, dass unter Biden viel mehr Menschen deportiert wurden als unter Trump. Aber die Wahrnehmung der Menschen und deren Ängste kann man eben nicht einfach wegdiskutieren mit Statistiken. Da muss man konkret darauf eingehen. Und das haben die Demokraten versäumt.

In Europa herrscht beinahe schon Untergangsstimmung wegen Trumps absehbarer Wirtschafts- und vor allem Zollpolitik. In den USA wird dieses Wehklagen doch kaum wahrgenommen?

In der Finanz- und Businesswelt wird das schon wahrgenommen. Allerdings kann sich noch niemand wirklich eine Meinung darüber bilden, weil wir überhaupt noch nicht wissen, was kommen wird. Donald Trump hat auch eine verschärfte Zollpolitik gegenüber Mexiko und Kanada angekündigt. Das betrifft uns in den USA natürlich direkt. Auch den Unternehmen, die international tätig sind, ist diese Zollpolitik nicht recht. Der Protektionismus steht im Zentrum von Trumps Politik.

Die Regierung Biden agiert auch protektionistisch. Sie hat letzte Woche Einschränkungen für die Ausfuhr von KI-Technologien beschlossen.

Ich würde da unterscheiden zwischen Wirtschaftsinteressen und sicherheitspolitischen Interessen. Jetzt, wo überall Daten gesammelt werden von Handys bis zu Autos, ist es sinnvoll, dass man potenziellen Gegnern nicht sensitive Daten an die Hand geben will. Protektionismus ist jetzt aber auch einfach Zeitgeist. Wer jetzt als Politiker nicht einen gewissen Protektionismus an den Tag legt, der hat gar keine Chancen, in den USA gewählt zu werden.

Als Trump gewählt wurde, haben die Börsen gejubelt, die Aktienkurse stiegen bis kurz vor Weihnachten. Nicht überraschend hat die Fed dann ihre Meinung über die Inflation geändert und die Aussichten für weitere Zinssenkungen gedämpft, was was die Aktienkurse gedrückt hat. Ist ein ernsthafter Streit zwischen Trump und dem "Spielverderber" Fed vorprogrammiert?

Das ist ein zentrales Thema der Märkte. Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump versucht, Jerome Powell zu drangsalieren und Einfluss zu nehmen auf die Fed und ihre Unabhängigkeit. Powells Amtszeit endet Mitte 2026. Er hat nicht vor, vorher abzutreten. Nun hat Trump schon angedroht, dass die Unabhängigkeit der Fed geschmälert, wenn nicht sogar ganz abgeschafft werden soll. Das wäre für Donald Trump natürlich praktisch, wenn er für seine Politik direkt eine Gelddruckmaschine an der Seite hätte. Aber das wäre fatal.

Die Renditen der US-Staatsanleihen dürften noch mehr zulegen, sollte Trump die Fed ernsthaft schwächen wollen. Auch die Ratingagenturen würden da nicht untätig bleiben. Die Börsen könnten einbrechen.

Donald Trump achtet sehr auf die Märkte, auf die Kurse, auf die Wall Street. Und die könnten ihn disziplinieren. Wenn Trump beispielsweise dramatisch hohe Zölle auf Mexiko, Kanada und Europa verhängt, könnte es sein, dass Unternehmenschefs versuchen würden, Druck auf ihn auszuüben.

Die Rechtsanwältin und Wirtschaftsexpertin Sandra Navidi ist Gründerin und CEO der Unterehmensberatungsfirma BeyondGlobal und lebt seit 25 Jahren in Manhattan. Zuvor arbeitete sie unter anderem im Beratungsunternehmen des Ökonomen Nouriel Roubini. Sandra Navidi ist Bestseller-Autorin der Bücher "Super-hubs: Wie die Finanzelite und ihre Netzwerke die Welt regieren", "Das Future-Proof-Mindset" und “Die DNA der USA”, das eine Nominierung für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2023 erhalten hat.

 

Daniel Hügli
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