Im schwersten Machtkampf in Russland seit Jahrzehnten hatten Söldner der Wagner-Gruppe am Samstag die Stadt Rostow am Don eingenommen und sich auf den Weg nach Moskau gemacht. Am selben Tag lenkte Söldnerchef Jewgeni Prigoschin jedoch ein und erklärte seinen Rückzug. Ein Überblick über die Entwicklungen bis Sonntagabend:
Am Freitag
Prigoschin veröffentlicht ein Video, in dem er seinen Konflikt mit der Spitze des russischen Militärs verschärft. Er widerspricht den offiziellen russischen Begründungen für den Angriff auf die Ukraine und düpiert damit auch Präsident Wladimir Putin, seinen langjährigen Gönner.
In später veröffentlichten Audioaufnahmen beschuldigt Prigoschin die russischen Streitkräfte eines Angriffs auf die Wagner-Söldner. Er kündigt einen "Marsch für Gerechtigkeit" an. - Der russische Geheimdienst FSB eröffnet ein Strafverfahren gegen Prigoschin, weil er zum bewaffneten Aufstand aufgerufen habe.
Der stellvertretende Befehlshaber des russischen Ukraine-Feldzugs, General Sergej Surowikin, fordert die Wagner-Söldner auf, ihren Widerstand gegen die Militärführung aufzugeben und in ihre Stützpunkte zurückzukehren. Die Truppen rücken aber bereits aus.
Am Samstag
Prigoschin erklärt, dass seine Männer die Grenze zwischen den besetzten ukrainischen Gebieten und Russland überschritten hätten und bereit seien, "alles" gegen das russische Militär zu unternehmen.
Wagner-Kämpfer besetzen die südrussische Stadt Rostow am Don und das dort gelegene Hauptquartier für den Ukraine-Feldzug. Der Gouverneur der südrussischen Region Rostow, die an die Ukraine grenzt, fordert die Einwohner auf, Ruhe zu bewahren und zu Hause zu bleiben.
Das Weisse Haus erklärt, es beobachte die Situation und werde sich mit Verbündeten und Partnern beraten. Später telefonieren US-Präsident Joe Biden, Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Rishi Sunak. Auch die G7-Aussenministerinnen und -Aussenminister beraten.
Das russische Verteidigungsministerium fordert die Wagner-Kämpfer zum Einlenken auf, da sie "getäuscht und in ein kriminelles Abenteuer hineingezogen" worden seien.
Eine russische Sicherheitsquelle teilt Reuters mit, dass die Wagner-Kämpfer die Kontrolle über alle militärischen Einrichtungen in der Stadt Woronesch auf halbem Weg der rund 1000 Kilometer langen Strecke zwischen Rostow und Moskau übernommen haben.
Russlands Präsident Wladimir Putin kündigt in einer Fernsehansprache eine Niederschlagung des "bewaffneten Aufstands" an. Er spricht von "Verrat" und einem "Dolchstoss"
Der Putin nahestehende Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, erklärt, seine Streitkräfte seien bereit, bei der Niederschlagung des Aufstands von Prigoschin zu helfen. Truppen setzen sich nach Rostow in Bewegung.
Russische Militärhubschrauber eröffnen nahe Woronesch das Feuer auf einen Konvoi von Rebellensöldnern.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt: "Russlands Schwäche ist offensichtlich." Je länger Moskau seine Truppen und Söldner in der Ukraine halte, desto mehr Chaos werde es nach Russland bringen.
Sergej Naryschkin, der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, erklärt, Prigoschins sei gescheitert mit dem Versuch, die Gesellschaft zu destabilisieren und einen Bürgerkrieg zu entfachen.
Russische Soldaten errichten eine Maschinengewehrstellung am südwestlichen Stadtrand Moskaus, wie aus Fotos hervorgeht, die von der Zeitung "Wedomosti" veröffentlicht werden. Zufahrtsstrassen nach Moskau werden befestigt.
Putin telefoniert mit den Staatschefs mehrerer Ex-Sowjetrepubliken und mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip.
Belarus gibt eine Erklärung ab, in der es seine Allianz mit Russland bekräftigt.
Putin unterzeichnet ein Gesetz, das 30-tägige Haftstrafen für Verstösse gegen das Kriegsrecht in Orten erlaubt, in denen es verhängt wurde, berichtet die Nachrichtenagentur RIA.
Den Wagner-Söldnern wird eine Amnestie versprochen, wenn sie ihre Waffen niederlegen, "aber sie sollten sich beeilen", zitiert die Nachrichtenagentur Tass den russischen Abgeordneten Pawel Krascheninnikow.
Das russische Aussenministerium warnt in einer Erklärung die westlichen Länder davor, die Meuterei der Wagner-Gruppe zu nutzen, "um ihre russophoben Ziele zu erreichen".
Das Büro des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko erklärt, er habe eine Vereinbarung mit Prigoschin ausgehandelt, der einer Deeskalation der Situation zugestimmt habe.
Prigoschin sagt, er habe seinen Kämpfern befohlen, umzukehren und zu ihren Stützpunkten zurückzukehren, um Blutvergiessen zu vermeiden.
Es gebe eine Verabredung, dass Prigoschin nicht weiter strafrechtlich verfolgt werde und nach Belarus ausreise, teilt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow mit. Den Söldnern, die in ihre Garnisonen zurückkehrten, drohe keine Bestrafung.
Am Abend meldet die russische Agentur RIA, dass 3000 tschetschenische Kämpfer in Moskau Position bezogen hätten, um die Stadt notfalls gegen Aufständische zu verteidigen.
Prigoschin verlässt die Stadt Rostow, Videoaufnahmen zufolge unter Applaus von Zivilisten. Es ist unklar, ob er tatsächlich nach Belarus ausgereist ist.
Am Sonntag
Die schwer bewaffneten Wagner-Söldner ziehen sich auch aus Rostow zurück.
In Moskau herrscht Ruhe, der Rote Platz ist geschlossen. Für Montag wurde den meisten Beschäftigten frei gegeben. Börsen und Banken sollen aber normal arbeiten.
Das russische Staatsfernsehen zeigt ein offenbar vor dem Aufstand aufgezeichnetes Interview mit Putin. Er sagt, er sei zuversichtlich, dass die Pläne der "Spezialoperation" in der Ukraine, wie er den Krieg nennt, umgesetzt würden.
(Reuters)