Die Währungshüter um EZB-Präsidentin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag auf ihrer Geldpolitik-Sitzung in Frankfurt zwar, den Leitzins weiter bei 4,50 Prozent und den am Finanzmarkt richtungsweisenden Einlagensatz bei 4,00 Prozent zu belassen.

Zugleich deuteten sie aber an, demnächst die Zinswende einzuleiten: «Sollte seine aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission die Zuversicht des EZB-Rats weiter stärken, dass die Inflation sich nachhaltig dem Zielwert annähert, wäre eine Lockerung der aktuellen geldpolitischen Straffung angemessen», erklärten die Euro-Wächter. Finanzmarktexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank:

«Tatsächlich klingt die EZB zufrieden: Die neu verfügbaren Daten hätten die bisherige Einschätzung der mittelfristigen Inflationsaussichten weitgehend bestätigt, so der Pressetext. Die Inflation sei weiter zurückgegangen und auch bei den meisten Messgrössen der zugrunde liegenden Inflation sei eine Entspannung zu verzeichnen. Das Lohnwachstum schwäche sich ab und die Unternehmen fingen über ihre Gewinne einen Teil der steigenden Arbeitskosten auf, so die EZB weiter. Dieser Wortlaut passt durchaus zu einer Zinssenkung im Juni. Wenn nun im Juni ein Zinsschritt nach unten vollzogen würde, werden weitere Lockerungen folgen. Lediglich eine Zinssenkung macht keinen Sinn. Es ist davon auszugehen, dass die Inflationsraten auf Sicht der kommenden Monate weiter fallen werden. Dies betrifft auch die für die EZB besonders relevante Kerninflationsrate, also die Teuerungsentwicklung unter Herausrechnung der volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise.  Wir gehen davon aus, dass die Kerninflationsrate im April auf 2.5% fallen wird. Dies wäre dann annährend gleichzusetzen mit Preisstabilität. Deshalb bleiben aus unserer Sicht Zinssenkungen im Umfang von 150 Basispunkten für dieses Jahr realistisch.»

Valentino Guggia, Ökonom Migrosbank:

«Wir gehen daher weiter davon aus, dass die EZB im Juni ihr Zögern beendet und die Zinsen um 25 Basispunkte senkt. Ein Stillhalten über den Sommer wäre nur bei einem massiv überschiessenden Lohnwachstum vertretbar und würde zusätzlich Sand in das Getriebe des stotternden Wirtschaftsmotors streuen. Der ersten Zinssenkung werden drei weiteren im Jahresverlauf folgen, um allmählich in die neutrale Zone vorzudringen. Da eine Lockerung im Juni in den Markterwartungen eingepreist ist, rechnen wir nicht mit einer Abwertung des Euros gegenüber dem Franken. Der Handlungsdruck für die Schweizerische Nationalbank wird demnach überschaubar bleiben.»

Carsten Brzeski, Leiter Macro ING Bank:

«Während einige Marktteilnehmer in den kommenden Monaten bereits mit aggressiven Zinssenkungen durch die EZB gerechnet hatten, war der gestrige US-Inflationsdruck für die Zentralbanken eine gute Erinnerung daran, dass eine Reflation immer ein Risiko darstellen wird. Tatsächlich deuten die immer noch hohe Inflation im Dienstleistungssektor und der jüngste Anstieg der Ölpreise sowie die Lohnentwicklung in Deutschland darauf hin, dass die Gefahr einer erneuten Beschleunigung der Inflation auch in der Eurozone besteht. Generell bergen strukturelle Zwänge auf der Angebotsseite der Wirtschaft der Eurozone - zum Beispiel der Mangel an Fachkräften, Kapazitätsengpässe aufgrund von Unterinvestitionen oder Energie- und Rohstoffabhängigkeiten - das Risiko, dass eine Erholung der Wirtschaftstätigkeit zu einer unverhältnismäßig höheren Inflation führt. Folglich ist der Handlungsspielraum der EZB, die Zinsen über die Juni-Sitzung hinaus noch deutlicher zu senken, begrenzt.»

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank:

«Die EZB sollte der Versuchung widerstehen, ihre Zinsen bereits im Juni zu senken. Nicht nur in den USA, sondern auch im Euroraum sind die Verbraucherpreise in den letzten Monaten wieder deutlich stärker gestiegen, als es auf Dauer mit dem Inflationsziel von zwei Prozent vereinbar ist. Das dürfte vor allem an den weiter kräftig steigenden Löhnen liegen. Das Inflationsproblem löst sich nicht einfach in Luft auf, wie die vielen Tauben im EZB-Rat noch immer hoffen. Die USA sind ein warnendes Beispiel.»

Bastian Hepperle, Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank: 

«Die EZB steht in den Startlöchern. Mit ihrem rhetorischen Schwenk heute öffnet sie die Tür für eine Zinssenkung, durch die sie im Juni gehen wird. Anders als für die Fed stellt sich die Lage für die EZB klarer dar: Mit der Konjunktur im Euroraum läuft es eher schlecht als recht und die Gesamtinflationsrate liegt bereits relativ nahe am Zielwert. Das erleichtert ihre Entscheidung, dass eine so restriktive Zinspolitik wie zurzeit nicht mehr notwendig ist.»

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Versicherer-Verbands GDV: 

«Wir sind zwar auf einem guten Weg, die Geldpolitik muss aber noch weiter restriktiv bleiben. Deswegen war die heutige EZB-Entscheidung nachvollziehbar. Insbesondere die Inflation im europäischen Dienstleistungssektor stagniert bei vier Prozent, was wiederum anhaltenden Druck auf das Lohnwachstum bedeutet. Interessant ist insbesondere, dass der Markt nach heutigem Stand erwartet, dass die EZB die Zinsen vor der US-Notenbank Fed senkt. Hier haben sich die Erwartungen gedreht. Allerdings wird die europäische Geldpolitik de facto auch dann noch restriktiv bleiben, wenn im Juni eine erste Zinssenkung beschlossen werden sollte.» 

(cash/Reuters)