cash.ch: Herr von Mandach, Sie schreiben in einer ihrer jüngsten Publikationen, die Schweizerische Nationalbank (SNB) befinde sich in einer Sackgasse. Sie müsse mit einer expansiven Geldpolitik den Wechselkurs stützen, selbst wenn sie damit eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung aufs Spiel setzt. Wie begründet Sie diese Aussagen?

Johannes von Mandach: Die SNB hat durch umfrangreiche Devisenkäufe über Jahre hinweg eine extreme Bilanz aufgebaut. Bewegt sich der Franken, schwankt auch die Bilanz und es drohen Verluste. Das ist ein Stabilitätsrisiko. Deswegen kann die SNB eine kurzfristige Frankenaufwertung gar nicht tolerieren. Sie ist gezwungen, die Wechselkurse unter Kontrolle zu halten.

Warum genau aber geht das auf Kosten der Wirtschaftsentwicklung?

Um eine starke Aufwertung des Frankens zu verhindern, setzte die SNB in der Vergangenheit neben Devisenkäufen auf sehr tiefe Zinsen. Dabei war es ihr wichtig, eine gewisse Zinsdifferenz zur Europäischen Zentralbank (EZB) und zur amerikanischen Notenbank (Fed) aufrechtzuerhalten. Damit wollte sie verhindern, dass Anlagen in Franken attraktiv werden. Allerdings gab es in den letzten 10 Jahren durchaus Phasen, in denen eine restriktivere Geldpolitik Sinn gemacht hätte. Die Folge waren ein starkes Beschäftigungswachstum und ein allmählich aufkommender Inflationsdruck. Auch aktuell scheint die Geldpolitik ungewöhnlich expansiv.

Dass die SNB eine allzu starke Frankenaufwertung hemmen will, kommt der Exportwirtschaft zugute?

Gewiss, in einer offenen und exportstarken Volkswirtschaft wie der Schweiz sind die Wechselkurse für die gesamte Wirtschaftsentwicklung enorm wichtig. Doch es kommt auf die Güterabwägung an. Der Wechselkurs darf nicht zur zentralen Priorität werden, wenn dabei die Binnenkonjunktur vergessen wird. Denn so riskiert die SNB ein übermässiges Stellenwachstum, Inflation und einen bis zur Blasenbildung hochlaufender Boom am Aktien- und Immobilienmarkt. Zudem gibt es Exportsektoren, die zwar vom Wechselkurs abhängen, in denen aber andere Faktoren wichtiger sind.

Welche beispielsweise?

Nehmen Sie die Chemie- und Pharmaindustrie. Sie war in den vergangenen fünf bis sechs Jahren für rund die Hälfte des Wachstums in der Schweiz verantwortlich. Sie orientiert sich an langfristigen Investitionszyklen. Darum sind für sie die guten und stabilen Rahmenbedingungen in der Schweiz wichtiger als die Wechselkurse.

Aufgrund Ihrer Publikation lässt sich eine Brücke zwischen der SNB-Politik und der Zuwanderung schlagen. Inwieweit begünstigt die SNB mit ihrer Geldpolitik die Zuwanderung und damit das Bevölkerungswachstum?

Die Schweiz hat praktisch Vollbeschäftigung, und das inländische Arbeitskräftepotenzial ist weitgehend ausgeschöpft. Dennoch hat die SNB mit ihrer expansiven Geldpolitik in den letzten zehn Jahren ein starkes Beschäftigungswachstum in Kauf genommen. Diese Jobs können nur mit Arbeitskräften aus dem Ausland besetzt werden. Das heisst, das Stellenwachstum, das die Nationalbank zugelassen hat, führt fast zwangsläufig zu Zuwanderung - weil man die Arbeitskräfte nicht im Inland rekrutieren kann.

Der SNB-Leitzins liegt seit Mitte Dezember bei 0,5 Prozent. Bei einer Inflationsrate von 0,7 Prozent respektive einer Teuerung der Inlandgüter von 1,7 Prozent befinden wir uns real schon in den Negativzinsen. Was folgt daraus?

Stimmt, wir befinden uns bereits jetzt in einem Negativzinsszenario, zwar nicht nominal, aber real. Und die realen Zinsen sind entscheidend, weil nur sie - im Unterschied zu den nominalen Zinsen - die Kaufkraft einbeziehen. Die Auswirkungen negativer Realzinsen sind massiv. Unternehmen werden zu Fehlinvestitionen verleitet. Die Blasenblasenbildung am Immobilienmarkt geht weiter. Der Anreiz, Schulden aufzunehmen, steigt. Und der Sparanreiz fällt weg. Das hat auch erhebliche Konsequenzen für die Altersvorsorge. Und das alles ohne Not. Denn die Schweizer Konjunktur hat sich in diesem Jahr erholt und die inländische und von der Nationalbank beeinflussbare Inflation liegt bei 1,7 Prozent. Die Bedingungen für negative Realzinsen fehlen deshalb.

Die amerikanische Notenbank wird den Leitzins voraussichtlich nicht so stark weiter senken können wie bislang angenommen. Das sollte den Dollar stärken. Inwiefern gibt dies der SNB Luft?

Kurzfristig kann eine stärkerer Dollar der SNB entgegenkommen. Doch langfristig sind nicht die Zinsen, sondern die Inflationsunterschiede für die Wechselkurse massgebend. Und da ist klar, dass die Schweiz eine deutlich tiefere Inflation aufweist als die Eurozone und die USA. Gerade in den USA dürfte die Politik unter Präsident Donald Trump die Inflation mittelfristig erhöht halten. Der Franken dürfte deshalb weiter kontinuierlich aufwerten. Die Zinspolitik hilft dagegen nur kurzfristig, nicht aber langfristig. Zudem ist der Franken gemessen an den Kaufkraftparitäten derzeit fair bewertet. Die Aufwertung der Schweizer Währung der letzten Jahre hat lediglich die starken Preissteigerungen im Euroraum und in den USA ausgeglichen. Auch aus dieser Sicht besteht keine Notwendigkeit für eine stark expansive Geldpolitik.

Wie lautet Ihre Zinsprognose für die Schweiz für das kommende Jahr?

Zinsprognosen sind sehr unsicher, weshalb wir sie nicht machen. Es liegt aber auf der Hand, und die SNB hat in den letzten Wochen und Monaten immer wieder betont, dass die Zinsen weiter fallen können. Darauf muss man sich einstellen - und man wird dann genau hinterfragen müssen, ob dieses Szenario tatsächlich das Sinnvollste ist.

Johannes von Mandach ist Senior Economist beim Wirtschaftsberatungsunternehmen Wellershoff & Partners und für die volkswirtschaftlichen Analysen verantwortlich. Zuvor war er bei BAK Economics tätig - einem privaten und auf Makrökonomie spezialisierten Forschungsinstitut. Seinen Master in International and Monetary Economics erlangte er an der Universität Bern.

Reto Zanettin
Reto ZanettinMehr erfahren