Nach dem Wahlsieg von Donald Trump überbieten sich die Strategen an Wall Street mit immer höheren Kurszielen für den S&P 500 Index. Seit Jahresbeginn hat der Index um etwas mehr als 26 Prozent zugelegt.
Am Donnerstag vor US-Börseneröffnung notiert der S&P 500 bei 5930 Punkten. Der ehemalige Chefstratege der Deutschen Bank Ed Yardeni, Inhaber seiner eigenen Research-Boutique, hob Anfang Woche die Jahresend-Ziele auf 6’100 Punkten für 2024, 7’000 für 2025 und 8’000 für 2026 an. «Aktieninvestoren sind begeistert vom Regimewechsel zu einer wirtschaftsfreundlicheren Politik, die Steuersenkungen und Deregulierung fördert», schrieb er in einer Kundennotiz.
Die «animalischen Instinkte» («Animal Spirits»), die durch die Wirtschaftspolitik des designierten Präsidenten Donald Trump freigesetzt werden, würden den S&P 500 bis zum Ende des Jahrzehnts gar auf 10’000 Punkte treiben, so Yardeni weiter. Seine überaus optimistische Vorhersage, die einem Anstieg von 66 Prozent bis 2030 entsprechen würde, ist ein Zeichen dafür, wie die Wall Street nach den US-Wahlen zunehmend optimistischer in Bezug auf die Aktienmärkte wird. Der Begriff «Animal Spirits» wurde 1936 von John Maynard Keynes in seinem Buch «Allgemeine Theorie der Arbeit, des Zinses und des Geldes» verwendet. Er beschreibt damit die Instinkte, Neigungen und Emotionen, die scheinbar das menschliche Verhalten beeinflussen und sich anhand des Verbrauchervertrauens messen lassen. Heute wird dies weniger mit dem Verbrauchervertrauen als vielmehr mit einer allfälligen Börseneuphorie in Verbindung gebracht.
Yardenis Prognosen basieren auf der Überzeugung, dass Trumps Politik, insbesondere eine Senkung der Körperschaftssteuer, zu höheren Gewinnen für US-Unternehmen führen wird. Wenn Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Konflikt im Nahen Osten gelöst werden, dann sei mit einer Intensivierung der Börsenrallye zu rechnen, schrieb er.
«Wir erwarten bis zum Ende des Jahrzehnts keinen weiteren Bärenmarkt, aber es wird auf dem Weg dorthin zweifellos einige Korrekturen geben», sagte Yardeni gegenüber Bloomberg TC und fügte hinzu, dass die übermässig optimistische Stimmung Anlass zur Sorge gebe.
Trotzdem besteht eine gute Chance, dass sich der Optimismus der Verbraucher und Unternehmen verbessert und dem gleichen Muster folgt wie bei Trumps Wahl im Jahr 2016. «Die Animal Spirits sind zurück», schrieb er.
Die «magischen Sieben» verlieren an Strahlkraft
Der S&P 500 Index wird bis Ende nächsten Jahres im Zuge der anhaltenden US-Wirtschaftsexpansion und des Gewinnwachstums steigen, meint David Kostin, Chef-Aktienstratege der Goldman Sachs unter dem Motto «Denken Sie gross».
Die «magischen Sieben» werden 2025 zwar den Markt übertreffen, allerdings um etwa sieben Prozent. Das ist der geringste Vorsprung seit sieben Jahren und ein Rückgang gegenüber 63 Prozent im Jahr 2023 und 22 Prozent im bisherigen Jahresverlauf. Das schrumpfende relative Gewinnwachstum pro Aktie werde die schrumpfende Leistungslücke vorantreiben, begründet der Stratege Kostin seine Einschätzung.
Der wirtschaftliche Hintergrund begünstigt zyklisch exponierte Aktien. Allerdings haben diese in den letzten Wochen und Monaten bereits stark zugelegt. Goldman Sachs empfiehlt deshalb die Sektoren und Branchengruppen Software & Dienstleistungen, Materialien und Versorgungsunternehmen zum Kauf.
«In unserem grundlegenden Makroausblick wachsen Wirtschaft und Gewinne weiter und die Anleiherenditen bleiben auf dem aktuellen Niveau», schrieb Kostin in einer Kundennotiz. Das Ereignisrisiko für US-Aktien ist sowohl nach oben als auch nach unten hoch. Eine freundlichere Finanzpolitik oder eine gemässigtere Federal Reserve könnten die Aktien weiter ankurbeln, obwohl Trumps vorgeschlagene Zölle und höhere Anleiherenditen die Aktien unter Druck setzen könnten.
«Perma-Bär» Mike Wilson ist bullish
Michael Wilson, Stratege von Morgan Stanley, der in den letzten Jahren für seine pessimistischen Ansichten zu US-Aktien bekannt war, wartet für 2025 mit einem ausgesprochen optimistischen Ausblick auf. Er erwartet für den S&P 500 Index nächstes Jahr einen Anstieg auf 6’500 Punkten, wobei die Gewinne durch ein verbessertes Wirtschaftswachstum und weitere Zinssenkungen der US-Notenbank angetrieben werden. Zuvor hatte Wilson für Mitte 2025 beim S&P 500 Index lediglich ein Ziel von 5400 Punkten als Richtwert angepeilt.
«Die US-Bewertungen sind hoch, aber dazu tragen bessere Makrodaten in den USA bei, eine mögliche künftige US-Zollpolitik, die sich negativer auf das Wachstum im Rest der Welt auswirkt, und Animal Spirits, die zu einer Ausweitung der Rallye führen», schreibt der Stratege von Morgan Stanley in einer der Nachrichtenagentur Bloomberg vorliegenden Notiz.
Die Deregulierung unter der Regierung von Donald Trump werde auch US-Unternehmen zugutekommen, obwohl die Auswirkungen anderer potenzieller Massnahmen unklar seien, erklärte Wilson weiter.
US-Aktien sind seit Anfang 2023 bereits um über 50 Prozent gestiegen, angetrieben von einer Aufregung um die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz, einer überraschend robusten Wirtschaft und Zinssenkungen. «Wir erwarten, dass sich diese Ausweitung des Gewinnwachstums fortsetzt, da die Fed die Zinsen bis ins nächste Jahr senkt und sich die Konjunkturindikatoren weiter verbessern», betont Wilson in Morgan Stanleys Ausblick für 2025 weiter.
Wilson hat sich in den letzten drei Jahren einen Namen als pessimistischer Stratege gemacht. Nachdem er den Aktienausverkauf im Jahr 2022 richtig vorhergesagt hatte, blieb er bis 2023 pessimistisch, während die Märkte sich erholten. Schliesslich gab Wilson nach und erhöhte Anfang des Jahres sein Kursziel für den S&P 500.
1 Kommentar
Steuern runter, Bürokratie weg, Rechtsstaat zurückbinden, Staatsausgaben minimieren. Klingt alles gut. Für Unternehmen und Anleger. Und zwar genau so lange, bis der Staat seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann. Dann muss jeder Einzelne all das selbst bezahlen, das der Staat nicht mehr erbringt und nicht mehr reguliert: Schulen, Polizei, Arbeitslosenversicherung, Gesundheitskosten, und und und. Dabei haben wir gelernt, dass der Staat Leistungen erbringt, die der Einzelne nicht erbringen kann und die die Privaten nicht erbringen wollen oder können. Wer sich das dann dennoch leisten kann? Die Top 5%, die dank gesenkten Steuern mehr Geld verdienen als zuvor. Der Rest wird die Rechnung bezahlen. Selbst wir kleinen Anleger, denn der Upside auf den Unternehmensgewinnen wird ein Einmaleffekt, aber die nicht mehr erbrachten staatlichen Leistungen, die muss der kleine Anleger dann selbst Jahr für Jahr bezahlen. Viel Spass dabei.
Sollte für uns in der Schweiz eine Warnung sein, Trumps und Musks Vision eines entmachteten Staates zusammen mit einem privaten Oligarchentum ist ja auch der feuchte Traum der SVP und FDP. Wie recht Warren Buffet doch hatte, als er der »New York Times« 2006 sagte: "Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen."