Einige Unternehmen zahlen ihren Angestellten Entschädigungen fürs Homeoffice, andere gar nichts. Sind Arbeitgeber verpflichtet, die Kosten zu übernehmen?
Matthias Mölleney: Die meisten Firmen sind pragmatisch: Mitarbeitende haben eine Wohnung, sie können ihren Firmen-Laptop mit nach Hause nehmen und eine Internetverbindung hat heute sowieso jeder. Dafür gibt es keine Entschädigung, denn die Angestellten sparen andererseits die Fahrzeit zum Büro und die ÖV-Kosten.
Mitarbeitende haben also kein Anrecht auf Kompensation?
Ich habe von vielen Firmen gehört, dass Mitarbeitende fordern, dass der Arbeitgeber die Arbeitsplatzinfrastruktur, etwa den Bürostuhl bezahlt. Wenn der Arbeitgeber das finanziert, wäre dann ja eigentlich das Homeoffice eine Betriebsstätte des Arbeitgebers. Damit müsste er aber auch jederzeit das Besuchsrecht bei den Mitarbeitenden haben.
Das dürften die wenigsten Angestellten wollen.
Richtig, und deswegen verzichten die meisten lieber aufs Geld.
Das heisst, Arbeitgeber sind nicht in der Pflicht, wenn Sie Homeoffice anordnen?
Eine Firma muss nur die technische Ausstattung wie Laptop oder Computer sicherstellen. Für die Ausstattung wie Stuhl und Tisch sind die Mitarbeitenden selbst verantwortlich, wenn die Regelung freiwillig ist oder wie im Moment behördlich angeordnet.
Tönt, als würden Firmen ihren Angestellten einen Gefallen tun, wenn sie zuhause arbeiten dürfen. Ist das mangelnde Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden?
Nein, grundsätzlich sollte es den Mitarbeitenden aber freigestellt sein, im Homeoffice zu arbeiten. Ich denke, mobiles Arbeiten wird in Zukunft nicht zwangsweise eingesetzt – während der Pandemie natürlich schon. Wenn ich sehe, bei Firma XY gibt es fast nur remote work, dann bewerbe ich mich dort eben nicht, falls es mir nicht liegt.
Diese Freiwilligkeit entlässt den Arbeitgeber aus der Pflicht, die Mitarbeitenden fürs Homeoffice zu kompensieren?
Genau. Und daher halte ich diese Freiwilligkeit für sehr wichtig. Aber Unternehmen haben auch Vorteile, sie sparen Kosten. Wer seine Wohnung nicht für die Arbeit zur Verfügung stellen will, kann beispielsweise auch in einem Coworking Space arbeiten. Diese Möglichkeit können Firmen anbieten und zahlen die Gebühren, denn sie sparen die Kosten eines Arbeitsplatzes im Büro ein. Dann haben Arbeitnehmer aber auch keinen Anspruch mehr auf einen fixen Arbeitsplatz im Büro. Viele Firmen denken über solche Shared-Desk-Modelle nach.
Wie geht es nach Corona weiter, findet ein Wandel statt bei den Unternehmen statt oder kehren wir dann wieder in den alten «Normalzustand» zurück?
Ich denke nicht, dass der Anteil an Homeoffice und mobilem Arbeiten auf das Niveau vor der Krise zurückgehen wird. Es wird auf einem höheren Niveau bleiben. Aber ich bin überzeugt, dass es dann sehr stark freiwillig sein wird. Arbeitgeber werden es den Mitarbeitenden freistellen, ob sie beispielsweise an zwei Tagen im Homeoffice oder Coworking Space arbeiten und die restliche Zeit im Büro.
Sind wir schon so weit? Bisher waren Unternehmen eher skeptisch gegenüber flexiblem Arbeiten.
Es wird eine Übergangsphase geben, bis die Firmen generell auf solche Modelle umrüsten. Einige denken ja derzeit schon darüber nach, wie sie damit in Zukunft umgehen.
Bislang herrschte teilweise eine starke Präsenzkultur. Wie wirkt sich remote work auf Beförderungen aus, wenn ein Mitarbeiter weniger sichtbar ist?
Wenn nur 10 Prozent Homeoffice machen und der Rest im Büro ist, dann besteht die Gefahr, dass erstere weniger sichtbar sind und bei Beförderungen übersehen werden. Wenn es aber flächendeckend ist und alle Mitarbeiter nicht fünf, sondern etwa nur drei Tage im Büro sind, ist das kein Problem.
Gibt es arbeitsrechtliche Bedenken?
Die Präsenz der Mitarbeitenden ist schon ein Thema. Wenn sich jemand morgens einloggt und dann erst mal eine halbe Stunde wieder offline ist und nicht arbeitet, kann das weniger kontrolliert werden. Das kann natürlich auch im Büro passieren, aber da fällt es eher auf. Daher braucht es eine gute Vertrauensbasis und daran muss man arbeiten.
Ist Überwachung im Homeoffice die Lösung?
Das ist grenzwertig, arbeitsrechtlich sind solche Überwachungstools wahrscheinlich zumindest in einer Grauzone. Unternehmen sollten lieber in Vertrauen investieren und gegenseitige Achtsamkeit zwischen den Mitarbeitenden etablieren.
Eine Führungsaufgabe, diese Vertrauenskultur zu etablieren?
Absolut. Das ist eine neue Dimension der Führungsverantwortung, dieses Vertrauen aufzubauen.
Sind wir in der Schweiz bereits an diesem Punkt oder braucht es einen Kulturwandel?
Das ist einer der wenigen Vorteile der Pandemie, sie hilft dabei, diese Vertrauenskultur zu etablieren. Ich habe mit einigen Unternehmen gearbeitet, bei denen bis vor Corona gar kein Homeoffice möglich war. Nun zeigt sich, es geht doch: Die Mitarbeiter machen ihren Job, die Leistung stimmt und plötzlich ändert sich die Einstellung. Wieso sollen wir wieder zurück, wenn die Mitarbeiter es doch wollen? Viele Firmen merken jetzt, dass sie bisher eine falsche Strategie gefahren sind. Homeoffice funktioniert in vielen Firmen wunderbar.
Wird ein Arbeitgeber in Zukunft solche flexiblen Arbeitsmodelle anbieten müssen, um attraktiv zu bleiben?
Ja, und diese Überlegungen finden zunehmend statt. In den Arbeitsbereichen, wo Homeoffice möglich ist, ist der Wunsch der Mitarbeitenden auch ziemlich gross, auch wenn das Bedürfnis nach sozialen Kontakten ebenfalls sehr hoch ist. Das zeigt etwa der Boom von Coworking Spaces. Das ist ein Trend: Immer mehr Leute wollen nicht im überlasteten ÖV jeden Tag ins Büro fahren, um sich dort mit Kollegen aus ihrer Firma zu treffen, im Coworking Space gibt es auch soziale Kontakte.
Matthias Mölleney ist Leiter des Center for Human Resources Management & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ).
Das Interview erschien zuerst bei handelszeitung.ch mit dem Titel «Unternehmen sollten in Vertrauen investieren».