Covid, Inflation, unterbrochene Lieferketten und der russische Einmarsch in die Ukraine haben die Prioritätenliste der EU durcheinandergeschüttelt, und das ambitionierte Klima-Programm ist dabei nicht weiter nach oben gerutscht. Während nun also eigentlich eine Zeit der Umsetzung anbrechen sollte, in der die Brüsseler Strategiepapiere zwischen Lissabon und Helsinki zur Realität werden, muss die Europäische Kommission Teile des Plans neu aufsetzen, um die Industrie am Laufen zu halten und eine Gegenreaktion der Wähler zu vermeiden.

Der Widerstand gegen den Green Deal kommt aus allen Ecken. Die Verbraucher sind misstrauisch gegenüber allem, was die Teuerung weiter beflügeln könnte. Unternehmen wehren sich gegen übermässige Regulierung. Klimaskeptische, häufig rechtsextreme Parteien gewinnen vor den Europawahlen im Juni an Zulauf.

Proteste von Landwirten in Deutschland und anderen EU-Ländern führten bereits zur Lockerung der Massnahmen, noch bevor diese überhaupt nennenswerte Auswirkungen auf die Landwirtschaft hatte.

Eine Umkehr kommt zwar nicht in Frage, aber es wird immer deutlicher, dass sich die EU keine Fehler leisten kann. Auf dem Spiel stehen Billionen von Euro an Kosten für Verbraucher und Wirtschaft einerseits, und andererseits die Möglichkeit, dass China und die USA bei der Umstellung der Industrie davonziehen.

Regeln über Belohnung

Ein drängendes Problem ist der Negativtrend bei Investitionen in grüne Technologien — ausgerechnet in der wichtigen aktuellen Phase, in der die Weichen gestellt werden. Der Inflation Reduction Act von US-Präsident Joe Biden mobilisiert für grüne Technologie und Infrastruktur etwa 500 Milliarden Dollar über die nächsten Jahre und hat damit Europa schon einige Investitionen ausgespannt.

Gegen die Dollars aus Washington setzt die EU in typischer Brüssel-Manier vor allem komplexe Regeln und mehr Peitsche als Zuckerbrot.

Investoren brauchen hingegen «einen Business Case, keine Vorschriften», sagt BASF-Chef Martin Brudermüller, der auch Präsident des europäischen Chemieverbands Cefic ist. «Die europäischen Regelungen sind kompliziert und langwierig, und sie bieten keine Anreize, die Investitionen fördern würden.»

Grosse Ambitionen

Als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Plan vorstellte, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, verglich sie ihn mit dem Mondraumfahrt-Programm der USA, das in den 1960er Jahren lebhafte Aktivität in Wirtschaft und Gesellschaft auslöste.

Die Idee war einfach genug: Je schneller die EU ihre Emissionen senkt, kohlenstoffarme Technologien einführt und dabei gleichzeitig neue Arbeitsplätze schafft, desto stärker wäre ihre Position in der neuen klimaneutralen Weltwirtschaft.

Die Massnahmen, die zum Erreichen der ehrgeizigen Ziele notwendig sind, wurden in oft hitzigen Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament ausgearbeitet und in Gesetze gegossen: Von einem De-facto-Verbot für Verbrennungsmotoren in Neuwagen über strengere Emissionsgrenzwerte für Unternehmen bis hin zu einem neuen CO2-Emissionsmarkt für Kraftstoffe.

Doch dann warfen die Pandemie und der Krieg in der Ukraine alles über den Haufen.

«Wenn wir in der EU nicht liefern, wenn von uns die Botschaft ausgeht, dass der Green Deal soziale Unruhen verursacht, dann wird dies ein Anlass für andere Länder sein, dem nicht zu folgen», sagt Simone Tagliapietra vom Brüsseler Thinktank Bruegel.

Energie als Kernthema

Eine der grössten Herausforderungen besteht darin, die Energiekosten unter Kontrolle zu halten. Energie war in der EU schon immer teurer als in den USA oder China, aber der Krieg in der Ukraine hat den Unterschied noch verschärft und untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit.

Im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament zeigen sich die Kommission und einige Mitgliedstaaten gegenüber den Forderungen der Wirtschaft aufgeschlossener. Letzten Monat nahm von der Leyen am Start des European Industrial Deal teil, einer Initiative, die von fast 1000 Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden unterstützt wird und billigere Energie, weniger Bürokratie und mehr Finanzierung für saubere Technologien fordert.

«Wir müssen die Vorteile der Energiewende besser und einfacher erklären», sagt Petros Varelidis vom griechischen Umweltministerium. «Eine breite gesellschaftliche Akzeptanz ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Umstellung.»

Dem Ziel hinterher

Die EU liegt ihren eigenen Schätzungen zufolge bereits hinter ihrem Ziel, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Doch Brüssel ist entschlossen, weiterzumachen und denkt sogar an ein neues Zwischenziel: 90 Prozent bis 2040.

Die meisten Massnahmen für 2030 haben dabei noch gar keine Wirkung gezeigt. Doch die Aktionen der Bauernverbände verdeutlichen, wie schwer sich die Kommission nicht nur damit tut, weitere Schritte zu vereinbaren, sondern sogar damit, an Vereinbartem festzuhalten.

Der Übergang zu klimafreundlichen Technologien müsse «gerecht sein, und die Wettbewerbsfähigkeit für die verschiedenen Industrien in unseren Mitgliedsstaaten» im Blick behalten, sagte Klimakommissar Wopke Hoekstra unlängst. «Das eine sollte nicht auf Kosten des anderen gehen.»

Um einen Rückschlag bei den Wählern zu vermeiden, hat die EU bereits Milliarden von Euro bereitgestellt, um einkommenschwachen Verbrauchern unter die Arme zu greifen und Investitionen in kohlenstoffarme Technologien anzuregen.

Dennoch werden auch massive private Investitionen erforderlich sein. Brüssel schätzt die gesamten Kosten für die Erreichung des Ziels für 2040 auf etwa 1,5 Billionen Euro — und das in jedem Jahr ab 2031.

In einem Papier vom März rechnet die EU vor, dass es in Europa drei Grad wärmer sein werde, selbst wenn es gelingt, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Dies würde die Wirtschaft Billionen von Euro kosten. «Konservativ geschätzt» könnte der Klimawandel die europäische Wirtschaftsleistung bis zum Ende des Jahrhunderts um rund 7 Prozent reduzieren.

«Was wir bisher vereinbart haben, ist ehrgeizig», sagt Jos Delbeke, Professor am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und einstiger Kommissionsmitarbeiter. «Es darf keine Rückschritte geben, aber gleichzeitig sollten neue Vorschriften den Übergang auch nicht erschweren.»

(Bloomberg)