Der chinesische Geschäftsmann Han Changming bekommt die Spannungen im Roten Meer am eigenen Leib zu spüren. Für sein Handelsunternehmen in der östlichen Provinz Fujian stellt der gestörte Frachtverkehr in einer der weltweit meistgenutzten Schifffahrtsrouten eine existenzielle Bedrohung dar. «Die Unterbrechungen haben unsere ohnehin schon geringen Gewinne zunichtegemacht», sagt Han, der in China hergestellte Autos nach Afrika exportiert und Geländewagen aus Europa importiert. Zusätzlich lasteten höhere Versicherungsprämien auf dem 2016 gegründeten Unternehmen. Die Versandkosten eines Containers nach Europa haben sich seit den ersten Angriffen der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe im Dezember auf etwa 7000 Dollar mehr als verdoppelt.

Die Störungen in der internationalen Schifffahrt legen die Achillesverse des Exportweltmeisters China frei, der eine Anfälligkeit für Versorgungsengpässe und externe Nachfrageschocks zeigt. Weitere Unterbrechungen würden den Druck auf die angeschlagene chinesische Wirtschaft erhöhen, sagt Marco Castelli vom Exportunternehmen IC Trade. Diese habe bereits mit einer Immobilienkrise, schwachem Konsum, einer schrumpfenden Bevölkerung und einem weltweit schleppenden Wachstum zu kämpfen. Regierungschef Li Qiang betonte jüngst auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass es notwendig sei, die Handelsketten «stabil und geschmeidig» zu halten.

Für China steht viel auf dem Spiel: Einige Unternehmen verlagern ihre Schwerpunkte auf andere Länder, weitere könnten nachziehen. Wenn dies dauerhaft sei, werde der gesamte Mechanismus neu justiert, sagt Castelli. Manche Firmen könnten ihre Produktion nach Indien verlegen, das von Europa aus eine Woche schneller mit dem Schiff zu erreichen ist. Zusätzliche Sorgenfalten treibt den Unternehmern das chinesische Neujahrsfest im Februar auf die Stirn. In dieser Zeit fahren rund 300 Millionen Wanderarbeiter in den Urlaub, fast alle Fabriken in China schliessen ihre Tore. Die Wochen davor stellen die Firmen vor eine logistische Herausforderung, weil es zu einem Wettlauf um den Versand der Waren kommt. Die Kunden in Europa treten dagegen auf die Bremse, wie Mike Sagan vom Spielzeughersteller KidKraft sagt. «Schickt nichts, Stopp», laute die Devise.

Furcht vor Dominoeffekt

Die unsichere Lage im Roten Meer trifft den chinesischen Exportmotor an einer sensiblen Stelle. Durch den Suezkanal laufen in normalen Zeiten rund 60 Prozent aller chinesischen Exporte nach Europa, wie die in Washington ansässige Denkfabrik Middle East Institute erläutert. Der lange Umweg um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas könne die Versandzeiten um bis zu zwei Wochen verlängern und reduziere die globale Containerkapazität. Einige Logistikunternehmen verweisen bereits auf einen Containermangel im Hafen von Ningbo-Zhoushan in China, nach Angaben des Forschungsinstituts BMI einer der umschlagsstärksten Häfen der Welt.

Besonders folgenreich sind die unvorhersehbar gewordenen Handelsbedingungen für jene Unternehmen, die auf bedarfssynchrone Lieferungen angewiesen sind oder die ihren Lagerbestand regelmässig ändern müssen. Ein weiteres Problem ist Castelli zufolge der Umstand, dass Fabriken erst bezahlt werden, wenn die Waren an ihrem Bestimmungsort ankommen. «Wenn sich ihre Zahlung verzögert, können sie weder ihre Lieferanten noch ihre Arbeiter bezahlen», sagt der Experte.

Grössere Produzenten sorgten sich deshalb zunehmend um einen Dominoeffekt, der kleinere Lieferanten mit engen Margen treffen könnte. Sie gehörten zu den letzten, die Zahlungen erhalten, seien aber für die Lieferkette von entscheidender Bedeutung. Geschäftsmann Han hat seine Lieferanten und Kunden deshalb darum gebeten, einen Teil der zusätzlichen Kosten zu tragen. Nur so könne er sein Unternehmen über Wasser halten - das Geschäft mit Europa und Afrika macht 40 Prozent seines Gesamtgeschäfts aus. 

(Reuters)