cash.ch: Ursula Marchioni, Sie beraten beim weltgrössten Vermögensverwalter Blackrock Kunden in leitender Position in der Region Europa, Nahost und Afrika bei Aufbau von Portfolio und beim Risikomanagement. Sind Ihre Kunden in den vergangenen Wochen und Monaten gegenüber Risiken empfindlicher geworden?
Ursula Marchioni: Ja, absolut. Schauen Sie auf die europäischen Fonds-Geldflüsse: hier sehen Sie zum Beispiel grosse Zuflüsse in Exchange Traded Funds (ETF) mit Obligationen. Diesen Trend kann man gut erkennen, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Aktienmärkte gut performen. ETF kann man täglich an der Börse kaufen und sie bilden damit ein gutes Barometer für das Investorensentiment. In diesem Zusammenhang höre ich aber auch in Gesprächen mit Kunden sehr viele Risikobedenken heraus. Kunden wollen mehr Stress- oder "Szenario"-Tests. Investoren wollen wissen, für welche verschiedenen möglichen Entwicklungen sie sich positionieren müssen.
Was sind im Moment die grössten Risiken in den Finanzmärkten?
Das grösste Risiko für mich ist, dass Leute weiterhin gemäss bekannten Mustern investieren. Dies rächt sich früher oder später. Dies betrifft sowohl die Auswahl der Anlageklassen, als auch die Umsetzung beim Anlegen.
Wie meinen Sie dies genau?
Zentralbanken sind auf dem Weg zurück zu einer lockeren Geldpolitik. Dies wirkt generell unterstützend auf Risikoanlageklassen wie Aktien. Dann, die Konsumentenausgaben in den USA sind weiter auf einem gesunden Level. Diese beiden Faktoren bedeuten, dass wir wahrscheinlich keine tiefe Rezession haben werden. Logischerweise würde dies für Aktien sprechen, beispielsweise US-Aktien, die wir auch gut finden. Aber diese althergebrachten, "technischen" Anhaltspunkte reichen als Grundlage einer Portfoliokonstruktion nicht mehr aus: Wir leben in einer Welt, in der geopolitische Spannungen und Handelskonflikte einen viel grösseren Einfluss haben als früher und daher berücksichtigt werden müssen.
Was bedeutet dies für Anleger?
Die Unsicherheit ist gestiegen, deswegen müssen Anleger über die technischen Aspekte hinausgehen und andere Treiber der Unsicherheiten betrachten und einschätzen lernen: Wie geht es mit dem Handelskonflikt weiter, was passiert im Zusammenhang mit dem Impeachmentverfahren gegen US-Präsident Donald Trump? Das ist etwas ganz anders, als wenn man das Bruttoinlandprodukt prognostiziert.
Und wie beeinflusst dies die Ausgestaltung eines Portfolios?
Moderate Risiken werden meiner Meinung nach immer noch belohnt werden. Die Bewertungen sind noch vertretbar, und hochqualitative Aktien können immer noch ein gutes Investment sein – zum Beispiel mögen wir US-Aktien, wie ich schon sagte. Auch die vergleichsweise gut verzinsten Obligationen aus Schwellenländern können interessant sein, gerade auch wegen der wieder lockereren Geldpolitik der US-Notenbank Fed. Die schwach oder negativ verzinsten Staatsanleihen von Industriestaaten indessen können nicht nur wegen des Renditeaspekts, sondern auch als Risikodämpfer in den Portfolios interessant sein. Europäische Staatsanleihen sollten zudem von neuen Anleihenkaufprogramm der EZB profitieren.
Was für Fehler begehen die Anleger dann typischerweise?
Die Fallen lauern eigentlich vor allem bei der Umsetzung. Ich stelle aber überall in Europa fest, dass sich Investoren mehr mit der Umsetzung ihrer Strategien beschäftigen. Es nützt ja nichts, die richtige Anlagephilosophie mit den falschen Produkten umzusetzen.
Was für Beispiele begegnen Ihnen hierzu?
Ein Fehler ist, zu glauben, die am besten performenden Fonds würden auch das beste Portfolio bilden. Ein Teil der Investoren verwendet viel Zeit darauf, die besten Fonds in den verschiedenen Anlageklassen auszusuchen und dann ein Portfolio aufzubauen. Dann besteht aber die Gefahr einer Überdiversifizierung.
Also eher keine Diversifizierung?
Diversifizerung ist etwas sehr wichtiges. Aber man kann es falsch angehen: Vor allem dann, wenn sehr viele Fonds verwendet werden. Wenn ich die 50 besten Fonds habe, heben sich die aktiven Wetten der Fondsmanager gegenseitig auf. Dann habe ich im Grunde genommen ein Index-Portfolio. Dann könnte ich auch ETF nehmen. Nur schmälern bei aktiven Fonds die Gebühren die Rendite viel mehr als bei ETF, die in der Regel kostengünstiger sind.
Somit befürworten Sie eigentlich eher passive Anlagen?
Nein, unsere Antwort auf diese Frage ist nicht, in einzelnen "Silos" zu denken. ETF sind die "reinste" Form, eine Anlageklasse abzubilden. Vom Risikomanagement her gesehen sind das gute Instrumente. Aber um als Anleger von Markt-Timing oder Titelauswahl in Bereichen oder Anlageklassen zu profitieren, mit denen man weniger vertraut ist, ist ein aktiver Manager ein guter Partner. Die Wahl für aktive oder indexierorientierte Anlagen hat viel damit zu tun, wie gut man einen Markt kennt und worauf man seine Fähigkeiten und Zeit verwenden möchte.
Sie würden beide Produktkategorien also mischen?
Ja. Und der Vorteil ist, dass die Auswahl inzwischen enorm gross ist. Wenn man bereit ist, sich etwas umzuschauen und die Produkte zu analysieren, hat man viele Freiheiten.
Welche der beiden Kategorien bevorzugen Ihre Kunden?
Im US-amerikanischen Wealth-Bereich sehen wir ungefähr 60 Prozent der Vermögen in aktiven Fonds, 40 Prozent in indexorientierten-Anlagen. Dies kann man so interpretieren, dass die Portfolios gut gemischt sind. In Europa ist es 88 zu 12 Prozent. Das hat historische Gründe – ETF kommen aus den USA – aber auch regulatorische Gründe, weil ETF keine Retrozessionen gewähren. Aber man sieht nun eine Verlagerung.
Liegt dies an den tieferen Gebühren für ETF?
Ein Portfolio aus 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen hat in den vergangenen zehn Jahren etwa 8,6 Prozent Rendite gegeben. Für die Zukunft erwarten wir bei Blackrock, aber auch generell der Markt, bei der gleichen Portfolioaufteilung etwa 3,5 Prozent Rendite. Denken Sie nun an Investoren wie Pensionskassen, die ihren Kunden Renditen auszahlen müssen: Das wird nicht einfach. Und so werden Kostenbewusstsein und solide Portfoliokonstruktion zentraler. Die heutige Vielfalt von Produkten hilft dabei.