China lockert trotz steigender Infektionszahlen seine strengen Corona-Vorschriften - zumindest ein wenig. Unter anderem werden die Quarantänezeiten für enge Kontaktpersonen von Infizierten um zwei Tage verkürzt, wie die Behörden am Freitag bekanntgaben. Sie wollen auch nicht mehr versuchen, sogenannte "sekundäre" Kontakte zu ermitteln - ein grosses Ärgernis für Stadtbewohner, die bei der Entdeckung eines Falles mit Auflagen belegt werden können. Auch soll eine Bestrafung von Fluggesellschaften abgeschafft werden, mit der infizierte Passagiere eingereist sind. Daneben soll die Impfkampagne beschleunigt werden, vor allem für ältere Menschen. Insgesamt sollen weniger Menschen von den Einschränkungen betroffen sein.

Die Börsen reagierten mit Erleichterung auf die Ankündigung der Nationalen Gesundheitskommission, die einen Tag nach der Tagung des neuen Ständiger Ausschusses des Politbüros unter dem Vorsitz von Präsident Xi Jinping erfolgte. Die Börse Shanghai stieg 1,7 Prozent, der Index der wichtigsten Unternehmen in Shanghai und Shenzen gewann 2,8 Prozent. Die Börse in Hongkong legte 7,7 Prozent zu und verbuchte den grössten Tagesgewinn seit März. Die Landeswährung Yuan erreichte ein Sieben-Wochen-Hoch. Auch an den Rohstoffmärkten und an den europäischen Börsen sorgte die Nachricht für Auftrieb.

Experten mahnten aber, dass die Massnahmen nur schrittweise erfolgen würden und eine weitgehende Öffnung wohl noch in weiter Ferne liege. "Einige Interpretationen sind zu optimistisch", sagte Bruce Pang, Chefökonom beim Immobilienberater Jones Lang Lasalle. "Die Covid-Politik wird nur kurzfristig verfeinert, wobei sich der Schwerpunkt von der Beseitigung von Fällen zur Umsetzung präziserer Massnahmen verschiebt."

Nach den neuen Vorschriften werden die zentralen Quarantänezeiten für enge Kontakte und Reisende aus dem Ausland von sieben auf fünf Tage verkürzt. Die Vorschrift, dass nach der zentralen Quarantäne drei weitere Tage in häuslicher Isolation verbracht werden müssen, bleibt bestehen. Auch wird eine Beschränkung abgeschafft, bei der Airlines mit der Aussetzung von Flügen rechnen mussten, wenn sie zu viele mit Corona infizierte Passagiere beförderten. Dies hatte zu häufigen Flugausfällen geführt.

Gesundheitskommission: «Anpassung an neue Situation»

Die neuen Regeln seien keine Lockerung der Präventions- und Kontrollmassnahmen, geschweige denn eine Öffnung, so die Nationale Gesundheitskommission (NHC). Sie seien lediglich eine Anpassung an die neue Situation der Epidemieprävention und -kontrolle und an die neuen Merkmale der Coronavirus-Mutationen. Angepasst wurde zudem die Kategorisierung der Corona-Risikogebiete an. Künftig soll nur noch zwischen "hohem" und "niedrigem" Risiko unterschieden werden. Die Kategorie "mittel" wird abschafft. Damit soll die Zahl der Menschen, die unter die Kontrollmassnahmen fallen, verringert werden.

Die Gesundheitskommission kündigte zudem an, einen Plan zur Beschleunigung der Impfungen zu entwickeln. Das ist nach Ansicht von Experten dringend erforderlich, da vor allem die Industriestaaten hier weit voraus seien. Die rigide Null-Covid-Politik hat für grossen Unmut in der Bevölkerung gesorgt und die nach den USA zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt stark belastet. Die Folgen der Lockdowns in Metropolen wie Shanghai waren wirtschaftlich auch weltweit zu spüren.

"Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung", sagte Jörg Wuttke, Präsident der Handelskammer der Europäischen Union in China, zu den neuen Regeln. "Aber die grosse Frage, die sich uns allen stellt, ist, wann China bereit ist, eine Impfkampagne zu starten, die ihnen die Herdenimmunität verleiht, um das Land wirklich zu öffnen." Viele Experten sind der Meinung, dass China frühestens nach der jährlichen Parlamentssitzung im März mit der Öffnung beginnen wird. Die Lockerungen wurden in der chinesischen Bevölkerung nach fast drei Jahren striktem Corona-Regime mit massiven Abriegelungen mit vorsichtigem Optimismus aufgenommen. Die Reiseplattform Qunar meldete, dass sich das Suchvolumen für internationale Flüge im Vergleich zum Vortag verdreifacht hat und weiter ansteigt.

Die Lockerungen kommen in einer Zeit, in der die Fallzahlen auf den höchsten Stand seit Monaten gestiegen sind. Peking und die zentral gelegene Stadt Zhengzhou verzeichnen dabei Rekordzahlen. Die Behörden meldeten für Donnerstag 10.535 neue, im Inland übertragene Fälle. Das ist zwar eine im weltweiten Vergleich niedrige Zahl, aber die höchste in China seit dem 29. April, als die Handelsmetropole Schanghai mit dem schwersten Ausbruch kämpfte und unter strenger Abriegelung war.

Aktueller Hotspot ist die Millionenstadt Guangzhou - ein Produktions- und Verkehrsknotenpunkt. Im bevölkerungsreichen Stadtbezirk Haizhu wurde die Abriegelung bis Sonntag verlängert hat. Mindestens drei der elf Bezirke von Guangzhou wurden in irgendeiner Form eingeschränkt. "Nur eine Person pro Haushalt darf nach einem gestaffelten Zeitplan Dinge des täglichen Bedarfs kaufen", teilten die Behörden mit. Der gesamte öffentliche Nahverkehr in dem Bezirk mit 1,8 Millionen Einwohnern wurde eingestellt. Zudem sollen obligatorische PCR-Tests bei "jedem Haushalt und jeder Person" durchgeführt werden.

(Reuters)