Biotech-Unternehmen fehlt etwas, was die Finanzmärke ganz allgemein am Gesundheitsektor lieben: Das defensive Element. Die Erdbevölkerung wird immer mehr Medikamente und medizinische Behandlungen brauchen, was auch den Aktionären der entsprechenden Herstellern und Entwickler stabile Wachstumsaussichten bietet. Roche, Novartis oder Novo Nordisk kauft man wegen eines tollen Geschäftsmodells, stabiler Kursaussichten und/oder wegen anständiger Dividendenzahlungen.

Biotech ist anders: Basilea, Polyphor oder Relief Therapeutics kauft man, weil schnelle Gewinne möglich sind: Die Kursverläufe dieser kleinen, forschenden und unprofitablen Firmen sind volatil. Und doch gibt es Stimmen – vielleicht mit teils scherzhaftem oder ironischem Unterton – die von Biotech als einer mehr und mehr defensiven Anlageklasse sprechen.

Diese Stimmen kommen, und das ist keine Überraschung, vor allem aus den USA. Dort hat der Nasdaq Biotechnology Index (NBI) seine Delle vom Februar und März inzwischen mehr als ausgeglichen. Der Nasdaq Biotech, der 206 Konstituenten hat und auf dem auch diverse Exchange Traded Funds (ETF) laufen,  stand am 21. Februar bei 3865 Punkten, erreichte sein Jahrestief am 16. März bei 2962 Punkten und stand vergangenen Freitag bei 4351 Punkten. So sehen Erfolgsstories an der Börse aus.

Der Nasdaq Biotechnology Index NBI seit Anfang 2020 (Grafik: Bloomberg).

Am Schweizer Markt ist der SIX-Subindex Bio+Medtech ist durch die Krise von 5326 auf 3425 Punkte gefallen und hat sich auf 5130 Punkte zurückbewegt. Im Vergleich zu Anfang Jahr liegt dieser Index um 7,5 Prozent höher. Der SPI liegt noch um 2,5 Prozent tiefer. Der SIX-Bio- und Medtech-Index enthält allerdings nicht nur Biotech-Aktien, sondern auch Pharma-Top-Performer wie etwa Lonza (Zusammensetzung hier).

Besonders in den USA, aber auch in anderen Ländern hat die Coronavirus-Krise die Einstellung der Märkte verändert: Nicht nur das Rennen um einen Impfstoff hat das Bewusstsein für Gesundheitsthemen geschärft. Diskussionen um die Kosten für das Gesundheitssystem sind in den Hintergrund getreten. Speziell in den USA ist dies immer ein heisses Thema, und wäre es unter anderen Umständen auch im nun aufziehenden Präsidentenwahlkampf geworden.

Dies alles nützt Aktien aus dem Gesundheitssektor: "Das Sentiment ist sehr gut", sagt Thomas Heimann, Analyst bei der auf Gesundheitsinvestments spezialisierten Beteiligungsgesellschaft HBM Partners. Im Detail zeigten sich aber Herausforderungen, die für den Sektor eigen seien.

Denn auch bei den an der Nasdaq gelisteten Biotechfirmen gibt es viele, die keinen Gewinn schreiben und bei denen ein Investment vor allem eine Wette auf eine bestimmte Produktentwicklung ist. Diese "Corona plays" haben eine Rolle gespielt bei der sehr guten Performance des Sektors in den USA, und daran beteiligt waren Kleinanleger, die zum Teil erst seit kurzem an der Börse sind (cash berichtete).

"Da ist einiges überbezahlt", sagt Heimann. "Solche Einzelwetten zahlen sich auf lange Frist meistens nicht aus."

Individuelle Gründe für Kursanstiege

Diese Warnung lässt sich nicht nur für US-Biotech anwenden, sondern auch für die Schweizer Aktien aus dieser Reichtung. Wie volatil die Lage ist, zeigte sich vergangenen Monat bei Molecular Partners. Ein Forschungsmisserfolg liess den Kurs an einem Tag um ein Drittel einbrechen. Die Schweizer Aktien, die als Biotech-Titel im engeren Sinne gelten, haben sich unterschiedlich entwickelt (siehe Tabelle). Im Plus seit Beginn der Krise im Februar stehen nur zwei Aktien: Obseva (+56 Prozent) und Relief Therapeutics (+1285 Prozent).

Beim Frauenmedizin-Biotech Obseva sind es Forschungsfortschritte mit dem Fruchtbarkeits-Wirkstoff Nolasiban und mit Linzagolix bei Gebärmuttererkrankungen, welche den Kurs angetrieben haben. Bei Relief Therapeutics hat Aviptadil die Phantasien beflügelt, ein Wirkstoffkandidat, der bei akuter Atemnot und spezifisch beim Coronavirus helfen soll. In Israel wurden nach Angaben des Unternehmens Patienten mit Aviptadil behandelt.

In den USA ist Aviptadil kürzlich ins Fast-Track-Programm der Food and Drug Administration gekommen: Klar ein Erfolg. Fans der Relief-Aktie verteidigen das Unternehmen mit Händen und Füssen. Zu wissen ist aber auch, dass die massiven Kursbewegungen im Rappenbereich stattfinden: Langfristig vertrauensfördernd ist dies nicht, zumal die Unternehmensstrukturen von Relief etwas verschlungen sind.

Gesundheits- vs. Biotech-Aktien seit Beginn der Krise

Gesundheit/PharmaPerformance
seit 22. 2. 2020
BiotechPerformance 
seit 22. 2. 2020
Alcon-13 ProzentAddex-19 Prozent
Bachem+32 ProzentBasilea-7 Prozent
IVF Hartmann-15 ProzentEvolva -15 Prozent
Lonza+19 ProzentKuros Biosciences-21 Prozent
Medacta-10 ProzentIdorsia-6 Prozent
Medartis-7 ProzentMolecular Partners-34 Prozent
Novartis -13 ProzentNewron-75 Prozent
Roche-5 ProzentObseva+56 Prozent
Siegfried-11 ProzentPolyphor-1 Prozent
Sonova-26 ProzentRelief Therapeutics+1285 Prozent
Straumann-18 ProzentSanthera-13 Prozent
Tecan+13 Prozent  
Vifor Pharma-21 Prozent  
Ypsomed-14 Prozent  
Zur Rose+121 Prozent  

Stand: Freitag, 3. Juli / Daten: cash.ch

Bei den Gesundheitsaktien – mehrheitlich profitable Unternehmen der Pharma- und Medizinaltechnikbranche - sind es allerdings auch nur vier Titel, die höher stehen als Mitte Februar. Der Peptidhersteller Bachem (+32 Prozent), der Auftragsfertiger Lonza (+19 Prozent), der Laborausrüster Tecan (+13 Prozent) und die Online-Versandapotheke Zur Rose (+121 Prozent) sind Gewinner der Coronakrise.

Während Lonza der mit der Moderna-Zusammenarbeit der Covid-Impfstoffforschung nahe ist, ist es bei Bachem die hohe Nachfrage nach dem Narkosemittel Propofol, die den Kurs treibt. Plus: Bachem weist sehr solide Zahlen aus. Zur Rose wiederum profitiert vom Lockdown, in dem Menschen Güter mehr und mehr im Internet bestellten. 

Gute Stimmung ist ansteckend

Auch zu beobachten ist: Der allergrösste Teil der Schweizer Gesundheits- und Biotech-Aktien hat seit dem Tiefpunkt der Märkte am 23. März im Kurs zugelegt. Auch von den elf hier von cash.ch betrachteten eigentlichen Biotech-Aktien ist seit dem Zeitpunkt, als der Markt drehte, nur der Kursverlauf von Newron mit 56 Prozent Rückgang im Minus.

Bei den übrigen zehn Aktien beträgt das Plus zwischen  3 Prozent - bei Molecular Partners - und 181 Prozent - bei Relief Therapeutics. Geld ist in der Rally also auch in diese Aktien geflossen.

Es ist gut möglich, dass das gute Sentiment in den USA noch stärker auf Europa und die Schweiz übergreifen wird. Aber man muss differenzieren. Zu den "neuen Defensiven" werden Biotechfirmen dadurch aber nicht. Das Riskante haftet diesen Firmen und Aktien auch weiterhin an. Mit einer diversifizierten Strategie, unter Berücksichtigung von Qualitätsaktien, können Anlegerinnen und Anleger im Moment die gute Stimmung für Gesundheitsanlagen aber durchaus weiter ausnutzen.

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