Vizeministerpräsident Liu He kündigte am Dienstag in Davos konjunkturelle Fortschritte an, die insbesondere durch die Entfesselung der Binnennachfrage in dem Land mit seiner Milliardenbevölkerung zustande kommen sollen. "Falls wir hart genug arbeiten, sind wir zuversichtlich, dass Chinas Wachstum 2023 sehr wahrscheinlich zu seinem Normaltrend zurückkehren wird", sagte Liu auf dem Weltwirtschaftsforum. Eine genaue Zahl nannte er nicht, sprach aber von einem "vernünftigen Wachstum" als Zielmarke. 2021 hatte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der weltweit zweitgrössten Volkswirtschaft nach den USA noch um 8,4 Prozent zugelegt.

Laut einer Reuters-Umfrage wird sich das Wachstum im laufenden Jahr wohl wieder auf 4,9 Prozent erholen. Für 2022 hatte die Führung in Peking ein Plus beim BIP von rund 5,5 Prozent angestrebt, konnte es angesichts der lange Zeit verfolgten Null-Covid-Strategie mit strikten Lockdowns aber nicht halten. Mit Ausnahme der 2,2 Prozent Wachstum nach der ersten Corona-Welle im Jahr 2020 ist 2022 sogar das schwächste Jahr seit 1976, wie aus den Daten des Nationalen Statistikamts hervorgeht.

Die Corona-Lage ist laut Liu mittlerweile unter Kontrolle. "China hat den Höhepunkt der Infektionen überschritten", sagte er auf dem Weltwirtschaftsforum in der Schweiz. Vom Höhepunkt der Infektionen zur Rückkehr zur Normalität sei es nur eine kurze Zeitspanne. Die kommunistische Führungsriege hatte im Dezember unter dem Eindruck der lahmenden Wirtschaft und nach regierungskritischen Protesten eine abrupte Abkehr von ihrer strikten Null-Covid-Politik verkündet.

Zweifel an den offiziellen Todeszahlen

Auch wenn der Vize-Ministerpräsident die Corona-Lage als stabil bezeichnete, bleiben Fragezeichen offen. Ärzte nährten Zweifel an den offiziellen Todeszahlen in Zusammenhang mit dem Virus. Mediziner berichteten gegenüber Reuters, sie seien angehalten worden, als Todesursache nicht Atemversagen nach Covid-Erkrankung in die Sterbeurkunde zu schreiben. Nach Kritik hatte China erst am Wochenende die Todeszahlen seit den Corona-Lockerungen massiv nach oben korrigiert. Und mit Blick auf den regen Reiseverkehr zum chinesischen Neujahrsfest am 22. Januar droht sich die Corona-Situation laut Beobachtern zu verschärfen, was das Wachstum in China kurzfristig weiter beeinträchtigen würde.

"Mit der Unterstützung von Politik und Notenbank dürfte die Wirtschaft ab dem Frühjahr aber die Kurve bekommen", sagte Chefökonom Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Höhere Zuwachsraten würden sich dann aber kaum halten, da China vom Ziel der Wachstumsmaximierung abgerückt sei. Die einstige Wachstumslokomotive der Welt werde dauerhaft deutlich weniger Zugkraft entwickeln.

Chinas Bevölkerung ist überdies erstmals seit der Grossen Hungersnot vor 60 Jahren geschrumpft. Das Nationale Statistikbüro gab die Zahl der Bürger Ende 2022 mit 1,41 Milliarden an, etwa 850'000 weniger als im Jahr zuvor. Das markiert auch eine Zeitenwende für die Wirtschaft: "Chinas demographische und wirtschaftliche Aussichten sind viel düsterer als erwartet", bewertete der Experte für die Bevölkerungsentwicklung, Yi Fuxian, die neuen Daten.

Wirtschaft soll sich weiter öffnen

Laut Liu gilt es im laufenden Jahr, noch mehr ausländische Investitionen ins Land zu lenken. Die Öffnung der Wirtschaft sei ein wichtiger Treiber für das Wirtschaftswachstum. "Chinas Tor für die Aussenwelt wird noch weiter offen stehen", kündigte der chinesische Spitzenpolitiker an.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kritisierte in Davos allerdings, dass die Volksrepublik ihre Industrie stark subventioniere und den Zugang zu ihrem Markt für EU-Unternehmen einschränke. "Wir werden nicht zögern, Untersuchungen einzuleiten, wenn wir der Meinung sind, dass unser Beschaffungswesen oder andere Märkte durch solche Subventionen verzerrt werden", sagte von der Leyen.

(Reuters)