Der Internationale Gerichtshof (ICJ) in Den Haag befasst sich mit dem Vorwurf des Völkermordes gegen Israel. Diese Klage hat Südafrika vor dem höchsten UN-Gericht wegen des Krieges im Gazastreifen vorgebracht und verlangt als Sofortmassnahme die Aussetzung des israelischen Militäreinsatzes in dem Palästinenser-Gebiet. Zudem wirft Südafrika Israel Apartheid vor - genau das als Völkerrechtsverbrechen definierte System von Rassentrennung, das Südafrika 1994 abgeschafft hat. Nachdem Südafrika am Donnerstag seine Position dargelegt hat, erhält Israel am Freitag Gelegenheit zur Erwiderung.

Die Urteile des ICJ sind endgültig und können nicht angefochten werden. Das höchste UN-Gericht hat jedoch keine Möglichkeit, sie durchzusetzen. Allerdings dürfte ein Urteil gegen Israel dessen Ruf in der Welt erheblich schaden.

Im Folgenden Details zu Gericht und Fall:

Der internationale Gerichtshof ICJ

Der Internationale Gerichthof ist das höchste Rechtsorgan der Vereinten Nationen (UN) und wird daher auch Weltgericht genannt. Der 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Gerichtshof befasst sich mit Streitigkeiten zwischen Staaten. Er unterscheidet sich hier vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC): Dieser sitzt ebenfalls in Den Haag, behandelt aber Fälle von Kriegsverbrechen, die Einzelpersonen vorgeworfen werden.

Dem ICJ gehören 15 Richterinnen und Richter an. Im aktuellen Fall wird das Gremium um je einen Zusatzrichter für Kläger und Beklagten erweitert, da sie keinen Richter ihrer Nationalität im Gerichtshof sitzen haben. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entsandte Aharon Barak nach Den Haag - den 87-jährigen früheren Präsidenten des Obersten Gerichthofes in Israel, dessen Befugnisse die israelische Regierung beschneiden wollte, und Holocaust-Überlebenden.

Der ICJ befasst sich mit Grenzstreitigkeiten und zunehmend auch mit Fällen, in denen Staaten einander vorwerfen, gegen Verpflichtungen aus UN-Verträgen verstossen zu haben. Südafrika und Israel haben beide die Völkermordkonvention von 1948 unterzeichnet, die dem Gerichtshof die Zuständigkeit gibt, über Streitigkeiten über diesen Vertrag zu entscheiden.

Die Palästinenser, deren Schicksal Gegenstand des Verfahrens ist, spielen in Den Haag keine offizielle Rolle, denn sie sind kein Mitgliedsstaat der UN. Alle Staaten, die die unter dem Eindruck des Holocausts entstandene Völkermordkonvention unterzeichnet haben, sind verpflichtet, keinen Völkermord zu begehen sowie ihn zu verhindern und zu bestrafen. Der Vertrag definiert Völkermord als «Handlungen, die mit der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören».

Der Vorwurf Südafrikas gegen Israel

Auf 84 Seiten erhebt Südafrika den Vorwurf, dass Israel Völkermord an den Palästinensern begeht, indem es sie im Gazastreifen tötet, ihnen schwere seelische und körperliche Schäden zufügt und Lebensbedingungen schafft, «die darauf ausgelegt sind, ihre physische Zerstörung herbeizuführen».

So wird aufgeführt, dass Israel es versäumt, während des mehr als drei Monate dauernden Krieges gegen die radikale Hamas die Bevölkerung im Gazastreifen mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten, Treibstoff, Unterkünften und anderer humanitärer Hilfe zu versorgen. Hingewiesen wird auf die anhaltende Bombardierung des schmalen Küstenstreifens, die weitreichende Zerstörung, die erzwungene Flucht von rund 1,9 Millionen der insgesamt etwa 2,3 Millionen Einwohner und die nach palästinensischen Angaben mehr als 23.000 durch israelische Angriffe getöteten Menschen.

«Die Taten sind alle Israel zuzuschreiben, das es versäumt hat, Völkermord zu verhindern, und Völkermord unter offensichtlicher Verletzung der Völkermordkonvention begeht», erklärt Südafrika. Israel habe es auch unterlassen, die Anstiftung zum Völkermord durch seine eigenen Vertreter unter Verletzung der Völkermordkonvention einzudämmen. Südafrika fordert das Gericht auf, Sofortmassnahmen zu verhängen, um solche mutmasslichen Verstösse durch Israel zu beenden. Israel müsse seine Offensive sofort stoppen, erklärte Südafrika vor dem Gerichtshof. Denn sie ziele darauf ab, «die Vernichtung der Bevölkerung» des Gazastreifens herbeizuführen.

Israels Reaktion

Israel hat die Vorwürfe bereits zurückgewiesen und Südafrika vorgeworfen, als Sprachrohr der islamistischen Hamas zu fungieren, die die Zerstörung des israelischen Staates anstrebe.

Präsident Isaac Herzog hat den vor dem Internationalen Gerichtshof vorgebrachten Fall als «grausam und absurd» bezeichnet. «Wir werden vor dem Internationalen Gerichtshof anwesend sein und stolz unseren Fall der Selbstverteidigung im Rahmen unseres inhärenten Rechts nach dem humanitären Völkerrecht präsentieren.»

Unter anderem die USA, Israels engster Verbündeter, und Deutschland haben erklärt, sie teilten die Einschätzung Südafrikas nicht.

Die israelische Regierung hat wiederholt mitgeteilt, sie unternehme grösste Anstrengungen, um zivile Opfer im Gazastreifen zu vermeiden. Israel verteidige sich selbst. Tatsächlich ist die massive Offensive des israelischen Militärs aus der Luft, vom Meer aus und am Boden eine Reaktion auf den überraschenden Angriff der Hamas auf den Süden Israels. Bei dem Überfall wurden nach israelischen Angaben 1200 Menschen getötet, 240 Menschen wurden in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden dort rund 130 Geiseln festgehalten.

Anhörungen und Stellungnahmen von Südafrika und Israel

Beide Seiten erhalten jeweils zwei Stunden Zeit, vor Gericht ihre Position darzulegen und für oder gegen Sofortmassnahmen zu argumentieren. Zeugenaussagen oder Kreuzverhöre gibt es nicht. Die Präsentation besteht hauptsächlich aus juristischen Argumenten, die von Vertretern der beiden Staaten und ihren Teams internationaler Anwälte vorgebracht werden.

Das Ersuchen um Sofortmassnahmen ist ein erster Schritt in einem Fall, dessen Bearbeitung mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Sie sind als eine Art einstweilige Verfügung gedacht, um zu verhindern, dass sich ein Streit verschärft, während das Gericht den Fall insgesamt prüft. Eine endgültige Entscheidung über die Völkermordvorwürfe Südafrikas wird das Gericht erst dann treffen, wenn der Fall in der Sache verhandelt wird.

In den Anhörungen in dieser Woche geht es nur um die mögliche Gewährung von Sofortmassnahmen seitens der Richter. Sie bestehen in der Regel darin, einen Staat aufzufordern, alles zu unterlassen, die den Rechtsstreit verschärfen könnten. Südafrika hat das Gericht gebeten, Israel anzuweisen, seine Militäraktionen im Gazastreifen auszusetzen, jegliche Akte des Völkermordes zu stoppen oder angemessene Massnahmen zur Verhinderung von Völkermord zu ergreifen und dem ICJ regelmässig Berichte über solche Massnahmen vorzulegen. Eine Entscheidung über die Massnahmen wird in den Wochen nach den Anhörungen erwartet.

Das Urteil des internationalen Gerichthofes

Sollte das Gericht feststellen, dass es auf den ersten Blick (prima facie) zuständig ist, wird der Fall im Friedenspalast in Den Haag weiterverhandelt. Das gilt auch dann, wenn die Richter sich gegen Sofortmassnahmen entscheiden sollten. Israel hätte dann eine weitere Möglichkeit zu argumentieren, dass das Gericht keinen rechtlichen Grund habe, die Klage Südafrikas zu prüfen und einen sogenannten vorläufigen Einspruch einzureichen – der nur Fragen der Zuständigkeit berühren kann. Sollte das Gericht diesen Einspruch zurückweisen, könnten die Richter den Fall in weiteren öffentlichen Verhandlungen prüfen.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass zwischen der ursprünglichen Klageerhebung und der tatsächlichen Verhandlung des Falles mehrere Jahre vergehen. 

(Reuters)