Vor einer Woche klang Jerome Powell noch sehr entspannt. Nach dem jüngsten Fed-Meeting Ende Juli äusserte sich der Präsident der US-Notenbank Fed zuversichtlich: «Wir bewegen uns in Richtung Zinssenkungen.» Powell erklärte, dass eine Zinssenkung um 25 Basispunkte im September oder November, abhängig von den Daten, die lang erwartete Wende bei den Zinsen in den USA einleiten könnte.

Eine Woche später hat sich die Situation jedoch drastisch verändert. Im Juli ist die Arbeitslosenquote in den USA überraschend auf 4,3 Prozent gestiegen, und Anleger sorgen sich nun, dass nach den schnellen Zinserhöhungen der letzten beiden Jahre eine harte Landung, also eine Rezession, in den USA bevorsteht. Die Börsen weltweit sind eingebrochen und die Erwartungen an die Fed haben sich dramatisch gewandelt.

Der Markt rechnet für dieses Jahr mit Zinssenkungen von fast 125 Basispunkten. Es wird sogar aktiv darüber diskutiert, ob Zinssenkungen zwischen den regulären Fed-Sitzungen gerechtfertigt sind. Die Bank of America hat in einem Bericht die Geschichte solcher ausserordentlichen Zinssenkungen untersucht. Insgesamt wurden neun solche Ereignisse gezählt, einschliesslich der Reaktion nach dem Börsencrash am Schwarzen Montag im Jahr 1987, als der Leitzins noch nicht das wichtigste Instrument der Geldpolitik war.

«Die Beweise in jedem dieser neun Fälle legen nahe, dass ausserordentliche Zinssenkungen durch die Fed in echten Notlagen in der Wirtschaft oder auf den Finanzmärkten durchgeführt wurden», erklärt Michael Gapen von der Bank of America. Zu solchen Notlagen gehören globale Pandemien (wie COVID-19), das Platzen von Vermögenspreisblasen (wie die Technologieblase und der Crash von 1987), systemische Ereignisse mit erheblichen Auswirkungen (wie die Weltfinanzkrise, der Zusammenbruch des Hedgefonds Long-Term Capital Management und die russische Finanzkrise) sowie Kriegshandlungen (wie die Anschläge vom 11. September 2001).

Einbrüche an den Aktienmärkten müssen beträchtlich sein

Laut den Veröffentlichungen des Federal Open Market Committee (FOMC) zum Zeitpunkt der Entscheidungen waren die ausserordentlichen Zinssenkungen unter anderem eine Reaktion auf «spürbare Abwärtsrisiken für das Wachstum», «unruhige Bedingungen auf den Finanzmärkten», «gestörte Wirtschaftsaktivitäten in vielen Ländern», «eine Abschwächung der Wirtschaftsaussichten und zunehmende Abwärtsrisiken für das Wachstum», «eine Verschärfung des Abschwungs im Immobiliensektor», «weiterhin schwache Kapitalinvestitionen», «anhaltende Erosion der aktuellen und erwarteten Rentabilität» und «zunehmende Unsicherheit in Bezug auf Geschäftsaussichten».

«Die Zinssenkungen erfolgten auch inmitten des Scheiterns grosser, systemrelevanter Institutionen wie LTCM, Fannie Mae, Freddie Mac und Lehman Brothers, um nur einige zu nennen», betonen die Autoren des Berichts. Steile Einbrüche an den Aktienmärkten können ebenfalls ein Auslöser sein, wie es auch die derzeitigen Forderungen nahelegen.

Die Einbrüche an den Aktienmärkten während des Crashs von 1987 (circa 30 Prozent), des Platzens der Technologieblase (circa 40 Prozent), der COVID-Krise (circa 33 Prozent) und der Weltfinanzkrise (circa 55 Prozent) legen jedoch nahe, dass die Einbrüche beträchtlich sein müssen, um Massnahmen auszulösen.

«Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 fiel der S&P 500 ‹nur› um 15 Prozent, doch die Wirtschaft hatte bereits acht Monate in Folge Arbeitsplätze verloren», erklärt Gapen. Nur zwei Wochen vor den Anschlägen vom 11. September waren ausserhalb des Agrarsektors 259'000 Arbeitsplätze abgebaut worden.

Die Schlussfolgerung der Bank of America: Historisch gesehen liegen die Hürden für ausserordentliche Zinssenkungen sehr hoch. «Die gegenwärtigen Bedingungen rechtfertigen solch eine Massnahme nicht.»

Könnte sich das ändern? Ja, denn die Einschätzung der grundlegenden Gesundheit der Wirtschaft und die Lebendigkeit der Finanzmärkte könnten sich als irreführend erweisen und die Situation könnte sich sehr schnell verschlechtern. «Aber wenn wir uns fragen: ‹Sollte die Fed jetzt Zinssenkungen in Erwägung ziehen?› Dann sagt uns die Geschichte: ‹Nein, bei weitem nicht.›»

ManuelBoeck
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