Die Schweizerische Nationalbank (SNB) senkt den Leitzins in der Schweiz um 0,25 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent. Zudem sei die Nationalbank bereit, bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv zu sein, erklärte die SNB. Das sagen Ökonomen zu diesem Entscheid:

Philipp Burckhardt, Lombard Odier:

Der Markt war sich im Vorfeld des SNB-Zinsentscheids ausnahmsweise uneinig und hatte etwa eine 2/3 Wahrscheinlichkeit für eine Zinssenkung eingepreist. Wie schon im März erachten wir für den Schritt die erstarkte Währung als Hauptgrund. Konjunkturindikatoren haben sich seit März besser entwickelt, während die Inflation abgeschwächt hat. Somit balancieren sich diese zwei Argumente in etwa aus. Bei der Inflationsprognose wurden nur leichte Anpassungen vorgenommen und vor allem die langfristige Projektion leicht nach unten angepasst. Damit signalisiert die SNB das Selbstbewusstsein, auf dem richtigen Weg zu sein. Wir erwarten nun mittelfristig einen letzten Schritt zum neutralen Zins, aber unserer Meinung nach nicht schon während der nächsten Lagebeurteilung im September.

Arthur Jurus, Private Wealth Management ODDO BHF:

Diese Senkung war von den Analysten nicht erwartet worden, aber die Anleger hatten laut den Optionsmärkten mit einer Senkung um 25 Basispunkte gerechnet. Letztere erwarten einen SNB-Zinssatz von 1 Prozent im Dezember 2024. Die Unsicherheit über die Weltwirtschaft und die politischen Herausforderungen in Europa bleiben exogene Risiken. Für die SNB betrifft dieses Risiko eine zu starke Aufwertung des Schweizer Franken, die mit einem Rückgang der Importpreise einhergehen würde. Um die Inflation auf unter 1 Prozent zu senken, müsste die importierte Inflation im Jahresvergleich um 1,5 Prozent von derzeit -0,6 Prozent sinken, und das würde eine stärkere Aufwertung des CHF erfordern. Davon sind wir weit entfernt. Bisher haben die vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich seit dem 9. Juni und den Europawahlen zu einer Abwertung des EUR/CHF um 2 Prozent auf 0,95 geführt. Dieses Risiko hält sich in Grenzen, und wir sind EUR/CHF auf Sicht von 6 Monaten neutral, da wir die Zinsdifferenzen für das nächste Jahr angesichts der wirtschaftlichen Fundamentaldaten für fair halten.

Philipp Merkt, CIO PostFinance:

Die Argumente, welche die SNB bereits für die erste Zinssenkung im März 2024 angeführt hat, sind auch heute noch aktuell und haben für eine weitere Lockerung der Geldpolitik gesprochen. Einerseits scheint die Schweizer Inflation nachhaltig unter Kontrolle gebracht. Andererseits ist die Schweizer Konjunktur, die aufgrund des verminderten Inflationsdrucks wieder stärker in den Fokus der SNB gerückt ist, weiterhin schwach. Die Zinssenkung der SNB deshalb vor allem dazu dienen, den Schweizer Franken vor einer zu starken Aufwertung zu schützen und so die Exportwirtschaft zu stützen.

Brian Mandt, Luzerner Kantonalbank:

Die SNB lockert die Zinszügel weiter und gibt der Wirtschaft damit Süsses. Sie betreibt damit eine vorausschauende Geldpolitik - so wie man es von jeder Notenbank erwarten würde. Die Zinssenkung stützt die Wirtschaft, indem sie unter anderem Kredite günstiger macht. Gleichzeitig ist die Gefahr, dass sie damit die Inflation anheizt, gering. Die Inflationsaussichten schätzen wir daher für die kommenden Monate positiv ein. So erwarten wir, dass die Teuerungsrate dieses und nächstes Jahr mit durchschnittlich 1,2 Prozent beziehungsweise ein Prozent im Zielband der Nationalbank bleiben wird. Daher sehen wir Spielraum dafür, dass die SNB ihren Leitzins noch weiter senken wird. Wir gehen daher davon aus, dass die SNB den Leitzins bis in einem Jahr auf ein Prozent senken wird.

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank:

Die SNB handelt richtig. Hätte sie heute, was die Mehrheit der Volkswirte erwartete, stillgehalten, hätte das den Eindruck erwecken können, die SNB sei hinsichtlich ihrer Leitzinsreduktion im März unsicher. Darüber hinaus haben die Aufwertungen des Franken in den vergangenen Tagen sicherlich auch noch eine Steilvorlage für eine Zinsreduktion geliefert. Wir gingen deshalb von einer weiteren Zinssenkung aus.

Wir rechnen damit, dass die SNB im September pausieren wird. Die Währungshüter haben zuletzt betont, dass die Schätzung des natürlichen Zinses mit grosser Unsicherheit behaftet ist und dass der Gleichgewichtssatz möglicherweise gestiegen ist. Eine Pause im September gibt der SNB mehr Zeit für die Beurteilung ihres weiteren geldpolitischen Pfandes. Darüber hinaus besteht dann auch mehr Klarheit, wie sich die EZB und die Fed verhalten werden. Im Dezember dürfte dann eine neuerliche Zinsreduktion auf ein Prozent erfolgen. Die Marke von ein Prozent wird aus unserer Sicht dann eine vorläufige Untergrenze darstellen.

Karsten Junius, Chefökonom J. Safra Sarasin:

Wie von uns erwartet hat die SNB ihren Leitzins um 0.25 Prozent gesenkt, da der mittelfristige Inflationsdruck erneut abgenommen hat. Dies wurde zuletzt vor allem dadurch deutlich, dass die Inflation ohne die Mieten auf 0.9 Prozent gefallen sind. Dazu kommt, dass die SNB nur moderates Wachstum für die Schweiz feststellt. Sie erwartet, dass die Kapazitätsauslastung weiter zurückgeht und die Arbeitslosigkeit ansteigt. Passend zur Zinssenkung ist auch die Revision der langfristigen Inflationsentwicklung, die in der Absenkung der Prognose für 2026 auf 1.0 Prozent auf 1.1 Prozent zum Ausdruck kommt. Wir erwarten eine weitere Zinssenkung im September auf 1.0 Prozent - ein Zinsniveau, dass wir dann als neutral erachten würden.

Roberto Mandorino, J.P. Morgan:

Der Schritt überraschte die Anleger ein wenig und brachte eine willkommene Erleichterung für Franken-Bären nach der jüngsten Volatilität als Folge auf die Wahlen des Europaparlaments. Die makroökonomische Unsicherheit wird das Ausmass der Frankenschwäche in den kommenden Wochen wahrscheinlich begrenzen, aber wir erwarten, dass der abweichende Zinspfad gegenüber den meisten G10-Ländern die Währung in der zweiten Jahreshälfte belasten wird. SNB-Präsident Jordan scheint diese Währungsschwäche vorerst zu begrüssen, da er die Formulierung in seiner Erklärung, auf den Devisenmärkten aktiv zu sein, unverändert beibehalten hat.

Katja Müller, LBBW

Selbstverständlich war diese Zinssenkung nicht. Noch vor wenigen Wochen betonte SNB-Chef Thomas Jordan die wichtige Rolle des Schweizer Franken bei der Inflationsbekämpfung. Eine Reduktion des Leitzinses birgt das Risiko, dass die eidgenössische Währung abwertet. Dies hat sich nach der überraschenden Zinssenkung im März gezeigt. Aktuell ist die Verunsicherung an den Finanzmärkten durch die Ausrufung von Neuwahlen in Frankreich aber wieder gestiegen. Der als sicherer Hafen beliebte Franken bekommt dadurch reichlich Rückenwind. Die Stärke der eigenen Währung schaffte der SNB zusätzlichen Spielraum für die Zinssenkung.

Maxime Botteron, UBS

Die SNB bestätigte einen Rückgang des zugrunde liegenden Inflationsdrucks, der der Hauptgrund für die heutige Zinssenkung zu sein scheint. Etwas überraschend erwähnte die SNB die jüngste Aufwertung des Schweizer Frankens in ihrer Pressemitteilung nicht, was darauf schliessen lässt, dass die Frankenaufwertung nicht der Hauptgrund für die Zinssenkung war. Mit der jüngsten Zinssenkung liegt der Leitzins nun näher an seinem Endwert, den wir auf 1,00 Prozent schätzen. Dies bedeutet, dass das Potenzial für weitere Zinssenkungen begrenzt ist, es sei denn, die Inflation verlangsamt sich drastisch oder die Schweizer Wirtschaft gerät in eine Rezession. 

(cash/Reuters)