Im Hotel Skeppsholmen in Stockholm überschlagen sich die fünf Regierungschefs fast vor Freundlichkeit. «Alle nordischen Länder haben starke bilaterale Beziehungen zu Deutschland», sagt etwa der Gastgeber, Schwedens Ministerpräsidenten Ulf Kristersson, bei dem Treffen mit Kanzler Olaf Scholz. Auch seine Kollegen aus Finnland, Norwegen, Dänemark und Island stimmen ein. Es sei ihm eine «Ehre», eingeladen worden zu sein, gibt Scholz zurück. Sein zweitägiger Schweden-Besuch ist ein Beispiel dafür, wie systematisch Deutschland derzeit die Beziehungen zu seinem geografischen «Hinterhof» bearbeitet und dabei auf offene Türen stösst.

Denn dem «Deutschland plus fünf»-Treffen mit den Skandinaviern war erst kürzlich ein «Deutschland plus drei»-Gipfel in der lettischen Hauptstadt Riga vorausgegangen. Scholz traf auf die Regierungschefs von Estland, Lettland und Litauen - und wurde ähnlich freundlich empfangen. Und im sogenannten «Berliner Prozess» pflegt der Kanzler eine Serie von Gipfeltreffen mit den sechs Westbalkan-Staaten und EU-Aspiranten, die bereits seine Vorgängerin Angela Merkel eingeleitet hatte. Alle Treffen mit den kleinen bis relativ kleinen Staaten zeigen dabei: Deutschland hat sich innerhalb der EU still und heimlich als zentraler Ansprechpartner für Nord- und Osteuropa etabliert. Dazu kommen die deutlich verbesserten Beziehungen zu dem politischen und wirtschaftlichen Schwergewicht Polen.

Plötzlich verlässlicher Partner

Das war nicht immer so. «Gerade zu Beginn der russischen Invasion in die Ukraine hat es Zweifel gegeben, wie verlässlich Deutschland etwa als Sicherheits-Partner wirklich ist», sagt ein EU-Diplomat. Aber spätestens seit der Jahreswende gilt Scholz als oberster Antreiber von mehr Waffenlieferungen für die Ukraine. Ausdrücklich lobt die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen Deutschland für die Lieferung eines dritten Patriot-Luftabwehrsystems als Vorbild. Dabei fällt die innen- und aussenpolitische Wahrnehmung deutlich auseinander: In Deutschland will die SPD Scholz als «Friedenskanzler» verkaufen, aber sogar in der Ampel wird die von ihm abgelehnte Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern kritisiert. In Skandinavien jedoch wird vor allem unterstrichen, was Deutschland alles leistet.

Im Baltikum war der Eindruck sehr ähnlich: Dass Scholz in der Nähe der russischen Grenze in einen Boxer-Panzer stieg und sich ein Manöver anschaute, wird in Litauen ebenso als klares Signal an Moskau verstanden wie die Stationierung von 4800 Bundeswehr-Soldaten. Auch hier klaffen innen- und aussenpolitische Debatte auseinander: In Berlin grummelt man in der Ampel über die ungeklärte Finanzierung des milliardenteueren Aufbaus einer ganzen Brigade in Litauen. Im Baltikum dominiert angesichts der Angst vor Russland das Gefühl, dass Deutschland nun den Beweis antritt, wirklich ein verlässlicher Partner zu sein: Mit der Anwesenheit deutscher Soldaten fühlt man sich sicherer.

Gemeinsam für mehr Souveranität

Bei Finnland und Schweden kommt dazu, dass beide Länder aus Angst vor Russland nun Nato-Partner geworden sind. Schon beim Besuch des finnischen Präsidenten Alexander Stubb im Kanzleramt vergangene Woche zeigte sich, wie gross das neue Anlehnungsbedürfnis an die grösste EU-Volkswirtschaft ist. Schweden will mit seiner starken, aber bisher weitgehend unabhängigen Rüstungsindustrie auch sicherheits- und industriepolitisch andocken.

Für die Bundesregierung wiederum sind gerade die skandinavischen Staaten für das Ziel einer grösseren europäischen Souveränität wichtig: Norwegen ist mittlerweile Deutschlands grösster Gaslieferant und könnte einen Ausweg aus dem Streit über die unterirdische Speicherung des Treibhausgases CO2 bieten. Schweden und Finnland wiederum haben mit den Konzernen Ericsson und Nokia die technologische Lösung, um die Abhängigkeit von chinesischen Anbietern beim Aufbau des 5G- und dann 6G-Mobilfunknetzes zu reduzieren. Dass Scholz am Montag zusammen mit den fünf nordischen Regierungschefs die Ericsson-Zentrale besuchte, war ein klares politisches Zeichen.

Dazu kommt aber, dass die Nord- und Nordost-Europäer Verbündete Deutschlands bei einer Reihe von EU-Reformen sind. Die Balten gehören wie Finnland zu den Euro-Ländern, die eine übermässige Verschuldung ablehnen und ähnlich stabilitätsbewusst wie die Deutschen sind. Schweden gehört mit starken Banken wie der Kanzler selbst zu den Treibern einer Kapitalmarktunion in der EU. Und die Balkanstaaten sehen in der Bundesregierung traditionell als stärkste Unterstützerin auf ihrem Weg in die EU.

«In all diesen Fragen sind ein geeinter Norden und ein starkes Deutschland für ganz Europa von entscheidender Bedeutung», bilanziert die dänische Ministerpräsidentin Frederiksen.

(Reuters)