Die Rechtskommission des Ständerates (RK-S) beantragt ihrem Rat mit 10 zu 3 Stimmen, die Erklärung anzunehmen. Entschieden habe sie dies an einer Sondersitzung zum Urteil von Anfang April und nach der Anhörung von Fachleuten, sagte Präsident Daniel Jositsch (SP/ZH) am Dienstag in Bern vor den Medien.

Der Ständerat werde in der Sommersession über die Annahme der Erklärung entscheiden. Gegen den Text sprachen sich drei Vertreter von SP und Grünen in der Kommission aus.

«Überstrapaziert»

Der Ständerat soll nach dem Willen der Mehrheit der RK-S seine Besorgnis über das Vorgehen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ausdrücken. «Wir anerkennen den Wert des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, aber wir wollen unser Unverständnis äussern», sagte Jositsch.

Die Erklärung trägt den Titel «Effektiver Grundrechtsschutz durch internationale Gerichte statt gerichtlicher Aktivismus». Das Urteil in Sachen Verein Klimaseniorinnen Schweiz überschreite die Grenzen der dynamischen Auslegung, heisst es darin. Der EGMR habe die Grenzen der zulässigen Rechtsfortentwicklung «überstrapaziert».

Mit seinem Vorgehen setze sich der EGMR dem Vorwurf eines «unzulässigen und unangemessenen gerichtlichen Aktivismus» aus, heisst es im Text weiter. Der Gerichtshof nehme in Kauf, dass nicht nur die Europarats-Staaten, sondern auch die innerstaatlichen Akteure der Mitgliedsländer seine Legitimität in Frage stellten. Dies könne den effektiven Schutz der Menschenrechte schwächen.

Anforderungen des Urteils erfüllt

In der von ihr verabschiedeten Erklärung fordert die Mehrheit der RK-S vom EGMR, der staatlichen Souveränität und dem völkerrechtlichen Konsensprinzip «wieder erhöhte Bedeutung zu schenken». Die Richter in Strassburg müssten die demokratischen Prozesse der Vertragsstaaten achten.

Erwartungen richtet die RK-S auch an den Bundesrat. Er soll laut der Erklärung im Europarat darüber informieren, dass die Schweiz schon sehr viel unternehme für das Erreichen der Klimaziele, wie Jositsch sagte. Erinnert wird in der Erklärung ans Klimaschutz-Gesetz und das im Frühjahr verabschiedete revidierte CO2-Gesetz.

Das Klima-Abkommen von Paris verpflichte nicht zu nationalen Treibhausgas-Budgets, heisst es in der Erklärung. Letztlich lasse sich ein solches Budget aber aus festgelegten Durchschnittszielen der Schweiz herleiten. Ihre internationalen, verbindlichen Pflichten habe die Schweiz bisher eingehalten.

Der Bundesrat soll deshalb die zuständigen Gremien des Europarates darüber informieren, dass die Schweiz keinen Anlass sehe, dem Urteil weiter Folge zu leisten. Denn mit ihren bisherigen und laufenden klimapolitischen Bestrebungen erfülle sie die menschenrechtlichen Anforderungen des Urteils.

Aufgaben nicht nachgekommen

Der EGMR hatte Anfang April auf eine Beschwerde des Vereins Klimaseniorinnen hin eine Verletzung der Menschenrechtskonvention durch die Schweiz festgestellt. Sie sei ihren Aufgaben beim Klimaschutz nicht nachgekommen.

Der Staat müsse Einzelpersonen vor den Folgen des Klimawandels für Leben, Gesundheit und Lebensqualität schützen. Ein Land müsse entsprechende Bestimmungen erlassen und Massnahmen ergreifen. Massnahmen, um die Verletzung der Menschenrechtskonvention zu beheben, nannte der EGMR explizit nicht.

Die Schweizer Politik nahm den Entscheid sehr unterschiedlich auf. Rot-Grün sowie Umweltverbände begrüssten den Richterspruch. Von bürgerlicher Seite hiess es, es sei gefährlich, wenn Gerichte Politik machten. Zu hören war auch der Vorwurf, dass der EGMR die Schweizer Demokratie mit Entscheiden an der Urne nicht verstehe.

(AWP)