Der Euro kann an den internationalen Devisenmärkten auf ein erfolgreiches erstes Halbjahr zurückblicken. Gegenüber der US-Valuta sowie weiteren, wichtigen Währungen wie dem japanische Yen oder dem australischen Dollar konnte die Gemeinschaftswährung an Wert zulegen.

Gegenüber dem Dollar notierte er der Spitze Anfang Juli gar bei 1,1225 Dollar nach 1,0685 zu Jahresbeginn. In den letzten Wochen hat sich das Blatt aber gewendet, und immer mehr Währungsanalysten gehen davon aus, dass der Euro zum US-Dollar wieder an Wert verlieren und bald wieder auf die Parität zusteuern könnte. Allein in den letzten zwei Wochen haben Nomura, Rabobank und ING Bank ihre Prognosen auf knapp 1 Dollar gesenkt. Aktuell notiert der Euro bei 1,0600 Dollar. 

Von der derzeitigen Währungsschwäche ist aber nicht nur der Euro gegenüber dem Greenback betroffen. «Wie immer ist der Dollar die Währung der Vereinigten Staaten und das Problem aller anderen. Hier gehen wir davon aus, dass chinesische und japanische Notenbanker weiterhin darum kämpfen werden, ihre Währungen bei 7,30 Yuan pro Dollar beziehungsweise 150 Yen pro Dollar zu stützen», schreibt die ING Bank am Montag in einem Marktkommentar.

Starke US-Wirtschaft und schwache Konjunktur in der Eurozone

Es sind nicht nur die steigenden US-Zinsen und Anleihenrenditen, die den Dollar gegenüber dem Euro und den anderen Leitwährungen stärken. Es spielen auch gewichtige makroökonomische Faktoren eine Rolle, die nur die Eurozone betreffen. Das Wirtschaftswachstum in den grössten Volkswirtschaften des Euroraums bleibt schleppend und die Befürchtungen über die aufgeblähte Staatsschuldenlast Italiens keimen erneut auf und steigende Energiepreise lassen die Inflationssorgen wieder aufleben. 

Wie schwierig die konjunkturelle Situation in Europa ist, zeigen die am Montag publizierten, deutschen Daten zur Produktion im verarbeitenden Gewerbe für den August. Diese ist um 0,2 Prozent gegenüber dem Vormonat gesunken. Für Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank, zeichnet sich damit ab, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal geschrumpft sein dürfte. Der Rückgang des Bruttoinlandsproduktes werde zwar nicht besonders gros ausfallen, doch dies zeigt einmal mehr, dass die deutsche Wirtschaft derzeit nicht recht vom Fleck kommt. 

Gefahr droht auch von den Energiemärkten. Sollten die die Ölpreise über 110 US-Dollar pro Barrel steigen, «wird es für den Euro schwierig, die Parität zu umgehen», erklärte Jordan Rochester, Devisenstratege bei Nomura, gegenüber Bloomberg. «Die Niveaus der US-Zinssätze deuten darauf hin, dass der Euro bereits bei 1,01 bis 1,03 US-Dollar liegen sollte.» Rochester hat kürzlich seine Prognose für den Euro von 1,06 US-Dollar auf 1,02 US-Dollar bis zum Jahresende revidiert.

Der Euro zum Dollar scheint zwar nicht besonders unterbewertet zu sein, halten auf der anderen Seite die ING-Ökonomen fest. «Aber zusätzlich zum schwachen Wachstum in der Eurozone befürchten wir, dass die Wiedereinführung des Stabilitäts- und Wachstumspakts im nächsten Jahr den Euro schwach halten könnte.»

Angesichts der Tatsache, dass die spekulativen Euro-Positionen weiterhin Netto-Longpositionen aufweisen, sind kurzfristig weitere Abwärtsrisiken zu erwarten, schreibt die Bank J. Safra Sarasin im monatlichen Ausblick vom vergangenen Freitag. «Wir gehen davon aus, dass sich das Abwärtstempo in Zukunft verlangsamen wird. Unserer Ansicht nach spiegeln die aktuellen Werte des Euros zum Dollar bereits in erheblichem Masse die divergierende, relative zyklische Dynamik wider und daher haben wir unser Jahresendziel von 1,05 unverändert belassen.»

In den kommenden Wochen ist eine gewisse Unterschreitung möglich. Die Privatbank glaubt aber nicht, dass das Paar unter die Parität fallen wird und betont aber, dass mittelfristig aufgrund des anhaltenden Gegenwinds aus China nur mit einer allmählichen Erholung des Euro zu rechnen ist. 

Zum Franken knapp über Jahrestief

Der Euro verliert nicht nur zum Dollar, sondern auch gegenüber Franken weiter an Terrain. Gegenüber der Schweizer Valuta steht der Euro 5 Prozent unter dem Jahreshoch von 1,0087, welches am 12. Januar erreicht wurde.

Der strukturelle Gegenwind zum Franken dürfte weiter anhalten, obwohl die höheren Zinsen in der Eurozone im Vergleich zur Schweiz eigentlich für Investitionen in den Euroraum sprechen. Am Markt wird aber wesentlich stärker gewichtet, dass die hiesigen Inflationsraten wesentlich geringer als in der Eurozone sind, die Schweizer Wirtschaft wächst und die Schweizerische Nationalbank (SNB) mit Devisenverkäufen die importierte Inflation weiter bekämpfen kann und will. 

Wegen der Risiken um die importierte Inflation dürfte die SNB denn auch weiter an ihren Devisenverkäufen festhalten, nachdem die Erdölpreise nach dem Angriff der Hamaz auf Israel am Montag deutlich angezogen haben. Diese dürfte den Schweizer Franken gegenüber dem Euro auch auf mittlere Sicht weiter verteuern. So rechnet J. Safra Sarasin mit einem Kurs von 0,96 Franken pro Euro zum Jahresende und von 0,93 Franken pro Euro Ende 2024. 

Euro-Währungsstabilität in weiter Ferne

Aus langfristiger Perspektive betont Thomas Stucki, Anlagechef bei der St. Galler Kantonalbank, dass die Eurozone weiterhin Probleme hat. Nach der Finanzkrise 2008 traten die strukturellen Defizite der Euroländer offen zu Tage, und die Spannungen im Eurosystem nahmen zu.

Wie das System von Bretton Woods in den 70er-Jahren zeigt, können diese Spannungen über eine lange Zeit kontrolliert und ausgeglichen werden. «Irgendwann werden sie jedoch zu gross. Das Ventil von Auf- und Abwertungen der Währungen der Mitgliedsländer, über das diese Spannungen am einfachsten abgebaut werden können, gibt es im Eurosystem nicht.»

Die Wahrscheinlichkeit, dass das Euro-System irgendwann grundlegend überarbeitet und angepasst werden muss, ist relativ hoch, schreibt Stucki im monatlichen Anlageausblick. «Der Franken ist ein ähnliches System von wirtschaftlich und fiskalpolitisch weitgehend autonomen Kantonen. Der Zusammenhalt wird durch die Geldpolitik der SNB und den Finanzausgleich zwischen den Kantonen gewährleistet. Wenn der Euro als Einheitswährung eine Zukunft haben will, muss die Eurozone diesen Weg beschreiten.»

Thomas Daniel Marti
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