Seit Februar dieses Jahres, als die Weltwirtschaft aufgrund des Corona-Lockdowns in die Krise stürzte, haben sich Millionen amerikanischer Neuanleger unter anderem mit ihren 1200-Dollar-Stimulus-Checks von der US-Regierung auf "Gratis"-Börsenhandelsplattformen gestürzt. Die Neu-Anleger versuchen, dank der Marktturbulenzen reich zu werden. 

Eine dieser Plattformen ist Robinhood. Sie wurde 2013 von Vladimir Tenev (33) und Baij Bhatt (35) ins Leben gerufen. Die Jungunternehmer kopierten dabei die Geschäftsformel, die Facebook bekannt und erfolgreich machte: Die dazugehörnde App ist gratis, einfach zu bedienen und macht geradezu "süchtig". Die Zielgruppe ist dabei explizit die Generation Y, wie Tenev gegenüber CNBC sagte.

Dazu ist das Layout minimalistisch gehalten: Den Handelsauftrag geben Nutzer per Tippgesten auf. Die Auftragsausführung erfolgt mit einem "Swipen" nach oben. Auf Robinhood kann man mit einem einzigen Wisch Aktien oder andere Wertschriften handeln. Dies ist Trading für die Generation von Tinder, Instagram und Snapchat oder Tiktok. Versehen mit einem Touch Gaming.

Und die Handelsplattform mit dem Namen des legendären Mittelalter-Helden und selbst ernannten Wohltäters hat vordergründig eine Mission, die selbst hartgesottene Kapitalismuskritiker überzeugen kann: Die "Demokratisierung" der Finanzmärkte. Wer kann schon dagegen sein?

Robinhood ist disruptiv

Das Unternehmen selbst mausert sich gerade zum Corona-Profiteur und wächst mit beeindruckendem Tempo. Seit Januar wurden drei Millionen neue Accounts eröffnet – insgesamt tummeln sich aktuell mehr als 13 Millionen Anleger auf der Plattform. Und wie CNBC unter Verweis auf Dokumente der US-Börsenaufsicht SEC berichtet, verdoppelte Robinhood allein im zweiten Quartal (180 Millionen Dollar) den Umsatz gegenüber dem Vorquartal. Der Umsatz soll dieses Jahr insgesamt noch 700 Millionen Dollar erreichen. Das ist ein Plus von 250 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 

Das Geschäftsmodell von Robinhood schickt dabei Schockwellen durch den Finanzmarkt. Die traditionellen Handelsplattformen von Banken mit ihren relativ hohen Trading-Gebühren sind mehr und mehr unter Druck. Der US-Broker Charles Schwab hat im Oktober 2019 wegen Robinhood die Gebühren ebenfalls aufgehoben - TD Ameritrade, ETrade, Ally Invest und Fidelity folgten kurz darauf. Dabei konnte nur TD Ameritrade seine Position bezüglich des Umsatzes im zweiten Quartal vor Robinhood vorerst noch behaupten.

Selbst an der Börse ist der Einfluss der Handelsplattform Robinhood nicht mehr zu übersehen. Die Robinhooder bewegen sprichwörtlich den Markt: Der Autobauer Tesla, der Cannabisproduzent Cronos, der Casinobetreiber Penn National Gaming , das Sofwareunternehmen Zoom und vor allem der insolvente Autoverleiher Hertz werden rege getradet und im Kurs bewegt. 

Robinhood profitiert von den sozialen Medien

Dabei hilft es Robinhood, dass wenige unerfahrene Trader mit Optionshandel wirklich reich geworden sind. Diese fungieren als Vorbild für eine ganze junge Generation. Sie motivieren diese per Youtube-Video, Instagram oder Twitter zum Traden und versprechen schnelle Gewinne - Gratiswerbung für Robinhood. Illustrierend ist hierbei das untenstehende Youtube-Video, in dem ein Robinhood-Nutzer seine Handelsstrategie im Optionshandel darlegt.

Dabei sind die Risiken des Optionshandel wohlbekannt – diese wurden lange Zeit nur von den besten Hedgefonds gehandelt. Mit Optionen spekuliert man einfach gesagt auf die Entwicklung eines Basiswerts (Aktien, Staatsanleihen, Rohstoffe). Meist geht das mit einem Hebel auf die Kurse einher. Das Gewinnpotenzial ist dabei sehr gross - aber auch die Möglichkeit zu einem Totalverlust oder finanziellem Ruin. Dank Robinhood versuchen sich jetzt Millionen an unerfahrenen Tradern daran. 

Cash.ch hat hier schon über Robinhood berichtet:
Wie die «Robinhood-Generation» Aktienkurse treibt – und Daytrader davon profitieren können
Auf diese fünf «gestückelten» Aktien stürzt sich die «Robinhood-Generation»
«Robinhooders» pushen Kodak-Aktie um 470 Prozent - Verdacht des Insiderhandels

Wie schnell das schief gehen kann, zeigte der Fall eines 20-jährigen Robinhood-Traders, der Anfang Juni Selbstmord beging, nachdem er beim Handeln mit Optionen einen Betrag von minus 730'000 Dollar offenbar als Verluste fehlinterpretierte. Tatsächlich war die Gegenseite des Handels noch nicht ausgeführt, weshalb die App den irreführenden Fehlbetrag auswies. Dieser Vorfall rückte Robinhood gar in den Fokus des amerikanischen Kongresses.

Die Nutzer sind das eigentliche Produkt

Es gibt eine weitere dunkle Seite der Medallie – wie bei Facebook: Das Geschäftsmodell von Robinhood besteht darin, die Nutzerdaten an die Grossen der Wall Street zu verkaufen. So gesehen sind die Nutzer sind das eigentliche Produkt.

Die Gründer Vladimir Tenev und Baij Bhatt haben eine Vergangenheit im Hochfrequenzhandel. Daher ist es kaum erstaunlich, dass Robinhood im Hintergrund die Handelsgeschäfte an sogenannte Market-Maker verkauft. Dies sind grosse im quantitativen Handel tätige High-Tech-Unternehmen wie Citadel Securities, Two Sigma Securities, Susquehanna International Group und Virtu Financial.

Diese sogennanten Market Maker durchleuchten mit ihren Algorithmen die Handelsaufträge der Robinhooder und versuchen dadurch Profit zu machen, indem sie den Bid- und Askpreis minim zu ihren Gunsten verändern. Robinhood verdient einen Anteil an den Spreads, die sie diesen Unternehmen, den sogenannten "Quants", verkaufen. Ungefähr 70 Prozent der Einnahmen von Robinhood stammen aus diesem Geschäft – die Verlierer sind die Anleger.

Das Geschäftsmodell von Robinhood ist an sich legitim. Doch sollte dieses den Benutzern bewusst und bekannt sein. Genau an diesem Punkt setzt eine Untersuchung der amerikanischen Börsenaufsicht SEC an. Robinhood könnte, wie das Wall Street Journal berichtet, eine Strafe von 10 Millionen Dollar kassieren, da der Verkauf von Handelsaufträgen an High-Tech-Unternehmen nicht vollständig deklariert ist.

Robinhood fördert hochriskanten Optionshandel

Grundsätzlich könnte Robinhood auch die Handelsaufträge direkt an die New York Stock Exchange senden. Dort würde dann ein Käufer oder Verkäufer gesucht. Dies wäre aber den Einnahmen abträglich und so versinken die Aufträge in den "Dark Pools" der Quants. Wie Focus Online berichtet, agieren die Market Maker in diesen abgetrennten und nicht-öffentlichen Märkten vermutlich mit anderen Spreads, um höhere Profite zu erzielen. Ein öffentliches Orderbuch gibt es nicht.

Um dieses Geschäft noch mehr anzutreiben, forciert Robinhood aktiv den Optionshandel. Denn bei diesem sind die Spreads wegen des geringeren Volumens grösser. So ist nicht erstaunlich, dass der Button "Trade Options" auf der App über dem Button "Buy" programmiert ist. 12 Prozent der Robinhooder handeln mit Optionen und gut 111 Millionen der 180 Millionen Dollar Quartalsumsatz stammen aus dem Optionshandel.

Es sei "zweifellos", dass die Retail-Broker ihre Kunden in Optionen steuern wollen, sagte Tim Welsh, CEO der Beratungsfirma Nexus Strategy  gegenüber CNBC. Und er fügte an: "Jede Studie der Welt zeigt, dass laienhafte Daytrader kein Geld machen. Doch Plattformen wie Robinhood machen Trading kostenlos, gamifizieren es, und werfen dir nach jedem Trade Konfetti zu."

Nutzer geben das Wertvollste preis

Und selbst die "Stop Loss Limit Orders" werden, wie Forbes berichtet, kommerzialisiert. Bei diesem Handelsauftrag wird beim Unterschreiten einer gesetzten Kursmarke automatisch eine Verkaufsorder in den Markt gestellt. Diese werden an die Hochfrequenzhändler beim Anlegen direkt verkauft – der Anleger gibt sein Verkaufspreisgeheimnis preis. Und dies ist das Wertvollste, was die Unternehmen von Robinhood kaufen können - Marktbewegungen können damit von den Käufern antizipiert und ausgenutzt werden.

Dieses eher rücksichtslose Geschäftsgebaren schreckt die Investoren nicht ab. Nein, viele sehen in Robinhood das Facebook aus frühen Jahren. So haben Risikokapitalgeber erst kürzlich 800 Millionen Dollar eingeschossen, so dass der geschätzte Wert von Robinhood neu bei 11,2 Milliarden Dollar liegt. Unter den Investoren befinden sich der Wagniskapital-Investitionsarm von Alphabet, der Risikokapitalgeber Kleiner Perkins, die Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft Sequoia Capital und das Investmentunternehmen D1.

Im Endeffekt zahlt man für das Gratistrading einen Preis – dieser ist auf den ersten Blick einfach nicht sichtbar. Denn es gilt immer noch: "There is no such thing as a free lunch."
 

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