Die Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen mit der EU sei unabdingbar, sagte Aussenminister Ignazio Cassis vor den Medien in Bern. Nach rund siebzig bilateralen Treffen auf den verschiedensten Ebenen sei man nun so weit, einen Mandatsentwurf zu präsentieren. Gleichzeitig publizierten die EU und die Schweiz eine gemeinsame Erklärung.

Diese schaffe die Voraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen, schrieb das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). In der Erklärung seien Landezonen definiert, die man dann bei den Verhandlungen auf Landepunkte reduzieren müsse, sagte Cassis weiter.

Darin bekräftigen Bern und Brüssel den von der Schweiz vorgeschlagenen Paketansatz. So soll es neue Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit geben. Auch ein Abkommen zur systematischen Teilnahme an EU-Programmen gehört zum Paket sowie regelmässige Kohäsionsbeiträge an die EU. Wie hoch diese sein werden, ist aktuell noch offen.

Kein institutionelles Dach mehr

Anders als beim Institutionellen Rahmenabkommen (InstA) sollen die institutionellen Fragen neu in die einzelnen Binnenmarktabkommen integriert werden. Davon betroffen sind Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, technische Handelshemmnisse (MRA) und Landwirtschaft. Hinzu kommt noch das auszuhandelnde Stromabkommen.

Ebenfalls neu ist, dass nur drei Binnenmarktabkommen Beihilfebestimmungen erhalten sollen: Strom, Luftverkehr und Landverkehr. Zwar legt gemäss Erklärung immer noch der EU-Gerichtshof EU-Recht aus, der Anwendungsbereich ist aber gemäss der Erklärung neu etwas enger definiert als beim InstA.

Gleichzeitig bekennt sich die Schweiz zur dynamischen Rechtsübernahme bei den Binnenmarktabkommen, sie erhält dafür aber Ausnahmen. Laut Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider etwa bei der Personenfreizügigkeit, einem der umstrittensten Dossiers.

Unionsbürgerrichtlinie

Denn die EU will, dass die Schweiz die Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) übernimmt, die für Brüssel eine Weiterentwicklung des EU-Rechts ist. Hier etwa gibt es Ausnahmen für die Schweiz beim Landesverweis, bei der Sozialhilfe und bei der Vergabe von Daueraufenthalten.

Beim Lohnschutz bekennen sich laut Erklärung beide Parteien zum Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort». Ausnahmen gibt es hier für die Voranmeldefrist und die Kautionspflicht.

Zudem könne die Schweiz weiterhin Arbeitskontrollen durchführen und das Arbeitsgesetz durchsetzen, bestätigte Baume-Schneider. Laut Cassis gibt auch eine Non-Regressions-Klausel, die der Schweiz ermöglicht, Verschlechterungen nicht übernehmen zu müssen.

Die ursprünglich von der EU verlangte Super-Guillotine gehört hingegen der Vergangenheit an. Diese hätte vorgesehen, dass wenn das InstA gekündigt worden wäre, alle Binnenmarktabkommen ebenfalls hinfällig geworden wären. In der gemeinsamen Erklärung wird nun neu von «proportionalen Kompensationsmassnahmen» gesprochen.

Zeitdruck wegen Forschung

Dank des Fortschritts bei den Gesprächen mit der EU ist es Bern gelungen, die EU-Programme wie das EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe» und das EU-Bildungsprogramm «Erasmus+» zu deblockieren. So laufen aktuell technische Gespräche mit der EU dazu.

In der Erklärung wurde zudem eine Übergangsregelung vereinbart, «die es Forschenden in der Schweiz ermöglicht, an der Ausschreibung 2024 des Europäischen Forschungsrates (ERC) teilzunehmen, sobald die Verhandlungen über das Paket und die Assoziierung an 'Horizon Europe' aufgenommen werden», schrieb das EDA in einer Mitteilung.

Diese Übergangsregelung solle für das Programmjahr 2025 angewendet werden, sofern ein entsprechendes Abkommen zwischen der Schweiz und der EU bis dann paraphiert worden sei. Das würde demnach bedeuten, dass man bis Ende 2024 zu Ende verhandelt hat.

Alles noch offen

Dank dieser gemeinsamen Erklärung sind die Schweiz und sie EU ein grosses Stück weiter gekommen. Doch Cassis warnte: «Alles kann noch einmal diskutiert werden - von beiden Seiten.» In vielen offenen Punkten gehe es um Kleinigkeiten: «Der Teufel steckt im Detail.»

Dort, wo die Schweiz ihre Ziele noch nicht erreicht habe, werde noch einmal diskutiert, sagte er. Der Bundesrat wolle aber rasch vorwärtskommen. Für die Schweiz wird der stellvertretende Staatssekretär Patric Franzen als Chefunterhändler mit der EU verhandeln.

Der Mandatsentwurf des Bundesrats geht nun in die Konsultation ins Parlament und zu den Kantonen. Das definitive Verhandlungsmandat dürfte in zwei bis drei Monaten stehen. Auf Seite der EU muss die EU-Kommission den Mandatsentwurf noch zuhanden der EU-Mitgliedstaaten verabschieden. Dies dürfte voraussichtlich am kommenden Mittwoch der Fall sein.

mk/

(AWP)