Der Niederländer Eelco Spoelder (geb. 1972) ist seit März 2023 CEO von Autoneum, dem grössten Schweizer Autozulieferer, der an über 60 Standorten weltweit 16'500 Mitarbeitende hat. Autoneum ist Weltmarktführer bei Akustik- und Wärmemanagement bei Fahrzeugen. Spoelder hatte vor Autoneum globale Führungspositionen in der Automobilzulieferindustrie bei Faurecia und Continental.

Herr Spoelder, der Automarkt sandte in diesem Jahr sehr viele Hiobsbotschaften aus, vor allem in Deutschland. Wie schätzen Sie die Lage auch für Autoneum ein?

Eelco Spoelder: Es gab sehr viele Negativmeldungen. Unser Eindruck ist aber, dass die Lage ein wenig überspitzt dargestellt wird und vielleicht nicht ganz so schlimm ist. Natürlich sind die Volumen in Europa geringer als vor der Covid-Krise. Aber sie sind trotzdem relativ stabil und die Abrufe der Kunden, die ja sehr stark fluktuierten in der Vergangenheit, haben sich normalisiert. Auf das aktuelle Niveau muss man sich als Zulieferer aber einstellen. Das haben wir bei Autoneum gemacht. Man sieht heute, wer mit der neuen Situation umgehen kann und wer noch immer damit kämpft. Zudem ist Autoneum ein international sehr gut aufgestellter Zulieferer. Wenn es in Europa ein bisschen schlechter läuft, aber in anderen Regionen dafür besser, hat dies oftmals einen ausgleichenden Effekt.

Die Pleite des schwedischen Batterieherstellers Northvolt führt offenbar dazu, dass einige Autohersteller Modelle nicht wie geplant auf den Markt bringen können. Ist Autoneum von der Northvolt-Insolvenz betroffen?

Direkt sind wir davon nicht betroffen. Die Auswirkungen dürften ohnehin begrenzt sein, weil die Automobilproduzenten meistens zwei Lieferanten für Batterien haben. Und der absolut grösste Anteil der Batterien kommt aus China, etwas weniger aus Japan und Korea. Aber es ist sicherlich ein Verlust für Europa, wenn Northvolt nicht überleben sollte.

2023 hat Autoneum nach der Übernahme von Borgers, dem grössten Takeover in der Firmengeschichte Autoneums, am Borgers-Standort in Bocholt gleich einen Arbeitsplatzabbau bekannt gegeben bis 2027. Müssen Sie in Deutschland 2025 wegen der angespannten Lage am Markt weitere solche Massnahmen ergreifen?

Wir haben den Stellenabbau relativ früh bekannt gegeben und mussten daher später nicht mit einer Art Notmassnahme reagieren. Mit der Übernahme von Borgers war immer klar, dass wir eine Konsolidierung durchführen von zwei Firmen und dass es bestimmte Überkapazitäten in Europa gibt. In Deutschland haben wir überdies die zwei Werke Krumbach und Ellzee zusammengeführt neben dem kommunizierten Abbau von 175 Arbeitsplätzen in Bocholt. Wir glauben, dass dies auf Basis der heutigen Volumenvorhersagen reicht, um den Standort Bocholt auch mittelfristig wettbewerbsfähig zu machen und abzusichern.

Wie ist Ihr Ausblick für die Automobilindustrie im nächsten Jahr?

Global haben wir im laufenden Jahr kein Wachstum gesehen und für nächstes Jahr wird bestenfalls nur ein minimales Wachstum erwartet. Dabei könnten die Produktionsvolumen in Europa nochmals leicht zurückgehen, Asien hingegen dürfte erneut ein Wachstum verzeichnen.

Können Sie etwas zum Autoneum-Geschäftsgang im zweiten Halbjahr 2024 sagen?

Wir hatten das erste Halbjahr ja sehr positiv abgeschlossen mit einer EBIT-Marge, die mit 5,4 Prozent am oberen Ende der Guidance lag. Deswegen haben wir im Juli auch unsere EBIT-Guidance präzisiert. Wir sehen im zweiten Halbjahr, dass die Volumen leicht schwächer sind als im ersten Halbjahr. Wir sind aber weiterhin zuversichtlich, dass wir die Guidance und auch inklusive der präzisierten EBIT-Marge erreichen werden.

Die Guidance bis Ende Jahr lautet ja, dass eine EBIT-Marge zwischen 5,0 und 5,5 Prozent erreicht werden soll, dazu ein Gesamtumsatz von 2,3 bis 2,5 Milliarden Franken. Das stimmt also noch?

Ja, das ist richtig.

Zudem haben Sie einen Auftragseingang für das ganze Jahr von 500 Millionen Franken in Aussicht gestellt. Gilt das auch noch?

Ja, und der Auftragseingang mit den 500 Millionen wäre ein absoluter Rekord. Wir sind zuversichtlich, dass wir diese Zielmarke knacken können, was unsere starke Position bei den Kunden bestätigt. Die Automobilhersteller suchen zuverlässige Partner, auf die sie zählen können. Nicht nur dieses Jahr oder nächstes Jahr, sondern auch in fernerer Zukunft. Auch dies wird dazu beitragen, dass wir weiterhin Wachstum generieren können.

Autoneum hat die Level-up-Strategie definiert. Welche Komponenten der Strategie tragen am stärksten zum Geschäftsgang bei?

Alle Elemente der Level-up-Strategie, welche sechs Pfeiler umfasst, werden ihren Beitrag dazu leisten, um unsere Mittelfristziele erreichen zu erreichen. Zwei grosse Stellhebel werden unser positives Ergebnis für dieses Jahr unterstützen. Das sind erstens unsere internen Verbesserungspotenziale. In der Vergangenheit haben wir in den USA teils dicke Verluste gemacht. Letztes Jahr erreichten wir dort den Break-Even, und dieses Jahr werden wir positiv abschliessen. Zudem werden wir weitere Verbesserungen sehen in der unserer gesamten operativen Performance. Das zweite Element ist unser Kundenzugang. Wir werden als anerkannte und bevorzugte Zulieferer gesehen von unseren Kunden. Sie schätzen unsere Qualität und unsere finanzielle Stabilität.

Im Oktober haben Sie neue Mittelfristziele verkündet. 3 Milliarden Franken Umsatz bis 2030, wenn es gut läuft bis 2028. Einige Analysten bezweifeln, dass das gelingt.

Fakt ist, dass viele von unseren Wettbewerbern nicht so stark aufgestellt sind wie wir punkto Qualität, finanzieller Stabilität oder Innovationskraft. Das sieht man auch am Auftragseingang in diesem Jahr. Zudem haben wir durch Übernahmen wie Borgers unsere Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, zum Beispiel beim Kofferraum oder im LKW-Geschäft. Diese Diversifizierung gibt uns zusätzliches Wachstumspotenzial. Das alles und mögliche weitere M&A-Gelegenheiten machen die 3 Milliarden Franken zu einer realistischen Zielsetzung.

Sie haben kürzlich in einem ersten Schritt 70 Prozent des chinesischen Autozulieferers Jiangsu Huanyu übernommen, der 130 Millionen Umsatz generierte im Jahr 2023. Ist das eine Wette, damit man auf diese 3 Milliarden Umsatz kommt?

Jiangsu Huanyu wird sicherlich einen signifikanten Beitrag leisten, und ich denke nicht, dass dies eine Wette ist. Wir wissen, wie viele Kundenprogramme mit der Übernahme zu uns kommen und wie sich der Markt aktuell entwickelt. In China sind über 60 Prozent der verkauften Autos chinesische Marken. Es ist daher umso wichtiger, dass man Zugang hat zu chinesischen Herstellern. Über 90 Prozent des Geschäfts von Huanyu besteht mit eben diesen chinesischen Autoproduzenten, was uns helfen wird, unsere Position zu stärken.

Wieviel Umsatz wird Jiangsu Huanyu in diesem Jahr etwa erzielen?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil dies noch in der Verantwortung von Huanyu selber liegt. Aber wir wissen, dass die Firma signifikant gewachsen ist gegenüber dem, was sie im Jahr 2023 erreicht hat. Wir sind sehr optimistisch, dass sich dieses Wachstum weiter weiter fortsetzen wird. Mittelfristig wollen wir zusammen mit Huanyu bis zu 20 Prozent unseres Umsatz in Asien erzielen (bislang: rund 10 Prozent, Anm. der Red.).

Es war immer schwierig, als ausländische Firma in China Übernahmen zu tätigen. Wie läuft so eine Akquisition ab?

Ich bin selber seit etwa 25 Jahren in der Automobilbranche unterwegs, einschliesslich China, und habe sehr positive Erfahrungen gemacht mit chinesischen Partnern und Unternehmen. Man muss ein wenig Geduld haben, mit den Leuten sprechen und gute Beziehungen aufbauen. Wir haben mit der Firma Jiangsu Huanyu vor fast einem Jahr erste Kontakte gehabt. Wir haben bewusst ein privat geführtes Unternehmen ausgewählt. Einerseits deshalb, weil börsennotierte Firmen teils sehr hoch bewertet sind. Privat geführte Firmen sind zudem sehr erfolgreich, und über Nachfolgeplanung bestehen oft Möglichkeiten, Firmen zu übernehmen. Und genau das war der Fall bei Jiangsu Huanyu. Die Kinder des Eigentümers wollen das Geschäft nicht übernehmen. Wir haben auch die Möglichkeit, die restlichen 30 Prozent bis 2028 zu übernehmen. Wir wollen allerdings als lokale chinesische Firma agieren und die Beziehungen zu den lokalen Herstellern weiter stärken.

Sie werden Hersteller wie BYD und die chinesischen Marken beliefern. War es die Bedingung für die Übernahme, dass Sie ausschliesslich für den chinesischen Markt produzieren dürfen? Oder kann Jiangsu Huanyu auch exportieren?

Es war keine Bedingung, dass Jiangsu Huanyu nur chinesisch ist. Wir können uns gut vorstellen, auch aus China zu exportieren. Das dürfen wir mit Jiangsu Huanyu. Aber das Wichtigste bei der Übernahme ist der chinesische Markt. Uns fehlten weitestgehend grosse chinesische Autohersteller wie BYD. Jiangsu Huanyu ist unter anderem Haus- und Hoflieferant bei BYD.

Sie können sich noch andere Akquisitionen in China vorstellen. Wäre das dieselbe Grössenordnung wie Jiangsu Huanyu?

Klar ist: In unserer Industrie wird es eine weitere Konsolidierung geben. Wir als Weltmarktführer in unserem Produktsegment haben eine ideale Ausgangslage, um diese Konsolidierung voranzutreiben. Wenn es weitere Möglichkeiten gibt, ist das für uns immer interessant, sofern es finanziell und strategisch passt. An einer zweiten Übernahme in China sind wir sicherlich interessiert. Aber sie ist keine absolute Pflicht mehr, weil wir mit Huanyu den Zugang zu den chinesischen Herstellern geschafft sichergestellt haben. Eine weitere Übernahme in China wäre eine Ergänzung zum jetzigen Portfolio und es stehen deshalb eher eine kleinere Firmen im Vordergrund.

Viele Firmen verlassen China vor dem Hintergrund des Handelskonflikts mit den USA und der zunehmenden geopolitischen Spannungen. Sehen Sie keine Risiken in Ihren China-Geschäften?

Es gibt sicherlich Firmen, die China verlassen. Man muss aber auch sehen: China ist der grösste Automobilmarkt nach produzierten und verkauften Fahrzeugen. Wenn man Weltmarktführer ist wie wir in unserem Bereich und dies auch in Zukunft sein will, ist es wichtig, dass man in China präsent ist. Wir machen keine Politik, wir versuchen, das Unternehmen erfolgreich zu gestalten. Und wir sind wirklich lokal verankert. Unsere aktuellen China-Werke haben lokale Lieferanten und lokale Kunden. Es ist wichtig, als chinesischer Zulieferer für die chinesischen Autohersteller präsent zu sein. Falls es Einfuhrzölle oder andere Restriktionen geben sollte, sind wir relativ wenig betroffen. Unsere Risiken in China sind also begrenzt.

Die Aktie von Autoneum hat in diesem Jahr 17 Prozent nachgegeben. Die Bank Vontobel sieht die Autoneum-Aktie als Leidtragende einer restriktiven Zollpolitik des künftigen US-Präsidenten Donald Trump.

Unsere Aktie hat sich im Quervergleich zu anderen Automobilzulieferern besser gehalten. Das ist auch unsere Ambition. Donald Trump ist ein begnadeter Verhandler. Er macht erstmal viel Lärm, und ich bin überzeugt, dass er am Ende irgendeinen Deal macht und auch eine Vereinbarung mit Ländern wie Mexiko und Kanada abschliessen wird. Wie gesagt: Wir produzieren “lokal für lokal”. Wir haben zum Beispiel zwei Produktionswerke in Mexiko, welche die Automobilhersteller in Mexiko beliefern. Und wir haben amerikanische Werke, welche die Autohersteller beliefern, die ebenfalls in den USA produzieren. Und sollten Autohersteller ihre Produktion neu aufstellen, dann werden wir den Kunden folgen.

Inwiefern hat Autoneum die Produktion für E-Autos angepasst?

Es gibt Firmen, bei denen die Transformation auf E-Fahrzeuge überlebenswichtig ist. Für die Autoneum-Produkte wie etwa Teppichsysteme oder Kofferraumsysteme spielt es dagegen keine grosse Rolle, ob es sich um ein Elektrofahrzeug, einen Verbrenner, einen Hybrid oder ein Wasserstoff-Fahrzeug handelt. Einzig die Hitzeschilder, die aber deutlich weniger als 10 Prozent unseres Umsatzes ausmachen, sind in rein batteriebetriebenen Fahrzeugen nicht vorhanden. Wir sind also unabhängig von den Trends in der Antriebstechnologien. Die Elektromobilität gibt uns aber auch Gelegenheit, neue Produkte zu entwickeln und wir sind da sehr aktiv. E-Motoren zum Beispiel verursachen unangenehme Pfeiftöne. Man muss sie dämmen und mit Isolationsmaterial versehen. Da haben wir Produkte entwickelt und mehrere Aufträge erhalten. Das ist sehr gut angelaufen. Für die Batterien haben wir zwei neue Produkte: Das eine ist ein Unterbodenschutz gegen Steinschlag oder andere äussere Einwirkungen. Das zweite sind die Batteriedeckel. Er schützt die Insassen im Falle eines Feuers. Bei diesen Schutzhüllen oder ‘Flameshields’ sind wir in der Vorentwicklung und mit mehreren Kunden im Gespräch.

Die Nachfrage nach E-Autos ging in diesem Jahr deutlich zurück. Wie kann man sich so verschätzen als Produzent?

Die Nachfrage wurde teils sehr stark getrieben von Subventionen vor allem in Europa. In China gibt es diese immer noch und die Nachfrage nach E-Fahrzeugen ist weiter sehr stark. Global wird es vielleicht ein bisschen langsamer gehen mit der Umstellung als gedacht, aber die Umstellung wird kommen. Der Marktanteil für E-Fahrzeuge wird wieder ansteigen in den nächsten Jahren.

Welche Pläne haben Sie im Truck-Geschäft?

Das LKW-Geschäft war für Autoneum bisher unbedeutend. Aber mit der Übernahme von Borgers, der ein sehr starker Player im LKW-Markt war, haben wir Zugang erhalten zu Technologien, Produkten und Märkten. Zudem haben die LKW-Kunden nach der Übernahme ihr starkes Interesse daran signalisiert, dass wir das LKW-Geschäft weiterführen und ausbauen. Das hat sich bereits dieses Jahr im Auftragseingang deutlich niedergeschlagen und macht uns zuversichtlich, unseren Umsatz mit dem LKW-Geschäft bis 2030 um 50 Prozent erhöhen zu können gegenüber dem aktuellen Stand.

Autoneum hat ein Werk in der Schweiz, in Sevelen. Die Schweizer Industrie verlagert die Produktion mehr und mehr ins kostengünstige Ausland. Hat das Werk Sevelen eine langfristige Zukunft?

Wir denken, dass wir das Werk in Sevelen noch viele Jahre betreiben können. Sevelen ist ein sehr technologiegetriebenes Werk mit relativ hoher Automatisierung und sehr loyalen und guten Mitarbeitenden mit hoher Kompetenz. Wir lassen neue Technologien und Innovationen dort als Piloten anlaufen. Das Werk erzielt eine vernünftige Marge, die teilweise sogar überdurchschnittlich ist im Vergleich zu unserem Gesamtergebnis. Es gibt daher keinen Grund, über Themen wie Rechtsstrukturierung oder Schliessung nachzudenken.

Peter Spuhler, Michael Pieper, Martin Ebner: Autoneum hat quasi ein Schweizer «Old Boys Industry Network» als Hauptaktionäre. Spüren Sie einen Einfluss im operativen Tagesgeschäft?

Im Tagesgeschäft nicht. Wir sind sehr zufrieden mit unserer Aktionärsstruktur. Sie gibt uns strategische und finanzielle Stabilität und Sicherheit, was auch unsere Kunden schätzen. Michael Pieper ist im Verwaltungsrat vertreten, er ist sehr engagiert und aktiv. Peter Spuhler und Martin Ebner sind nicht Mitglieder des Verwaltungsrats. Aber natürlich gibt es auch mit diesen Investoren ab und zu Kontakte. Sie werden wie alle anderen Aktionäre betreut und unterstützt.

Daniel Hügli
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