Meldungen aus den Unternehmen in der vergangenen Woche beleuchten die konjunkturelle Seite der Misere schlaglichtartig: Der viel beachtete Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts hat sich im Juli zum dritten Mal verschlechtert. Von S&P Global befragte Einkaufsmanager in der Industrie und im Dienstleistungssektor äusserten sich pessimistischer.

Die Winterrezession, von der Bundeskanzler Olaf Scholz behauptete, sie werde nicht kommen, hat sich im zweiten Quartal zwar nicht fortgesetzt. Dennoch lässt die Stagnation des Bruttoinlandsprodukts für das zweite Jahr seiner Kanzlerschaft bestenfalls eine anämische Wirtschaftsentwicklung erwarten.

Die Wirtschaftsaussichten für Deutschland sind eingetrübt.

Die Wirtschaftsaussichten für Deutschland sind eingetrübt.

Quelle: Bloomberg

Die Umfrageergebnisse und Statistiken sind ein weiteres Indiz für tiefere Verwerfungen in der gesamten deutschen Industrielandschaft. Der Internationale Währungsfonds sagt dem Land als einzigem G7-Mitglied eine wirtschaftliche Kontraktion voraus. Könnte Deutschland in seine unrühmliche Rolle als Eurozonen-Bremsklotz zurückfallen?

Gibt es strukturelle Probleme?

"Die Rezession ist nicht wirklich die grösste Frage — die Frage ist eher, ob wir ein strukturelles Problem haben. Und das haben wir", sagt Thomas Mayer, Geschäftsführer und Gründer des Flossbach von Storch Research Institute. "Wir sind in eine Situation geraten, in der wir meiner Meinung nach zu Recht den Titel des neuen kranken Mannes von Europa verdienen."

Zuletzt trug Deutschland dieses Prädikat in den 1990er Jahren, als die Diagnose lautete, dass ein überbordender Sozialstaat Wachstum und Beschäftigung lähmte. Bundeskanzler Gerhard Schröder setzte Anfang der 2000er Jahre die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen dagegen.

Die Schwächephase dauerte bis weit in dieses Jahrhundert hinein und sorgte dafür, dass das deutsche Wirtschaftswachstum mehr als ein halbes Jahrzehnt lang hinter dem italienischen zurückblieb. Bis in die jüngste Vergangenheit galt dann wieder der industrielle Konkurrent jenseits der Alpen als grösstes Sorgenkind der Eurozone.

In den letzten Jahren läuft die italienische Wirtschaft besser.

In den letzten Jahren läuft die italienische Wirtschaft besser.

Quelle: Bloomberg

Heute wird eine Wirtschaft, die an Fachkräftemangel leidet und ihre Produktivität kaum steigern kann, durch eine Energiekrise zusätzlich belastet. Gleichzeitig bedroht der zunehmende globale Wettbewerb im Bereich der Elektrofahrzeuge die deutsche Automobilindustrie, die nach wie vor das Rückgrat der Wirtschaft darstellt.

Unterdurchschnittliche Entwicklung eine Tatsache

Auch wenn die von IWF und Bundesbank für Deutschland erwartete Schrumpfung von 0,3 Prozent für das Gesamtjahr nicht riesig ist, so ist sie doch bedeutsam: Das letzte Mal, dass die deutsche Wirtschaft schrumpfte, während die italienische wuchs, war im Jahr 2003.

"Diese unterdurchschnittliche Entwicklung ist nicht nur eine Prognose, wir sehen sie bereits, sie ist bereits da", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank AG, mit Blick auf die schwache Industrieproduktion. "Ich sage ja seit längerem schon, dass wir für das zweite Halbjahr eine erneute Rezession sehen."

Die Beschäftigung ist ein Lichtblick. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 5,7 Prozent weiterhin nur einen Prozentpunkt von ihrem Allzeittief entfernt, und daran dürfte sich auch bei den am Dienstag anstehenden Daten nicht viel ändern. Allerdings hat die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen nach Angaben des Ifo-Instituts merklich abgenommen.

"Gegenwärtig halten sich positive und negative Antworten genau die Waage", sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen. "Nahezu alle Branchen werden vorsichtiger bei Neueinstellungen."

Der IWF sieht die deutsche Wirtschaft im Rückwärtsgang.

Der IWF sieht die deutsche Wirtschaft im Rückwärtsgang.

Quelle: Bloomberg

Noch stützt ein robuster Arbeitsmarkt in einer Zeit hoher Inflation aber den Konsum. Arne Freundt, Vorstandsvorsitzender der Puma SE, sprach in dieser Woche von einer "stabilen Nachfrage" in Deutschland nach Sneakern und der Sportmode seines Unternehmens. Der Finanzvorstand der Volkswagen AG, Arno Antlitz, zeigte sich ähnlich zuversichtlich.

"Es gibt eine gewisse Unsicherheit auf Seiten der Kunden in Bezug auf die Inflation, aber ich persönlich erwarte keine Rezession in den nächsten Quartalen", sagte er gegenüber Bloomberg TV.

Bezahlbare Energieerzeugung eine besondere Herausforderung

Die Schwierigkeiten Deutschlands unterscheiden sich teilweise nicht von denen seiner regionalen Konkurrenten, aber das anhaltende Problem der bezahlbaren Energieerzeugung — eine Folge der langjährigen Abhängigkeit von russischem Gas und der politisch begründeten Ablehnung der Kernenergie — bleibt eine besondere Herausforderung.

Krämer zufolge ist die teure Energie einer der Hauptgründe für die sinkende Qualität des Produktionsstandortes Deutschland. Aufgrund der Energiepolitik der Bundesregierung werde der Strom wahrscheinlich noch viele Jahre lang deutlich teurer sein als im Rest der industrialisierten Welt, so der Commerzbank-Ökonom.

Die Konzentration der Wirtschaft auf die Produktion benzinschluckender Autos, während die Konkurrenten die Produktion von Elektrofahrzeugen hochfahren, ist ein weiteres Problem, und die Erfahrungen von Volkswagen mit Nachfrageeinbrüchen in China waren mit ein Grund für die Senkung der Absatzprognose am Donnerstag.

Für David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutsche Bank AG, ist das Ende der Fahnenstange damit noch nicht erreicht.

"Vor allem die Deutschen, die über einen grossen Produktionssektor verfügen, fallen gegenüber den USA stark zurück, weil die technologische Kluft immer grösser wird", sagte er letzten Monat gegenüber Bloomberg TV. Die Subventionspläne der US-Regierung vergrösserten diesen Rückstand noch.

AfD profitiert von wachsenden Ängsten

Die Zukunft nicht zu verspielen ist daher eine der Hauptsorgen von Scholz und seinen politischen Beratern, die den Aufstieg der Alternative für Deutschland auf wachsende Ängste über die langfristigen Wohlstandsaussichten zurückführen. Laut einer am 23. Juli veröffentlichten Meinungsumfrage liegt die Rechtspartei bei einem Rekordwert von 22 Prozent.

Die einzige grosse wirtschaftspolitische Initiative der Ampelkoalition besteht derzeit nicht aus Schröderscher Strukturpolitik, sondern dem Klima- und Transformationsfonds, mit dem vor allem Geld auf das Problem geworfen wird. Die jüngste Massnahme, die in der vergangenen Woche bekannt wurde, sieht 20 Milliarden Euro vor, um die Halbleiterproduktion zu fördern und den Technologiesektor des Landes zu stärken.

Damit liegt der Schwerpunkt auf den Grossunternehmen. Das traditionelle Rückgrat des deutschen Wohlstands ist jedoch der Mittelstand — das engmaschige Netz kleinerer, oft familiengeführter Unternehmen mit gut ausgebildeten Fachkräften, deren spezialisierte Produkte seit langem die Grundlage für die Exportstärke des Landes bilden. Hier könnte sich das Schicksal Deutschlands als grosse Volkswirtschaft entscheiden.

"Die Formel für den deutschen Erfolg war Fleiss, gute Bildung und billige Energie", sagt Mayer von Flossbach Research, der all diese Faktoren nun in Auflösung sieht. "Wir arbeiten weniger Stunden pro Jahr, wir haben eine Erosion in unserem Bildungssystem und die Ära der billigen Energie ist vorbei."

(Bloomberg)