Die Stimmabgabe erfolgt wegen der Grösse des Landes in mehreren Phasen über mehrere Wochen. Die Wahl endet am 1. Juni. Im Folgenden einige der Kernthemen des Wahlkampfes:

Entwicklung Wirtschaft und Inflation

Indiens Wirtschaft dürfte im letzten Haushaltsjahr (zum 31. März) um etwa acht Prozent gewachsen sein. Es ist das schnellste Wachstum unter den grossen Volkswirtschaften. Indien hat in den letzten zehn Jahren unter Ministerpräsident Narendra Modi fünf Plätze gutgemacht und ist inzwischen die weltweit fünftgrösste Volkswirtschaft. Für den Fall seiner Wiederwahl hat sich Modi zum Ziel gesetzt, zur Nummer Drei aufzusteigen und damit an Deutschland vorbeizuziehen. Die Früchte der boomenden Wirtschaft sind jedoch eher in den Städten wie Neu-Delhi und Mumbai an neuen Strassen und Brücken als auf dem Land zu sehen. Auch der starke Preisanstieg gibt Anlass zur Sorge. Die Inflation im Einzelhandel beschleunigte sich 2022/23 auf 6,7 Prozent von 5,5 Prozent im Jahr zuvor.

Sozialpolitik

Seit der Corona-Pandemie hat die Regierung 814 Millionen der 1,42 Milliarden Einwohner Indiens mit kostenlosen Lebensmittelrationen versorgt. Einige Kritiker sind der Ansicht, die Tatsache, dass die Regierung es für nötig hält, fast 60 Prozent der Bevölkerung mit kostenlosem Getreide zu versorgen, sei ein Zeichen für die ungleichmässige Verteilung des Wirtschaftswachstums im Land.

Laut einer Studie der Forschungsgruppe World Inequality Lab verfügten die reichsten Bürger Indiens Ende letzten Jahres über 40,1 Prozent des Wohlstands, so viel wie seit 1961 nicht mehr. Ihr Anteil am Gesamteinkommen lag bei 22,6 Prozent, dem höchsten Wert seit 1922.

Modi und seine BJP haben auch versucht, bei der weiblichen Wählerschaft zu punkten und machten ihr Wohlergehen zu einem Wahlkampfthema. Mit Geldgeschenken oder Vergünstigungen für den Haushalt wie Leitungswasser, Strom rund um die Uhr und Kochgasanschlüssen sollten sie gewonnen werden.

Religion

Modi propagiert die Vorherrschaft der Hindus in Indien. Im Januar erfüllte er ein 35 Jahre altes Versprechen seiner hindu-nationalistischen BJP. Er weihte in der Pilgerstadt Ayodhya einen umstrittenen Hindu-Tempel an einem Ort ein, an dem einst eine jahrhundertealte Moschee stand. Die regelmässigen Besuche des Ministerpräsidenten von Hindu-Tempeln werden von den Nachrichtensendern in grossem Stil übertragen. Nach Ansicht politischer Analysten trägt dies zu seinem Image als Verfechter der religiösen Mehrheit bei, die die Basis der BJP bildet.

Viele Muslime werfen der Regierung jedoch vor, eine Politik zu betreiben, die ihren Interessen zuwiderläuft. Die BJP weist dies zurück. Sie arbeite für alle. Unter Modi wurde die staatliche Unterstützung für muslimische Schulen (Madrasas) eingestellt. Einige von der BJP geführte Bundesstaaten haben viele der Schulen bereits geschlossen oder stehen trotz des Widerstands von führenden Muslimen kurz davor.

Modi hat zudem ein Staatsbürgerschaftsgesetz eingeführt, das als diskriminierend gegenüber Muslimen kritisiert wurde. Es gewährt Hindus, Parsis, Sikhs, Buddhisten, Jains und Christen, die vor dem 31. Dezember 2014 aufgrund religiöser Verfolgung aus den mehrheitlich muslimischen Ländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan nach Indien geflohen sind, die Staatsbürgerschaft.

Korruption

Oppositionspolitiker haben Modi vorgeworfen, Regierungsbehörden für politische Zwecke zu missbrauchen. In den letzten zehn Jahren kamen fast 150 Oppositionspolitiker in den Verdacht der Geldwäsche. Sie wurden von einer Regierungsbehörde, die bei entsprechenden Fällen ermittelt, vorgeladen, befragt, durchsucht oder verhaftet. Im gleichen Zeitraum wurde nur gegen etwa ein halbes Dutzend Politiker der Regierungspartei ermittelt. Der bekannteste Fall war die Verhaftung des Ministerpräsidenten von Delhi, Arvind Kejriwal, einem hochrangigen Oppositionspolitiker. Er bestritt jegliche Korruption. Modi erklärte, es stehe den Behörden frei, im Rahmen seiner «Null-Toleranz»-Politik gegenüber Korruption gegen jeden zu ermitteln. Die Kongresspartei sieht sich derzeit mit Steuerforderungen konfrontiert. Die grösste Oppositionspartei wertet dies als Versuch, sie vor der Wahl zu schwächen.

Arbeitslosigkeit

Modi kam 2014 unter anderem mit dem Versprechen ins Amt, Millionen von Arbeitsplätzen für die Jugend des Landes zu schaffen, hat dies aber weitgehend nicht eingehalten. Nach Angaben des privaten Wirtschaftsinstituts Centre for Monitoring Indian Economy stieg die Arbeitslosenquote im Februar auf acht Prozent. Nach Schätzungen der Regierung lag die Arbeitslosenquote in dem im März 2023 zu Ende gegangenen Haushaltsjahr bei 5,4 Prozent, gegenüber 4,9 Prozent in dem Jahr vor Modis Amtsantritt. Fast 16 Prozent der Jugendlichen im Alter von 15 bis 29 Jahren in der Stadt fanden 2022/23 aufgrund mangelnder Qualifikationen und fehlender hochwertiger Jobs keine Arbeit, so die Regierungsdaten. Die Schätzungen privater Agenturen liegen weit höher.

Bauern

Die BJP hatte in ihrem Programm für die letzte Wahl versprochen, das Einkommen der Landwirte bis 2022 zu verdoppeln, doch davon ist nichts zu spüren. Landwirte - vor allem aus dem nördlichen Bundesstaat Punjab - machten ihrem Unmut Luft. Sie zwangen Modi 2021 dazu, drei Gesetze zur Agrarreform zurückzunehmen - eine seltene politische Kehrtwende von ihm. In diesem Jahr gingen die Bauern erneut auf die Strasse, um höhere Garantiepreise für ihre Erzeugnisse zu fordern, doch die Proteste lösten sich innerhalb weniger Wochen auf.

Weltweites Ansehen

Indiens Aussenpolitik ist Analysten zufolge unter Modi robuster geworden und spielt auch bei den Wählern eine grössere Rolle. «Es handelt sich eher um einen Wandel im Stil und in der Rhetorik als in der Substanz, was Kontinuität in der indischen Aussenpolitik bedeutet», sagt Ashok Kantha, ein pensionierter Diplomat. Modi werde vor allem dafür in Erinnerung bleiben, dass der das Ansehen des Landes gestärkt habe, geht aus einer im Februar veröffentlichen Umfrage von India Today Group hervor. Mit 19 Prozent war es die zweithäufigste Antwort auf die Frage nach Modis Errungenschaften. Argumente der BJP für Modis Erfolge in der Aussenpolitik sind unter anderem die Wirtschaft und die Ausrichtung des G20-Gipfels im vergangenen Jahr. Vor zwei Jahren konnten durch Modis Bemühungen fast 20'000 durch den Ausbruch des Ukraine-Krieges festsitzenden Studenten wieder nach Hause gebracht werden. Ein im März von Modi veröffentlichtes Wahlkampfvideo, das eine erleichterte und Modi dankende junge Frau bei ihrer Rückkehr zeigt, wurde fast 650'000 Mal angesehen.

(Reuters)