Mit einem Federstrich wischt Markus Söder die Bedeutung dessen weg, was er gerade fünf Minuten lang auf dem CDU-Parteitag erzählt hat. «Aber jetzt genug gelobt. Am Ende glaubt das noch jemand», witzelt er zum Gejohle der 1001 Delegierten über seine teils kabarettistische Rede. Die Bemerkung trifft den Kern dessen, was den dreitägigen Bundesparteitag der CDU in Berlin ausmachte: Er lieferte die gewünschte Harmonie und Einheit mit einer programmatischen Neuaufstellung der Partei, so dass CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann über den «besten Parteitag aller Zeiten» jubelte.

CDU-Chef Friedrich Merz sprach nüchterner über die nötige «Vorbereitung auf die Regierungsübernahme in Deutschland» 2025. Aber die gute Stimmung auch angesichts der Umfragewerte der CDU kann über eines nicht hinwegtäuschen: Die eigentlichen Herausforderungen kommen auf die Union erst ab Herbst zu - wenn klar ist, wer Kanzlerkandidat ist.

Neuaufstellung des Programms - Rechts der Mitte

Das erste Grundsatzprogramm seit 2007 soll ein nötiger Baustein für die Rückkehr zur Macht sein. Man wisse nun wieder, «wer wir sind, wo wir stehen, was wir wollen», beschrieb Merz die Übung der Identitätsfindung. Die neue innere Einheit nach den 16 Regierungsjahren von Angela Merkel wurde vor allem durch eine deutliche Verschärfung der Asylpolitik erreicht.

Mit der Festlegung darauf, dass Asylverfahren nur noch ausserhalb der EU-Aussengrenzen in «sicheren Drittstaaten» stattfinden sollen, setzte sich der Hardliner-Flügel der Partei durch. Das soll auch im Kampf um zu der AfD abgewanderten Wählern helfen. Möglicherweise zahlt die CDU allerdings einen Preis für das konservativere Profil. «Es ist schon die Frage, ob die CDU anschlussfähig an Parteien wie die SPD oder die Grünen bleibt», sagte ein Delegierter, der nicht namentlich genannt werden wollte.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte schon vor dem Parteitag gewarnt, dass die CDU attraktiv für die Wähler und Wählerinnen bleiben müsse, die den moderaten Kurs der früheren Kanzlerin Angela Merkel richtig fanden. Selbst Merz mahnte, dass sich ein Grundsatzprogramm auch an Wechselwähler richten müsse.

Letztlich geht die CDU eine Wette ein: Sie spekuliert in der Asylpolitik darauf, dass ein eher wachsender Migrationsdruck den Mainstream der Debatte in Deutschland und EU immer mehr Richtung Abschottung von Migranten verschieben wird. Geschieht dies nicht, könnte sich die CDU mit dieser Festlegung bei den nächsten Sondierungen über eine Regierungsbildung nach der Bundestagswahl ins Abseits stellen.

Alles läuft auf Merz als Kanzlerkandidaten zu

Personell läuft in der Union ab diesem Parteitag alles auf CDU-Chef Merz als Kanzlerkandidat der Union zu. Das Wiederwahl-Ergebnis von 89,91 Prozent für Merz bezeichnete selbst CSU-Chef Söder als sehr gut. In Berlin deutete Bayerns Ministerpräsident einen Kotau an: «Ich verspreche Euch: An mir wird der Erfolg 2025 nicht scheitern», sagte er mit Blick auf die Vorwürfe auch aus der CDU, dass Söder 2021 mitverantwortlich für die Wahlniederlage war, weil er einfach nicht verwinden konnte, nicht selbst Kanzlerkandidat zu werden.

Das Problem: Die Union kann zwar möglicherweise einen neuen Machtkampf um die K-Frage vermeiden. Aber ob sie mit Merz wirklich den richtigen Kandidaten für die Rückkehr in Regierung und ins Kanzleramt hätte, bleibt unklar. In der SPD äussert man sich jedenfalls sehr zufrieden, dass es auf Merz hinausläuft. Der CDU-Chef gilt bei den Sozialdemokraten wegen seiner fehlenden Regierungserfahrung sowie der ihm zugeschriebenen Unbeherrschtheit als leichterer Gegner für Kanzler Olaf Scholz. Der setzt trotz mieser Umfragewerte für ihn und SPD darauf, dass die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl am Ende doch eher ihm als Merz vertrauen.

Laut einer Forsa-Umfrage für die TV-Sender RTL/ntv wollen 34 Prozent der CDU/CSU-Anhänger eher Söder als Kanzlerkandidaten, 31 Prozent den NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und nur 29 Prozent Merz. Immerhin 28 Prozent der Unions-Anhänger bezweifeln sogar, dass er ein guter Kanzler wäre. Das klingt nicht nach Begeisterung. Ab der Festlegung auf den Kanzlerkandidaten wird die Kritik aller anderen Parteien losprasseln.

Kratzer durch die Ostwahlen?

Dazu kommt, dass unklar ist, was die derzeitigen Umfragen wert sind. Zwar verzeichnet die Union fast so viel Zustimmung wie die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP zusammen. Drei Tage lang vermittelte die Partei den Eindruck, dass es ab jetzt nur noch um «30 Prozent plus» gehen könne. Aber Demoskopen verweisen darauf, dass 30 Prozent angesichts des Dauerstreits der Ampel-Koalition gar nicht so viel sind. Der Frust schlägt offenbar nicht automatisch in Zustimmung für die CDU im Bund um.

Und während die Union bei Umfragen für die Europawahl deutlich vorne liegt und sich auf dem Bundesparteitag selbstbewusst gibt, sieht es bei den drei Landtagswahlen im Osten derzeit noch ganz anders aus: Die AfD liegt sowohl in Sachsen, Thüringen und Brandenburg vorne. Sollte die CDU tatsächlich bei den im September angesetzten Wahlen nur an zweiter oder dritter Stelle landen, würde dies am erwünschten Nimbus als zwangsläufige Regierungspartei kratzen. 

(Reuters)