Im Rennen um die Nachfolge von Premierminister Boris Johnson hatte Liz Truss versprochen, die Londoner City - das Zentrum der britischen Finanzwelt - "wirklich zu entfesseln". Der umgerechnet rund 192 Milliarden Euro schwere Wirtschaftszweig zählt zu den wichtigsten Branchen des Landes, das der EU mit dem Brexit den Rücken gekehrt hat. Es folgt eine Übersicht über die Pläne von Truss:
Deregulierung
Truss will nach dem Brexit die Branche stärker deregulieren. Dabei will sie unter anderem die von der Europäischen Union geerbten Finanzregeln noch energischer beschneiden. Diese bremsen aus ihrer Sicht die Londoner City und deren Beitrag für das gesamte Land. Die britische Finanzmetropole ist mittlerweile weitgehend von der EU abgekoppelt.
Im Zuge des EU-Ausstiegs wurde Banken der "EU-Pass" entzogen, der sie im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) berechtigte, ihre dortigen Kunden mit lediglich einer einzigen im EWR lizensierten Gesellschaft zu bedienen.
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Der Finanzstandort London sieht sich zunehmender Konkurrenz aus Amsterdam und Paris ausgesetzt. Dazu kommen langjährige Rivalen wie die Finanzplätze in New York und Singapur. Truss hat Reformen in Aussicht gestellt: So sollen unter anderem die Solvency-II-Vorschriften, die die Kapitalanforderungen für Versicherer regeln, und das Regelwerk MiFID II für den Handel mit Aktien und Anleihen geändert werden.
Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben (Financial Services and Markets Bill - FSMB), das den Aufsichtsbehörden mehr Befugnisse zur Überarbeitung dieser Regeln geben soll, ist vom Finanzministerium im Juli ins Parlament eingebracht worden. Bislang sind die anvisierten Änderungen, die von der Branche begrüsst werden, eher klein als radikal.
Was zu erwarten ist
Für Brexit-Unterstützer gilt insbesondere eine Reform der Solvency-II-Regeln als Test für die Entschlossenheit der Regierung, die durch den Austritt aus der EU gewonnenen Freiheiten auszuschöpfen. Die Vorschriften werden gegenwärtig vom Finanzministerium und von der Notenbank überprüft. Dabei geht es um geschätzte 95 Milliarden Pfund (umgerechnet knapp 110 Milliarden Euro) aus Kapitalpuffern, die für Investitionen in die Wirtschaft feigesetzt werden könnten. Das ist allerdings umstritten.
Die Bank of England (BoE) sträubt sich gegen entsprechende Forderungen aus der Branche. Dabei hat sie vor allem den Schutz von Versicherungskunden im Blick. Es wird erwartet, dass Truss durch ihren neuen Finanzminister den Druck auf die Notenbank erhöht, noch mehr an Solvency II zu ändern.
Zu weiterem Druck auf die Notenbank könnte es zudem kommen, wenn die Umsetzung des letzten Teils der neuen globalen Kapitalvorschriften für Banken - in der Fachwelt Basel III genannt - ansteht. Die BoE könnte dann beispielsweise mit Forderungen konfrontiert werden, nicht so streng mit den Instituten umzugehen.
Druck auf die Regulierer
Der vom Finanzministerium im Juli ins Parlament eingebrachte Gesetzesvorschlag sieht bereits als neue Ziele für die Finanzmarktaufsicht FCA (Financial Conduct Authority) und die bei der Zentralbank angesiedelte Bankenaufsicht PRA (Prudential Regulation Authority) vor, das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der City bei neuen Vorschriften zu berücksichtigen.
Truss will die Rolle der beiden Behörden und des für den Zahlungsverkehr zuständigen Payment Systems Regulator überprüfen. Denn aus ihrer Sicht haben diese nicht genug unternommen, um Wachstum zu fördern. Manche Branchenvertreter befürchten, die Prüfung könnte zu einer Neuauflage der ehemaligen Financial Services Authority führen - einer Behörde, die nach der Finanzkrise wegen ihrer zu laschen Vorgehensweise abgeschafft wurde. Ihre Aufgaben wurden auf die beiden Nachfolgebehörden verteilt - die Finanzmarktaufsicht FCA und die Bankenaufsicht PRA.
Truss könnte zudem im FSMB-Gesetz noch weitere Befugnisse für das Finanzministerium verankern, um etwa die Finanzaufseher einzubestellen oder übergehen zu können. Notenbank-Chef Andrew Bailey hat davor gewarnt, dass die Reputation der City als globales Finanzzentrum Schaden nehmen könnte.
Streit um «Fahrtrichtung» der BoE
Truss hat überdies eine Reformdebatte mit Blick auf die Notenbank angestossen. Sie will deren 25 Jahre altes Mandat auf den Prüfstand stellen, das die BoE von der Politik unabhängig machte. Dazu soll eine "klare Fahrtrichtung" für die Geldpolitik her. Details zu ihren Plänen blieb sie schuldig. Das vom einstigen Labour-Finanzminister Gordon Brown entworfene Modell sieht vor, dass die BoE die Zinsen in Eigenregie so festlegen darf, wie sie es zum Erreichen des von der Regierung gesetzten Inflationsziels für nötig hält.
Die Zentralbank steht in der Kritik, geldpolitisch zu langsam auf die rasant steigende Inflation reagiert zu haben. BoE-Chef Bailey will sich dennoch nicht von der Politik ins Lenkrad greifen lassen: Er glaube nicht, dass es derzeit ein "grosses Verlangen" im Land gebe, die Unabhängigkeit der Notenbank in Frage zu stellen.
(Reuters)