Die Bundesregierung hat vor dem Wohnungsgipfel am Montag im Kanzleramt zahlreiche Massnahmen beschlossen, um die kriselnde Baubranche zu stabilisieren. So sollen eigentlich ab 2025 geplante Klimaschutzvorgaben zur stärkeren Dämmung neuer Häuser nicht kommen, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Ausserdem sollen Familien stärker als bisher zinsvergünstigte Baukredite bekommen können. Bessere Abschreibungsmöglichkeiten wurden zuletzt bereits vom Kabinett auf den Weg gebracht. Kanzler Olaf Scholz und Bauministerin Klara Geywitz (beide SPD) wollen die Massnahmen am Nachmittag in Berlin vorstellen.
Grünen-Politiker Habeck sagte, mit der Einführung des Gebäudeenergiegesetzes sei sichergestellt, dass Neubauten ab 2024 klimafreundlich heizen. «Deshalb halte ich es nicht mehr für nötig, jetzt auf die Schnelle den neuen Standard EH 40 einzuführen.» Dieser hätte eine stärkere Dämmung neuer Häuser vorgeschrieben. «Das kann noch warten, vor der EU-Gebäuderichtlinie macht es auch keinen grossen Sinn. Daher sehe ich diesen neuen Standard in dieser Legislaturperiode nicht mehr.» Die von der Baubranche immer wieder als zu teuer kritisierten Pläne werden damit wohl bis Ende 2025 nicht kommen.
Unterdessen sollen die staatlich geförderten Kredithöchstbeträge für Familien um 30.000 Euro angehoben werden, wie es im Beschlusspapier der Regierung für den Gipfel heisst. Ausserdem werde die Grenze des zu versteuernden Einkommens, bis zu dem ein zinsvergünstigtes Darlehen beantragt werden könne, von 60.000 Euro im Jahr auf 90.000 Euro im Jahr hochgesetzt. «Das ist schon eine ziemliche Ausweitung», sagte Geywitz in der ARD. Die Baubranche sei aber insgesamt grösser als der Automobilwirtschaft in Deutschland, weswegen nicht überall Zinssubventionen gezahlt werden könnten. «Das ist unrealistisch.»
Mit dem Rücken zur Wand nach schnellem Zinsanstieg
Die Baubranche steckt nach dem rasanten Zinsanstieg, mit dem die hohe Inflation bekämpft werden soll, in Finanzierungsnöten - vor allem Projektentwickler. Im ersten Halbjahr 2023 sind die Baugenehmigungen um gut 27 Prozent eingebrochen. Die Baupreise waren im zweiten Quartal um knapp neun Prozent zum Vorjahr gestiegen. Das Ziel der Regierung, dass 400.000 neue Wohnungen im Jahr gebaut werden, ist in weiter Ferne.
«Wir müssen die Standards senken», sagte Geywitz daher. Habeck ergänzte, es gehe jetzt darum, stärker die Baustoffe in den Blick zu nehmen, so dass diese möglichst klimafreundlich seien. «Bei der für 2024 geplanten Novellierung des Vergaberechts werden wir deshalb dafür Sorge tragen, dass Nachhaltigkeitskriterien unbürokratischer, einfacher und dadurch besser zum Tragen kommen.»
In dem Beschlusspapier verabschiedet sich die Ampel von ihrem Vorhaben, auf EU-Ebene eine Sanierungspflicht einzuführen. Die Regierung wolle sich zwar für anspruchsvolle Sanierungsquoten für den gesamten Gebäudebestand einsetzen, man wolle aber verpflichtende Sanierungen einzelner Wohngebäude ausschliessen. In Städten und Kommunen mit angespannten Wohnungsmärkten solle der Bau von bezahlbarem Wohnraum vereinfacht werden. Dazu solle im Baugesetzbuch eine Sonderregelung bis Ende 2026 geschaffen werden. Ausserdem werde ein Wohneigentumsprogramm «Jung kauft Alt» für den Erwerb von sanierungsbedürftigen Bestandsgebäuden aufgelegt. Die Mittel dafür sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Ein Volumen wurde allerdings nicht genannt.
Die Regierung zeichnet ein schwieriges Bild der Branche. «Die Kapazitätsauslastung im Bau liegt zwar derzeit noch bei über 70 Prozent, sie wird aber nicht auf diesem Niveau anhalten. Daher bedarf es jetzt weiterer Anstrengungen, um die Bau- und Wohnungswirtschaft zu stabilisieren», so die Regierung. «Insolvenzen und ein Stellenabbau müssen möglichst vermieden werden.»
Für Juli veröffentlichte das Statistische Bundesamt allerdings sehr positive Zahlen für die Baubranche - mit dem grössten Auftragsplus seit gut anderthalb Jahren. Das Neugeschäft im Bauhauptgewerbe wuchs demnach inflationsbereinigt um 9,6 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Wesentlich schlechter fiel allerdings die Bilanz für die ersten sieben Monate des Jahres aus: Hier brachen die Aufträge um 10,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein.
(Reuters)