Schokoladensommelière Karin Steinhoff besuchte kürzlich ein Amsterdamer Lagerhaus, um Kakaobohnen für ihren deutschen Boutique-Produzenten einzukaufen. Als sie mit ihrer Händlerin das höhlenartige Gebäude betrat, fiel dieser auf, wie ungewöhnlich leer es war.
Die schlechten Ernten in Westafrika haben die Verfügbarkeit des Schokolagerohstoffs erheblich reduziert und die Terminpreise auf über 10'000 Dollar pro Tonne katapultiert. Das schneidet in die Gewinne von Lieferanten und Produzenten. Am Ende musste Steinhoff über 40 Prozent mehr pro Kilogramm bezahlen als im vergangenen Juli.
Widriges Wetter, Pflanzenkrankheiten und jahrelang niedrige Löhne in den Kakaoanbaugebieten haben den Erzeugern so zugesetzt, dass die weltweite Produktion in dieser Saison voraussichtlich um 11 Prozent zurückgehen wird. Das sind besonders schlechte Nachrichten für Süssmäuler in den Schokoladenhochburgen Deutschland und Schweiz, die für Tafelschokoladen in Spitzenqualität berühmt und für den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch berüchtigt sind.
«Das ist für viele in der Branche ein Weckruf, denn es kann offensichtlich nicht weitergehen wie bisher», sagt Steinhoff, die für den rheinischen Bean-to-bar-Premium-Schokohersteller Georgia Ramon arbeitet. «Schokolade wird in Zukunft eher ein kleiner Luxus sein.»
Der Todesstoff für einige Hersteller
Der unaufhaltsame Anstieg der Kakaopreise treibt nicht nur die Lebensmittelinflation in die Höhe, sondern womöglich auch einige Hersteller in den Ruin. Das würde die pandemiebedingte Konsolidierung der Branche weiter vorantreiben. Anfang dieses Jahres meldete die deutsche Süsswarenfirma Hussel erneut Konkurs an, weil die Kosten für Rohstoffe und Arbeitskräfte in die Höhe schnellten. Der österreichische Mozartkugel-Hersteller Salzburg Schokolade ging 2021 in die Insolvenz und wurde später aufgekauft.
In der Europäischen Union und der Schweiz beschäftigte die Schokoladen-, Biskuit- und Süsswarenindustrie im Jahr 2020 mehr als 250'000 Menschen und erwirtschaftete Exporte im Wert von etwa 14 Milliarden Euro, so die Handelsgruppe Caobisco, die mehr als 13'000 Unternehmen vertritt.
Rund 99 Prozent dieser Mitglieder sind kleine und mittlere Unternehmen, die nicht über die Grösse und den Handlungsspielraum von Konzernen verfügen, um starke Schwankungen der Rohstoffpreise auszugleichen.
«Wegen des stark angestiegenen Kakaobohnenpreises ist es für 2024 und 2025 entscheidend, inwieweit ein Unternehmen sich noch zu tieferen Kakaobohnenpreisen abgesichert hat», sagt Patrik Schwendimann, Senior Equity Analyst Food & Luxury Goods bei der Zürcher Kantonalbank.
Spürbar an der SIX
Selbst Barry Callebaut, der weltweit grösste Hersteller von Massenschokolade, hat mit den steigenden Kakaopreisen zu kämpfen.
Der Börsenwert des Schweizer Unternehmens ist im vergangenen Jahr um rund 30 Prozent gesunken, und das Unternehmen hat im Rahmen einer Umstrukturierung rund 18 Prozent seiner Belegschaft entlassen und Fabriken in der Nähe von Hamburg und in Malaysia geschlossen. Der Umsatz für die erste Hälfte des Geschäftsjahres 2024 lag über den Erwartungen, aber ein negativer freier Cashflow von 1,12 Milliarden Franken zeigt die Kostenbelastung durch die Rohstoffpreise.
Steinhoffs Georgia Ramon bedient eine Kundschaft, die es gewohnt ist, höhere Preise für seine Schokoladenspezialitäten zu zahlen. Das Unternehmen prüfe andere Möglichkeiten, um die Kosten zu senken und die Belastung für die Kunden zu begrenzen, so Steinhoff.
Für andere Unternehmen könnte es jedoch schwieriger sein, die höheren Ausgaben zu bewältigen. Viele Süsswarenhersteller haben Verträge mit Einzelhändlern, die den Verkauf ihrer Produkte zu bestimmten Preisen vorschreiben. Wenn diesen Herstellern die Rohstoffe ausgehen, könnte es schwieriger für sie werden, ihre Kosten zu decken.
«Es gibt immer noch eine robuste Nachfrage nach hochwertigen Produkten, sowohl für Geschenke als auch für den Genuss», sagt Diana Gomes, Senior Analystin bei Bloomberg Intelligence. «Bei den Massenmarken, die den Grossteil der Schokoladenindustrie ausmachen, ist das Gegenteil der Fall.»
Die Aachener Printen- und Schokoladenfabrik Henry Lambertz stellt — häufig mit Schokolade überzogene — Lebkuchen her, die zur deutschen Weihnachtstradition gehören wie Christstollen und Weihnachtsmärkte. Kakao und Zucker machen etwa 70 Prozent der Rohstoffkosten aus, und das Unternehmen ist sich noch nicht sicher, um wie viel es die Preise bis zum Winter erhöhen muss.
Hürde um Hürde erschweren die Süsse
«Es ist eine weitere Erschwernis für die Süsswarenbranche, die nach Corona und in Folge der Preiserhöhungen nach Ausbruch des Ukrainekrieges schon sehr unter Druck war», sagt Hermann Bühlbecker, Alleingesellschafter des Unternehmens. «Und das wird weiter zu einer Konzentration führen.»
Auch Chocolats Camille Bloch, der Schweizer Hersteller von Ragusa- und Torino-Riegeln, kündigte kürzlich Preiserhöhungen an, nachdem er versucht hatte, die Kosten zu senken, ohne Vollzeitbeschäftigte zu entlassen.
Im Jahr 2022 beschloss das Unternehmen, seine 400 Tonnen Kakao ausschliesslich aus Peru zu beziehen. Obwohl das Land weniger von Missernten und Schädlingen betroffen ist als Westafrika, stiegen die Bohnenpreise dennoch auch dort.
Das Unternehmen verfügt über keine grossen Lagerbestände und kauft die Bohnen in der Regel etwa vier Monate im Voraus. Sie haben Vereinbarungen über bestimmte Mengen und Qualitäten der Bohnen getroffen, die sie dann zu Spotpreisen kaufen.
«Das bringt uns heutzutage wirklich ins Schwitzen», sagt Jessica Herschkowitz, eine Sprecherin des Unternehmens.
Doch nicht nur die Gewinne sind durch die teuren Bohnen gefährdet, auch die Firmenidentität ist in Gefahr.
Schokoladen mit dem Label Swiss Made müssen bei den Zutaten bestimmte regionale Standards – einschliesslich Milch und Zucker – erfüllen und zu einem erheblichen Teil im Inland hergestellt werden, wo die Löhne in der Regel höher sind als im Ausland.
Toblerone, die zu Mondelez International gehört, hat sich jedoch anders entschieden und auf das Matterhorn-Markenzeichen zugunsten einer billigeren Produktion in der Slowakei verzichtet. Auch Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli sowie Nestlé kennzeichnen nur einige ihrer Produkte als Schweizer Erzeugnisse, nachdem sie grosse Teile ihrer Produktion in andere Länder verlagert haben.
Während des Zweiten Weltkriegs begann Camille Bloch damit, die Riegel mit Haselnusscreme zu füllen, um die kriegsbedingte Rationierung von Kakaobohnen zu überleben. Der Hersteller prüft nun, ob die Produktion unter den gegebenen gesetzlichen Regeln rentabel bleiben kann.
«Die Kosten für das Schweizer Kreuz müssen in einem vernünftigen Rahmen bleiben», so Herschkowitz.
(Bloomberg)