Was ist zurzeit los an den Märkten? Zuerst ging es bergab, es kam aber nicht zu einem Crash, dann zog es zwischendurch wieder an.
Stefan Kreuzkamp: Wäre es nach dem Drehbuch vieler Marktbeobachter gegangen, hätte ein Sommergewitter die Märkte dahingehend bereinigt, dass sie sich im vierten Quartal wieder ihrer liebgewonnen Jahresendrally hätten widmen können. Die Märkte hielten sich aber sehr robust im Sommer, obgleich einige jener Trends, die nun für Nervosität sorgen, bereits erkennbar waren. Im Wesentlichen sind es folgende Diskrepanzen, die einer weiteren Aufwärtsbewegung der Aktienmärkte zumindest im Wege standen, wenn nicht sogar eine Korrektur bedingten: Auf der einen Seite verliert der Konjunkturaufschwung an Fahrt, was sich nicht nur bei den Einkaufsmanagerindizes zeigt, sondern auch in den "ökonomischen Überraschungsindizes" der Citibank. Dies wiederum schlägt sich in einer weniger optimistischen (Konjunktur-)Erwartungshaltung der Fondsmanager laut Merrill Lynch nieder.
Aber es ging ja wieder aufwärts.
Gleichzeitig sind die Märkte aber weiter nach oben gelaufen, getragen unter anderem von weiterhin positiven Revisionen der Unternehmensgewinne. Globale Fondsmanager waren weiter offensiv positioniert. Was aber ebenfalls seit Spätsommer nach oben lief, waren die Inflationszahlen, getrieben vor allem von Energiepreisen und vereinzelt auch Lohnsteigerungen. Und beim Thema Inflation werden die Anleger doch nervös. So sehr die Zentralbanker und Strategen auch betonen, dass sie grossteils angebotsseitig bedingt ist, durch einmalige Basiseffekte verstärkt wird und insgesamt nur vorübergehend sein sollte. Für diese Sichtweise spricht vieles, aber sie schliesst nicht aus, dass das Post-Covid-Inflationsniveau über dem Prä-Covid-Niveau liegen könnte.
Auch die Zentralbanken haben jüngst wieder von sich reden gemacht.
Die Zentralbanken werden nicht müde zu wiederholen, dass sie die Zügel auf keinen Fall zu früh anziehen werden und den Markt nicht negativ überraschen wollen, so ist die Richtung doch klar: Der monetäre Impuls wird im kommenden Jahr unter dem Diesjährigen liegen. Wenn zu dieser Gemengelage noch anhaltende Lieferengpässe, die US-Shutdown-Debatte, eine stockende Impfkampagne und der in seiner Konsequenz überraschende Eingriff Pekings in verschiedene Wirtschaftssektoren sich dazu gesellen, darf einen die Marktreaktion nicht verwundern. Wir rechnen daher weiter mit volatilem Seitwärtshandel. Aber vergessen wir auch nicht: der MSCI World notiert gerade einmal rund 5 Prozent unterhalb seines Rekordhochs von Anfang September, welches wiederum 25 Prozent über dem Höchststand vor dem Covid-Einbruch lag.
Ökonomen warten auf das Platzen einer Blase – was ist Ihre Meinung dazu?
Mit dem Platzen einer Blase rechnen auch wir. Allerdings wissen wir nicht, in welcher Anlageklasse und zu welchem Zeitpunkt. Nein, im Ernst, Blasen werden gerne und oft ausgerufen, in den seltensten Fällen haben die Mahner damit Geld verdienen können. Anhand historischer Bewertungskennzahlen sind sicherlich viele Anlageklassen sehr teuer. Ob Aktien, Anleihen, Immobilien, Kunstwerke oder Fussballer. Basis für diese Bewertungen ist das niedrige Zinsniveau, insbesondere die negativen Realzinsen in den USA und Europa. Sollten diese, noch dazu in kurzer Zeit, deutlich ins Positive drehen, würden wir sicherlich Neubewertungen in zahlreichen Anlageklassen sehen.
Werden sich die Technologie-Werte wieder erholen oder weiter absacken?
US-Technologiewerte schlagen sich seit Jahren besser als der Gesamtmarkt und besetzen mittlerweile die ersten fünf Plätze der grössten US-Unternehmen, mit einer Marktkapitalisierung von zusammen rund 9 Billionen US-Dollar – doppelt so viel wie der deutsche und schweizerische Aktienmarkt zusammen. Gerade bei dieser Garde der US-Tech-Giganten sehen die Bewertungen allerdings relativ zum Gesamtmarkt nicht übertrieben aus. Unter anderem weil sie ein kontinuierlich hohes Umsatz- und Gewinnwachstum erzielen. Die Vorteile, welche sie durch Netzwerkeffekte, ihre Grösse und globale Präsenz geniessen, erheben sie geradezu zu einer eigenen Anlageklasse. Insbesondere, wenn man noch die Gewinnmargen dieser Branche berücksichtig.
Also sind sie unantastbar?
Unseres Erachtens haben diese Firmen vorerst nur zwei Gefahren zu fürchten: Regulierung im eigenen Lande und Wettbewerb durch Chinas Tech-Giganten. Letztere wurden jedoch von ihrer Regierung an eine deutlich engere Leine genommen, sodass den Amerikanern auf der Weltbühne nun wenig Wettbewerb droht. Soviel zu den langfristigen strukturellen Vorzügen dieser Firmen, die wir auch Plattformfirmen nennen. Ungeachtet dessen ist ihre Bewertung, wie die aller Wachstumswerte, jedoch besonders anfällig für steigende Zinsen. Sie könnten daher bei weiteren Anstiegen der Treasury-Renditen dem Gesamtmarkt auch eine Weile hinterherhinken.
Die Anleger waren auch nervös, weil es in den USA fast wieder zu einem Shutdown gekommen wäre. Weshalb? Es ist doch jedes Jahr dasselbe...
Das Shutdown-Spektakel hat sich in der Tat zu einem lästigen, beinah jährlich wiederkehrenden Ritual entwickelt, auf welches die meisten Marktteilnehmer wohl am liebsten verzichten würden. Doch unangebracht ist die Nervosität trotzdem nicht, der letzte Shutdown ist keine drei Jahre her und hat ganze 35 Tage angehalten, was durchaus Spuren bei Teilen der Wirtschaft hinterlassen hat. Die zunehmende Entfremdung der beiden politischen Parteien in den USA sollte einen vorsichtiger werden lassen, immer noch auf eine Last-minute-Lösung zu setzen.
Stichwort Evergrande: Wird sich China davon erholen oder was erwartet uns noch in diesem Fall?
Evergrande selbst dürfte von Peking wahrscheinlich so abgewickelt werden können, dass grössere Verwerfungen am Markt ausbleiben, auch wenn man zwischenzeitliche Unfälle bei einer Schieflage dieser Dimension nie ausschliessen darf. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Peking die aktuelle Situation selbst durch strengere Regeln befördert hat, da es Exzesse am Immobilienmarkt einschränken möchte. Neben dem systemischen Risiko, welches von hoch-gehebelten Akteuren ausgeht, geht es Peking vor allem darum, die Preisspirale im Wohnungsmarkt zu entschleunigen und zu verhindern, dass aus rein spekulativen Gründen immer mehr Wohnungen gebaut werden, die eines Tages auf dem Markt lasten könnten.
Welche Auswirkungen hat das Debakel dennoch?
Die Auswirkungen, mit denen wir rechnen, sind daher eher mittelfristiger Natur. Denn letztlich will Peking das Wachstum des Bausektors begrenzen, was angesichts des Gewichts dieses Sektors nicht ohne Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum bleiben wird. Weniger, aber gesünderes, nachhaltiges Wachstum heisst Pekings Devise. Allerdings erwarten wir nicht, dass sich dies in der Realität so reibungslos wie am Reissbrett erdacht gestalten lässt.
Die Finma hat erstmals einen regulierten Krypto-Fonds in der Schweiz erlaubt – was halten Sie davon? Kann das mehr Anbieter auf den Plan rufen?
Zur Entscheidung der Finma sowie zu den Beweggründen und Erfolgsaussichten von Krypto-Anlagen wollen wir uns gar nicht äussern. Aber unsere Meinung bleibt, dass wir einen Vermögenswert, für den es keine belastbaren Bewertungsmassstäbe gibt, nicht aktiv als Anlage empfehlen wollen.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Wir sehen derzeit eine Bewertungskorrektur bei den hochpreisigen Wachstumswerten. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Zum einen haben wir eine exorbitante Ausweitung in den Bewertungsmultiples gesehen unterstützt durch anhaltend sinkende Renditen an den Anleihemärkten. Dieser Zinssenkungstrend ist zuletzt ins Stocken geraten aufgrund eines stärkeren Inflationsumfeldes sowie des erwarteten Tapering seitens der FED. Dies belastet insbesondere Wachstumswerte, die sensitiv auf Zinsänderungen reagieren. Zum anderen sehen wir auch ein temporäres Abflachen des Gewinnrevisionstrends was zusätzlich auf den Wachstumswerten lastet.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Die aktuellen Belastungsfaktoren sollten sich als temporär erweisen und auch die Unternehmensgewinne sollten in 2022 weiter steigen. In Verbindung mit einem stabilen Zinsumfeld sehen wir den SMI in den nächsten 12 Monaten wieder zu seinen alten Höchstständen bei 12'500 Punkten zurückkehren.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei handelszeitung.com unter dem Titel «In den seltensten Fällen haben die Mahner Geld verdienen können».