cash: Herr Ward, vor einer Woche war die Zinskurve in den USA invers, das heisst die zehnjährigen US-Staatsanleihen rentierten weniger als die dreimonatigen. Tritt dieses Phänomen auf, gilt dies in Finanzkreisen als zuverlässiger Indikator für eine kommende Rezession. Sind Sie besorgt?

Simon Ward: Im aktuellen Konjunkturzyklus ist die US-Renditekurve als Indikator irreführend, weil die Schwäche der Weltwirtschaft ihren Ursprung in China hat. Und die chinesische Renditekurve für Staatsanleihen war bereits im Jahr 2017 invers. Es könnte also sein, dass diesmal die chinesische Renditekurve der korrekte Indikator ist und nicht die US-Kurve. Oder anders gesagt: Das Signal der US-Zinskurve kommt zu spät.  

Können Sie das genauer erläutern?

Die US-Wirtschaft hinkt China in diesem Zyklus etwas hinterher. Die in China bereits 2018 eingetretene Wachstumsschwäche schwappt erst jetzt auf die USA über. Viele Marktteilnehmer glauben nun, dass es nach dem Eintreten der inversen Zinskurve rund zwölf Monate dauern wird, bis die Wirtschaft in eine Rezession fällt. Betrachtet man die US-Zinskurve, käme diese folglich erst im Jahr 2020. Das sehe ich aber anders: Wenn ich die monetäre Situation analysiere und die chinesische Zinskurve betrachte, steht der Weltwirtschaft die grösste Wachstumsschwäche noch in diesem Jahr bevor, 2020 wird es dann zu einer Erholung kommen.

Sie schauen bei ihren Wirtschaftsprognosen also nicht nur auf die Renditekurven als Indikator, sondern analysieren monetäre Trends. Wieso?

Historisch gesehen ist die Analyse von monetären Trends ein zuverlässigeres Vorhersage-Instrument als die Renditekurve. Konkret schaue ich dabei auf die Entwicklung des globalen Geldbestandes, der unter Ökonomen Geldmenge M1 genannt wird. Wenn ich die historischen Daten analysiere, sehe ich, dass die aggregierte globale Geldmenge die Wirtschaftsentwicklung um neun Monate vorwegnimmt.

Und was bedeutet dies für den aktuellen Zyklus?

Das Wachstum der globalen Geldmenge begann bereits Mitte 2017 zu fallen. Genau neun Monate später, im Frühling 2018, begann sich die globale Wirtschaft abzuschwächen. Das Wachstum der Geldmenge verringerte sich im vergangenen Jahr aber noch weiter und erreichte ihren Tiefpunkt im Oktober. Daraus schliesse ich, dass die Schwäche der Weltwirtschaft bis zum dritten Quartal dieses Jahres anhalten wird, dann sollte jedoch die Talsohle erreicht werden.

Die US-Notenbank hat bereits auf die Konjunktureintrübung reagiert und angekündigt, in diesem Jahr keine Zinserhöhung mehr zu machen und ab September die Bilanzreduktion zu stoppen. Was wird die Fed als nächstes tun?

Ich glaube, dass sich die US-Wirtschaft in den nächsten ein, zwei Quartalen viel schwächer entwickeln wird als dies der Konsens und die US-Notenbank selbst erwarten. Das wird weitere Anpassungen der Geldpolitik nach sich ziehen. Eine Zinssenkung in den nächsten sechs Monaten ist aus meiner Sicht ziemlich wahrscheinlich.

Was würde diese Zinssenkung für die Finanzmärkte bedeuten?

Die Kürzung wird nicht signifikant sein. Und wenn Notenbanken üblicherweise mit einer Lockerung beginnen, braucht es einige Zinsschritte nach unten, bis das Sentiment im Markt stabilisiert werden kann. Der Einfluss eines einzelnen Schrittes wird daher nicht sehr gross sein.

Könnte es gar eine negative Signalwirkung haben?

Das Risiko besteht, dass der Markt wegen der schlechten Konjunkturdaten in den kommenden Monaten negativ überrascht sein wird. Und die Lockerung der US-Geldpolitik würde diese Bedenken nicht gerade lindern. Es könnte gar dazu führen, dass die Marktteilnehmer das Vertrauen in die US-Notenbank verlieren und deren Analyse der wirtschaftlichen Situation infrage stellen. Das wäre ein Grund, noch besorgter zu sein.

Die Aktienmärkte hingegen scheinen wenig besorgt zu sein, seit Jahresbeginn geht es steil aufwärts. Ist diese Entwicklung nachhaltig?

Ich bin sehr misstrauisch gegenüber der Aktienmarkt-Rally, die wir seit Anfang Jahr beobachten. Diese ist von der Anpassung der Geldpolitik der US-Notenbank getrieben. Die Realwirtschaft hingegen schwächt sich weiter ab, was sich auch in den kommenden Unternehmensgewinnen negativ bemerkbar machen wird. Das Risiko ist gross, dass die derzeitige Rally bald vorbei sein wird und die Aktienmärkte nach unten korrigieren werden.

Gemäss Ihrer Prognose wird die Weltwirtschaft ihren Boden im dritten Quartal 2019 erreichen. Die Aktienmärkte beginnen sich normalerweise bereits zu erholen, kurz bevor das Schlimmste überstanden ist. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um in Aktien zu investieren?

Manchmal nehmen die Aktienmärkte diese Entwicklung vorweg, manchmal reagieren sie aber auch verzögert. Derzeit ist es aber klar zu früh, um den Aktienbestand stark aufzustocken. Aktien und andere risikoreiche Assets werden in den nächsten Monaten schlecht abschneiden. Sollten die Aktienmärkte bis Jahresmitte tatsächlich korrigieren, wäre dies eine Einstiegsmöglichkeit. Mein Rat lautet: Defensiv bleiben, in der zweiten Jahreshälfte wird es dann Einstiegsmöglichkeiten geben.

Und wo sehen Sie beim nächsten Aufschwung besonderes Potenzial?

Zyklische Aktien und Schwellenländer werden dann interessant. Speziell gut könnten sich beim nächsten Aufschwung europäische Aktien entwickeln, da diese derzeit stark unterbewertet sind.

Wie die Fed will auch die Europäische Zentralbank in diesem Jahr keine Zinserhöhung machen. Wann wird sie den ersten Schritt wagen?

Wenn man den gegenwärtigen Zustand mit den Jahren 2008 und 2011, also kurz vor den letzten beiden Rezessionen vergleicht, sieht die Eurozone derzeit um einiges gesünder aus. Das bedeutet aber lediglich, dass es in der Eurozone wahrscheinlich keine Rezession geben wird. Europa wird weiterhin empfindlich auf die Entwicklung der globalen Wirtschaft reagieren. Und solange sich die Weltwirtschaft nicht erholt, wird es auch keinen Zinsanstieg geben. Ich denke, den ersten Zinsschritt der EZB wird es nicht vor 2021 geben.

Was sind derzeit die grössten Risiken für die Eurozone?

Es sind vor allem externe Risiken. Die US-Wirtschaft könnte sich schwächer als erwartet entwickeln oder Chinas Erholung könnte sich verzögern. Sehr belastend wären auch Strafzölle der US-Administration auf europäische Autos und ein No-Deal-Brexit.

Für den Fall, dass eines dieser Szenarien eintritt und in der Eurozone eine Rezession auslöst: Wie würde die Europäische Zentralbank reagieren?

Viel könnte die EZB nicht tun. Sie könnten die Forward Guidance anpassen, indem sie etwa ankündigt, die Zinsen nicht vor 2021 anzuheben. Eine weitere Lockerung der Geldpolitik wird es hingegen kaum geben, das wäre politisch zu brisant. Schlussendlich muss die EZB dieses Jahr einfach aussitzen, nächstes Jahr sollte es dann - sofern mein Szenario korrekt ist - zu einer Erholung der Wirtschaft kommen.

Wann wird die SNB den ersten Schritt wagen, werden sie der EZB folgen?

Die SNB ist in einer schwierigen Situation. Eine Zinserhöhung wäre dann denkbar, wenn es einen starken Inflationsdruck gäbe. Doch solche Anzeichen sehe ich derzeit keine. Ich glaube, der erste Zinsschritt der SNB wird noch später kommen als derjenige der EZB.

Der Brite Simon Ward ist Economic Adviser bei der Investmentgesellschaft Janus Henderson in London. Er hat 25 Jahre als Wirtschaftswissenschaftler über die Finanzmärkte geforscht. Er kam im Rahmen der Übernahme von New Star im April 2009 zu Henderson (Henderson fusionierte im Mai 2017 mit Janus Capital). Zuvor hatte er verschiedene Positionen bei WorldInvest, Lombard Street Research und Julius Baer Bank inne. Er verfügt über einen Abschluss der Universität von Cambridge und des Birkbeck College.

Das Interview entstand im Rahmen einer Pressereise, die von Janus Henderson organisiert wurde.