Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) versicherte bei ihrem Kurzbesuch im ukrainischen Odessa, dass eine erste Einheit des hochmodernen Waffensystems Iris-T SLM schon in wenigen Tagen geliefert werde. Dabei handelt es sich um ein bodengestütztes Luftabwehrsystem, über das noch nicht einmal die Bundeswehr verfügt. Ausserdem finanziere Deutschland gemeinsam mit weiteren europäischen Ländern die Lieferung von 16 Radpanzerhaubitzen vom Typ Zuzana aus slowakischer Produktion.

Auch auf dem diplomatischen Parkett reagierte der Westen erneut deutlich auf die Eskalation Russlands durch die Annexionen und die Teilmobilmachung von mindestens 300 000 Reservisten: In zahlreichen europäischen Ländern wurden die russischen Botschafter einbestellt. Neun Nato-Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa verurteilten gemeinsam Putins völkerrechtswidrige Einverleibung der ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja.

Für Unruhe sorgten derweil die russischen Drohungen zum Einsatz von Atomwaffen - auch vor dem Hintergrund einer zunehmend in Bedrängnis geratenden russischen Armee. "Angesichts der inneren Panik in der Russischen Föderation und der zunehmenden militärischen Niederlagen steigt das Risiko dafür", sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak der "Bild" (Samstag). Verteidigungsministerin Lambrecht warnte vor einer Lähmung des Westens angesichts der Drohungen. Der CDU-Aussenpolitiker Roderich Kiesewetter meinte im "Tagesspiegel", man müsse Putin mit Stärke und Geschlossenheit entgegentreten.

Bei der Teilmobilmachung hatte der Kremlchef am 21. September gesagt: "Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu verteidigen. Dies ist kein Bluff." Mit den Annexionen sieht Putin auch Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja als russisches Staatsgebiet an. Das russische Parlament ratifizierte die international nicht anerkannten Annexionen am Montag. Die mehr als 400 Abgeordneten votierten einstimmig für die Aufnahme der Regionen in die Russische Föderation.

Ukrainische Soldaten bei Lyssytschansk

Von einer gesicherten russischen Vorherrschaft in den annektierten Gebieten kann derweil keine Rede sein. Zum einen standen teils grössere Teile der Gebiete schon zum Zeitpunkt der Einverleibung gar nicht unter russischer Kontrolle. Darüber hinaus berichteten die Besatzer am Montag von zahlreichen Versuchen der Ukraine, Frontlinien zu durchbrechen. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor von neuen Erfolgen bei der Rückeroberung von Ortschaften berichtet.

Im Bezirk Luhansk hätten sich ukrainische Soldaten bei der Stadt Lyssytschansk bereits festgesetzt, schrieb ein Militärsprecher der von Moskau gelenkten Luhansker Separatisten im Nachrichtendienst Telegram. Die ukrainischen Einheiten seien unter dem ständigen Feuer der russischen Armee. Unabhängig überprüfen lassen sich die Berichte aus den Kampfgebieten nicht.

"Sobald die ukrainische Flagge zurückgekehrt ist, erinnert sich niemand mehr an die russische Farce mit irgendwelchen Papieren und irgendwelchen Annexionen", sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Montag.

Es hakt bei der russischen Teilmobilmachung

Bei seiner Teilmobilmachung stösst Russland nach Einschätzung britischer Geheimdienste auf erhebliche Probleme. Eingezogene Reservisten würden sich derzeit übergangsweise in Zeltlagern versammeln, hiess es vom britischen Verteidigungsministerium. Das deute daraufhin, dass das Militär Schwierigkeiten habe, die Rekrutierten auszubilden und Offiziere für die Führung neuer Einheiten zu finden. Die Geheimdienste gehen ausserdem stark davon aus, dass seit der Verkündung der Teilmobilmachung am 21. September auch bereits Russen eingezogen wurden, die eigentlich nicht unter die Definition der Rekrutierungswelle fallen.

Der Gouverneur der Region Chabarowsk im Osten Russlands bestätigte das am Montag: Demnach sind von "einigen Tausend" Einberufenen dieser Region inzwischen die Hälfte zurückgekehrt. Sie waren demnach eingezogen worden, obwohl sie nicht den Kriterien entsprachen. Der verantwortliche Leiter des Kreiswehrersatzamtes sei entlassen worden, schrieb Michail Degtjarjow im Nachrichtenkanal Telegram. Wie es zu den Fehlern kommen konnte, erklärte der Gouverneur nicht. Eingezogen werden sollen im ganzen Land mindestens 300 000 Reservisten, um in den besetzten ukrainischen Gebieten nach zahlreichen Niederlagen der russischen Armee die Stellung zu halten.

Hunderttausende Russen sind ins Ausland geflohen, um nicht in den Kriegsdienst geschickt zu werden. Die von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnte Mobilmachung hatte zudem die grössten Anti-Kriegs-Proteste seit Monaten ausgelöst. Es gab auch Brandanschläge auf Einberufungsstellen. Der russische Präsident hatte selbst vorige Woche gesagt, es müssten alle Fehler bei der Einberufung von Reservisten "korrigiert" werden.

Lauterbach: "Ob das Putins Psyche verkraftet, ist egal"

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach als erstes Kabinettsmitglied davon, dass sich Deutschland mit Putin "im Krieg" befinde. Der SPD-Politiker benutzte die Formulierung auf Twitter in einer Reaktion auf den Vorschlag, einzelne Nato-Staaten sollten Russland garantieren, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen werde, um so den Boden für Verhandlungen zur Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen das Land zu bereiten.

"Mal ehrlich: Was sollen denn jetzt Kniefälle vor Putin bringen?", fragte Lauterbach daraufhin auf Twitter. "Wir sind im Krieg mit Putin und nicht seine Psychotherapeuten. Es muss weiter konsequent der Sieg in Form der Befreiung der Ukraine verfolgt werden. Ob das Putins Psyche verkraftet, ist egal." Vor Lauterbach hatte bereits Finanzminister Christian Lindner (FDP) von einem "Energiekrieg" gesprochen. Lauterbach bekam auf Twitter ebenso Zu- wie Widerspruch./nif/DP/he

(AWP)