Daten zeigen, dass die Inflation in den USA zurückgeht, während der Arbeitsmarkt stark bleibt. Diese Daten schüren die fast schon schwindelerregende Erwartung, dass die Federal Reserve eine weiche Landung gelingt. Zum Pech für Jerome Powell und seine Mitarbeiter kommen drei verschiedene Ereignisse zusammen, die die US-Wirtschaft aus der Bahn werfen könnten: ein historischer Streik der Automobilarbeiter, ein erwarteter Stillstand der Regierung und die geplante Wiederaufnahme der Rückzahlung von Studentenkrediten.
Die Dreifachgefahr könnte das Wachstum im vierten Quartal bremsen - je nach dem Ausmass der Auswirkungen sehr stark. Die Ökonomen von Goldman Sachs schätzen, dass sich das Wachstum auf Jahresbasis auf 1,3 Prozent verlangsamen könnte, verglichen mit 3,1 Prozent im dritten Quartal. Gregory Daco, Chefökonom des Beratungsunternehmens EY-Parthenon, rechnet vor, dass die Kombination der Ereignisse das Wachstum um 0,8 Prozentpunkte bremsen würde. Wenn man die ohnehin schon unter Druck stehenden Ausgaben für Dienstleistungen und Unternehmensinvestitionen hinzurechne, könnte das Wachstum in Richtung 0 Prozent abrutschen.
Die Gefahr aus dem Automobilsektor
Nach Ansicht von Wirtschaftsexperten der Citigroup kommt die von den United Auto Workers organisierte Arbeitsniederlegung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, nämlich genau dann, wenn sich die Lieferketten für Fahrzeuge und die Preise normalisieren. Er stellt eine eindeutige Inflationsgefahr zu einer Zeit dar, in der der Preisdruck in den USA langsamer nachlässt als in anderen Ländern. Die Fed beschloss an ihrer letzten Sitzung, die Zinsen unverändert zu lassen. Gleichzeitig signalisierte sie aber, dass sie mit einer weiteren Zinserhöhung vor Jahresende rechnet.
Auf X (ehemals Twitter) warnte Diane Swonk, Chefökonomin bei KPMG LLP in Chicago, dass eine längere Arbeitsniederlegung in der Automobilindustrie - einem Sektor, der etwa 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet - im letzten Quartal des Jahres zu einem Wirtschaftsrückgang führen würde.
Bislang ist die vom Präsidenten der United Auto Workers, Shawn Fain, angeführte Arbeitsniederlegung auf 1'500 Beschäftigte beschränkt. Betroffen sind drei Fabriken von General Motors, Ford und Stellantis. Sollten sich die Streiks auf alle 150'000 Mitglieder der Gewerkschaft ausweiten, würde fast ein Drittel der US-Autoproduktion zum Erliegen kommen. Nach Angaben von Oxford Economics, einer Prognose- und Forschungsgruppe, würde das Beschäftigungswachstum vorübergehend ins Negative kippen. Die daraus resultierenden Engpässe bei den Autohändlern könnten die Preise für Neufahrzeuge in die Höhe treiben, die laut Verbraucherpreisindex seit April weitgehend rückläufig sind.
Die Gefahr der Studentenkredite
Die Wiederaufnahme der Zahlungen für Studentenkredite im nächsten Monat könnte ein weiterer wirtschaftlicher Wendepunkt sein. Anna Wong von Bloomberg Economics vermutet, dass mit dem Ende der dreijährigen Pandemiepause 28 Millionen Kreditnehmer das volle Gewicht der Anti-Inflationskampagne der Fed zu spüren bekommen werden. "Die Stundung von Studentenkrediten hat die Auswirkungen von Zinserhöhungen hinausgezögert", sagt sie. "Ohne diese Politik hätten die Zinserhöhungen die Wirtschaft bereits gebremst." Vieles hänge davon ab, wie sich die Ereignisse entwickeln. Der Autostreik und der Stillstand der Regierung könnten schon in wenigen Tagen oder Wochen vorbei sein. Ausserdem könnten einige Kreditnehmer Programme in Anspruch nehmen, die es ihnen ermöglichen, ihre Studienschulden abzubauen, so dass der Druck auf die Verbraucherausgaben vielleicht nicht so stark ausfalle wie erwartet.
Die Gefahr einer Regierungskrise
Hunderttausende von Bundesbediensteten könnten im nächsten Monat unfreiwillig die Arbeit niederlegen. Eine Gruppe von Ultrakonservativen im Repräsentantenhaus hat die Abstimmung über eine Reihe von Gesetzentwürfen blockiert. Um die Regierung am Laufen zu halten bis zum nächsten Haushaltsjahr, das am 1. Oktober beginnt, müssten diese Entwürfe jedoch verabschiedet werden. Normalerweise dauert ein Regierungsstillstand nur wenige Tage, aber die internen Streitigkeiten innerhalb der Republikanischen Partei könnten zu einer längere Schliessung führen.
In der Geschichte der USA hat es bisher nur drei längere Stilllegungen gegeben: Der erste im Jahr 1995 dauerte 21 Tage. Der zweite im Jahr 2013 16 Tage und der dritte begann im Dezember 2018 und dauerte bis in den Januar 2019, insgesamt 35 Tage.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen würden zunächst gering sein und sich mit der Zeit verstärken. Die Ökonomen von Goldman Sachs schätzen, dass jede Woche einer regierungsweiten Schliessung das BIP-Wachstum im vierten Quartal um 0,15 Prozentpunkte schmälern würde. Trotz der aufziehenden Gewitterwolken ist Goldman Sachs zuversichtlich, was die Aussichten für den Beginn des nächsten Jahres angeht. "Wir gehen davon aus, dass die Verlangsamung nur geringfügig und von kurzer Dauer sein wird, da diese vorübergehenden Belastungen nachlassen und sich das Einkommenswachstum aufgrund des anhaltend soliden Beschäftigungswachstums und der steigenden Reallöhne wieder beschleunigt", schrieb Chefökonom Jan Hatzius in einem Bericht vom 15. September.
Immer mehr befürchten harte Landung
Während Hatzius an der Idee festhält, dass die Fed eine Rezession vermeiden und gleichzeitig die Inflation auf ihr 2 Prozent-Ziel zurückführen kann, sind einige seiner Kollegen an der Wall Street wesentlich skeptischer. Ein Team der Citigroup unter der Leitung von Nathan Sheets untersuchte Wirtschaftszyklen, die bis ins Jahr 1965 zurückreichen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Überwindung einer hohen Inflation und eines angespannten Arbeitsmarktes zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit führt. Das würde unweigerlich zu einem Abschwung führen. Im Bericht schreiben sie: "Wir sind der Ansicht, dass die Gesetze der 'wirtschaftlichen Schwerkraft', die in früheren Zyklen zu beobachten waren, letztendlich wieder zum Tragen kommen werden und die US-Wirtschaft im Jahr 2024 eine Rezession erleben wird."
Sie fragen, warum es dieses Mal anders sein soll.
Der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers warnt seit Monaten vor übermässigem Optimismus. Er bezweifelt, dass die USA die Inflation ohne einen Wirtschaftsabschwung in den Griff bekommen können. Die Chancen für jedes der drei Szenarien stehen etwa 1 zu 3: eine sanfte Landung, keine Landung, bei der die Inflation bei 3 Prozent verharrt, und eine härtere Landung, sagte Summers am 13. September im Bloomberg-Fernsehen.
Selbst wenn es der Wirtschaft gelingen sollte, eine technische Rezession zu vermeiden, werde wahrscheinlich dennoch eine Periode unterdurchschnittlichen Wachstums eintreten. Von einer technische Rezession spricht man, bei zwei aufeinander folgenden Quartalen mit negativem Wachstum. Viele negative Faktoren wirkten auf die Wirtschaft: höherer Zinsen und strengerer Kreditvergabestandards, geringerer Ersparnisüberschüsse und eines schwächeren Beschäftigungswachstums.
Eine Analyse von Wong von Bloomberg Economics zeigt, dass seit Anfang der 1980er Jahre die übereinstimmenden Vorhersagen einer weichen Landung der US-Wirtschaft ihren Höhepunkt erreichten, kurz bevor die Wirtschaft zu schwächeln begann. Die Frage steht schon seit Monaten im Raum: Was wäre nötig, um die erstaunliche Teflonbeschichtung der US-Wirtschaft anzukratzen?
Der Streik der Automobilarbeiter, die drohende Einkommenskürzungen für die Inhaber von Studiendarlehen und eine Regierungskrise hätten das Potenzial dazu.
(Bloomberg/cash)
1 Kommentar
Es ist natürlich nie "alles anders", sondern gewisse Faktoren wurden in der Recherche nicht abgebildet. Hier würde ich nochmal einen genauen Blick auf die Bevölkerungspyramide, die Altersguthaben und Sozialsysteme werfen. Ganz allgemein sollte die Sparquote genauer betrachtet werden.