Weil Investoren weitere drastische Zinserhöhungen der grossen Notenbank erwarten, werfen sie bereits gehandelte, niedriger verzinste Papiere aus ihren Depots und treiben die Bond-Renditen von einem Hoch zum nächsten. Einige Börsianer sehen aber das Ende dieser Entwicklung nahen.

Die US-Notenbank Fed werde den Schlüsselsatz bei ihren Sitzungen im November und Dezember zwar noch einmal um jeweils 0,75 Prozentpunkte anheben, prognostiziert John Vail, Chef-Anlagestratege des Vermögensverwalters Nikko. In der ersten Hälfte 2023 rechne er aber mit ersten Zinssenkungen. "Das sollte an den Aktien- und Anleihemärkten grosse Erleichterung auslösen."

Auch immer mehr Fondsmanager setzen auf eine Zinswende. Einer Umfrage der Bank of America zufolge erwarten 38 Prozent der Befragten in den kommenden zwölf Monaten sinkende Renditen bei langfristigen Anleihen. Dies ist der höchste Stand seit November 2008.

Joachim Fels, Geschäftsführer beim Vermögensverwalter Pimco, weist auf einen weiteren Aspekt hin. "Die Renditen sind absolut gesehen so attraktiv wie schon lange nicht mehr." Die zehnjährigen US-Bonds werfen aktuell mit knapp 4,3 Prozent so viel ab wie seit 14-1/2 Jahren nicht. Bei ihren deutschen Pendants erreicht die Rendite mit rund 2,5 Prozent den höchsten Stand seit elf Jahren. Das macht sie für Investoren, die nach sicheren Anlagen suchen, interessant. Dies und die Tatsache, dass sich künftige Zinserhöhungen bereits in den aktuellen Bond-Kursen angemessen widerspiegelten, sollte Käufer anlocken, sagt Fels weiter.

Experten: Hoffnungen auf Zinswende sind verfrüht

Die Anlagestrategen der Bank of America warnen dagegen vor überzogenen Erwartungen. "Bei einer derart hohen und weiter steigenden Inflation, wäre es ein Fehler anzunehmen, dass die Zentralbanken zu einer Lockerung übergehen werden, wenn tatsächlich etwas passiert. Abhängig davon, wo im Zinserhöhungszyklus sie sich befinden, machen sie vielleicht nicht einmal eine Pause."

Die Fed hat den Leitzins seit Jahresbeginn um drei volle Prozentpunkte angehoben. An der Börse gilt als sicher, dass bis zum Jahresende zwei weitere Schritte um jeweils 0,75 Prozentpunkte folgen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hinkt mit einem Plus von 1,25 Prozentpunkten in den vergangenen Monaten hinterher. Auch hier setzen Investoren auf eine weitere deutliche Straffung der Geldpolitik in den kommenden Monaten.

Portfoliomanager Zhiwei Ren vom Vermögensverwalter Penn geht zwar davon aus, dass bei einer Rezession die Renditen nachgeben. Arbeitskräftemangel, gerissene Lieferketten und andere Faktoren hielten den Preisdruck aber langfristig hoch. "Vor drei Monaten dachte ich noch, 3,5 Prozent sei ein grossartiges Niveau für die Rendite der zehnjährigen US-Bonds. Nun denke ich, dass sie in den kommenden Jahren auf fünf Prozent oder mehr steigen könnte." 

(Reuters)