"Es besteht in der Tat das Risiko, dass die geldpolitische Straffung zu früh gestoppt wird", sagte Nagel am Montag in einer Rede an der Harvard Universität in Cambridge bei Boston. Ein verfrühter Stopp könne zu einer noch längeren Phase mit hoher Inflation führen, was dann später womöglich eine viel straffere Geldpolitik notwendig mache. Im Ergebnis könne eine noch schärfere Rezession die Folge sein, warnte Nagel.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im Juli die Zinswende eingeleitet und bislang ihre drei Schlüsselzinsen rasch in zwei Schritten um insgesamt 1,25 Prozentpunkte nach oben gesetzt. Der Leitzins liegt damit aktuell bei 1,25 Prozent. Und der für die Finanzmärkte derzeit massgebliche Einlagensatz beträgt inzwischen 0,75 Prozent. Am Finanzmarkt wird aktuell damit gerechnet, dass der Einlagensatz bis zum Jahresende auf rund zwei Prozent angehoben wird und er danach im Frühjahr 2023 auf rund drei Prozent weiter nach oben gesetzt wird. Für die kommende Zinssitzung am 27. Oktober hatten sich Währungshüter bereits für einen weiteren XXL-Zinsschritt wie im September um 0,75 Prozentpunkte starkgemacht.

"Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Kurs der Geldpolitik im Euro-Gebiet immer noch konjunkturfördernd", führte Nagel aus. Die Wirtschaft und dadurch auch die Inflation werde weiterhin angeschoben. "Offensichtlich müssen wir diesen Stimulus schnell zurückziehen." Falls das nicht ausreichen sollte, um die Inflation zurück zum Notenbankziel von zwei Prozent zu bewegen, müsse die Geldpolitik in den restriktiven Bereich vordringen. An den Finanzmärkten wird dieser restriktive, konjunkturbremsende Zinsbereich gemessen am Einlagensatz derzeit bei Zinsniveaus oberhalb von zwei Prozent angesiedelt.

Auf jeden Fall könne die Geldpolitik nicht davon ausgehen, dass die Inflation von alleine wieder auf ein normales Niveau sinken werde, sagte Nagel. Seine Botschaft dagegen lautete: "Im Gegenteil, wir müssen entschlossen handeln, um zu verhindern, dass sich die Inflation im Euro-Raum festsetzt." Zuletzt markierte die Teuerungsrate im September ein neues Rekordhoch von 10,0 Prozent - das ist die höchste Rate seit es den Euro gibt. Es sei wichtig, dass die EZB auf ihrem Normalisierungskurs entschlossen vorangehe, sagte Nagel. "Wir dürfen nicht nachlassen, bis Preisstabilität wieder hergestellt ist." Sollten Notenbanker im Kampf gegen die Inflation halbherzig handeln, riskierten sie, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren und ihrem Ruf zu schaden.

(Reuters)