Durch die überraschende Rückkehr von Sam Altman als OpenAI-Chef nach seinem abrupten Rauswurf wenige Tage zuvor werden die Karten beim ChatGPT-Anbieter nach Ansicht von Experten neu gemischt. Altman habe nun grössere Freiheiten, die von ihm vorangetriebene Kommerzialisierung Künstlicher Intelligenz (KI) weiter zu forcieren. Er verkaufte die ChatGPT-Technologie bereits an zahlreiche Firmen und sammelte Milliarden für die Weiterentwicklung von KI bei Investoren ein. Er gilt als das Gesicht der Branche. "Er scheint sehr mächtig und es ist unklar, ob der Verwaltungsrat ihn überwachen kann", sagt Mak Yuen Teen, Direktor des Zentrums für Investorenschutz bei der National University of Singapore Business School. "Es besteht die Gefahr, dass das Gremium zu einer Gruppe von Ja-Sagern wird."
Offenbar wegen Differenzen über eine womöglich vorschnelle Markteinführung einer "Superintelligenz", die einer Warnung von OpenAI-Entwicklern zufolge den Fortbestand der Menschheit gefährden könnte, hatte Altman seinen Stuhl am Freitag räumen müssen. Zuvor hatte er Durchbrüche bei der Entwicklung einer "Künstlichen Allgemeinen Intelligenz" (Artificial General Intelligence, AGI) in Aussicht gestellt. Diese kann komplexe Aufgaben ohne menschliches Zutun bewältigen. Kritiker warnen, dass diese Programme ausser Kontrolle geraten und Kriege anzetteln könnten. Bei Investoren und der OpenAI-Belegschaft hatte Altmans Rauswurf Empörung ausgelöst. So drohten fast alle der etwa 700 Beschäftigten mit Kündigung. Daraufhin lenkte das KI-Startup ein und holte ihn zurück.
Personelle Neuaufstellung
Auch der Verwaltungsrat wird nun neu besetzt. Den Vorsitz führt künftig Bret Taylor, der frühere Co-Chef des SAP-Rivalen Salesforce. Der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers zieht ebenfalls frisch in das Gremium ein. Das dritte Mitglied ist Adam D'Angelo, Gründer der Frage-und-Antwort-Webseite Quora und früherer Technik-Chef von Facebook. Letzterer war an der Entlassung Altmans beteiligt. "Dass Summers und Taylor zu OpenAI wechseln, ist aussergewöhnlich und markiert eine dramatische Wende im Unternehmen", sagt Analystin Beatriz Valle vom Datenanbieter GlobalData. Der frühere US-Finanzminister hatte in den vergangenen Monaten mehrfach vor den Umwälzungen durch KI in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt gewarnt.
Es ist unklar, ob neben D'Angelo weitere der bisherigen Verwaltungsräte ihre Jobs behalten oder ob sie überhaupt noch eine Rolle bei der Firma übernehmen werden. Vor den jüngsten Turbulenzen gehörten die Unternehmerin Tasha McCauley, der OpenAI-Chefentwickler Ilya Sutskever und Helen Toner, Strategiechefin der Denkfabrik Center for Security and Emerging Technology, dem Gremium an. Der bisherige Verwaltungsratschef und OpenAI-Mitgründer Greg Brockman hatte aus Protest gegen Altmans Entlassung hingeworfen.
OpenAI-Grossaktionär Microsoft wollte sich zu den Personalien nicht äussern. OpenAI, Altman, Summers, Taylor und Sutskever waren für einen Kommentar zunächst nicht zu erreichen. Letzterer sieht seine Rolle beim Rauswurf Altmans inzwischen kritisch. "Ich bereue meine Beteiligung an den Aktionen des Verwaltungsrates", räumte er am Montag ein.
Einige Experten gehen davon aus, dass das OpenAI-Management nach dem Führungschaos der vergangenen Tage vorsichtiger agieren wird. Denn es stehe künftig unter verschärfter öffentlicher Beobachtung und werde Kritikern entgegenkommen, indem neue Funktionen vor einer Markteinführung künftig ausgiebiger getestet werden. "Sam geht definitiv gestärkt, aber auch mit Flecken auf seiner weissen Weste aus der Affäre hervor", sagt Analyst Jason Wong von der Beratungsfirma Gartner. "Er ist nicht mehr unfehlbar."
(Reuters)