Selenskyj sieht den Sicherheitsrat durch Russland kompromittiert

Erst am Vortag sei ein fünf Monate altes Baby durch russischen Artilleriebeschuss getötet worden, nun übernehme der Aggressor den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat, kritisierte Selenskyj am Samstag in seiner abendlichen Videoansprache. "Es ist kaum etwas vorstellbar, was den vollständigen Bankrott solcher Institutionen besser demonstriert." Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba bezeichnete die Leitungsrolle als "schlechten Aprilscherz".

Der Vorsitz im Sicherheitsrat rotiert monatlich in alphabetischer Reihenfolge zwischen den Mitgliedstaaten, wobei neben den fünf ständigen auch die zehn nichtständigen Mitglieder an die Reihe kommen. Zuletzt hatte Russland den Vorsitz im Februar 2022 inne - als es die benachbarte Ukraine überfiel.

Selenskyj hatte aber auch Positives für seine Landsleute zu verkünden. Die Ukraine sei gestärkt aus der Woche hervorgegangen, sagte der Staatschef. Er bedankte sich unter anderem bei Deutschland für die Militärhilfe. Vor wenigen Tagen war das Eintreffen deutscher Schützen- und Kampfpanzer der Typen Marder und Leopard 2 in der Ukraine bekannt geworden. Der Schweiz sprach Selenskyj seinen Dank dafür aus, dass sie sich inzwischen den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat.

Ukraine bestellt 100 Rosomak-Radschützenpanzer in Polen

Um die russischen Angreifer besser zurückschlagen zu können, bestellt die Ukraine in Polen 100 neue Radschützenpanzer des Typs KTO Rosomak. Das sagte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nach Angaben der Nachrichtenagentur PAP am Samstag bei einem Besuch der Herstellerfirma Rosomak im oberschlesischen Siemianowice Slaskie. Die Bestellung habe er vom ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal persönlich erhalten, so der liberalkonservative Politiker. Der Auftrag werde mit EU-Geld für Polen und Unterstützungszahlungen der USA an die Ukraine finanziert, hiess es.

Verteidigungsminister: Russland steigert Munitionsproduktion deutlich

Aber auch die Gegenseite rüstet weiter auf. Nach eigenen Angaben hat Russland seine Munitionsproduktion um ein Vielfaches gesteigert. "Das betrifft sowohl gewöhnliche als auch Hochpräzisionsmunition", sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Samstag bei einer Sitzung des Generalstabs. Damit könne Russland seine Kriegsziele erreichen. Zudem werde weiter an der Steigerung der Produktion gearbeitet. Schoigus Aussagen liessen sich nicht unabhängig überprüfen.

Mit Munitionsmangel haben mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn sowohl die Ukraine als auch Russland zu kämpfen. Auch der Westen, von dessen Lieferungen die ukrainische Landesverteidigung abhängig ist, versucht seine Produktion auszuweiten. Kremlchef Wladimir Putin hat bereits vor Monaten die einheimische Rüstungsindustrie dazu aufgefordert, mehr Waffen und Munition herzustellen. Die Betriebe arbeiten im Mehrschichtsystem, um den Anforderungen des Militärs nachzukommen.

Ukraine erlässt neue Sanktionen gegen Russland

Die Ukraine erliess derweil weitere Sanktionen gegen Personen und Unternehmen aus Russland sowie gegen eine Firma auf von Russen besetztem ukrainischem Gebiet. Am Samstag veröffentlichte Präsident Selenskyj per Dekret gleich mehrere schwarze Listen mit Hunderten Firmen, Organisationen und Einzelpersonen, die den russischen Angriffskrieg unterstützt haben sollen. Die Sanktionen gelten in den meisten Fällen für den Zeitraum von zehn Jahren.

Betroffen sind vor allem Direktoren von Rüstungsbetrieben und militärischen Forschungseinrichtungen. Auch bei den Firmen trifft es vor allem diesen Sektor. Sanktionen wurden aber auch gegen das russische Finanzministerium und den Föderationsrat verhängt - das Oberhaus des russischen Parlaments. Zu den prominentesten Namen auf der Liste gehören die Ehefrau und der Sohn von Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew, Swetlana und Ilja.

Vorsteher des Kiewer Höhlenklosters muss zwei Monate in Hausarrest

Gerichtliche Sanktionen ereilten derweil den Vorsteher des weltberühmten Kiewer Höhlenklosters, Pawlo Lebid. Er wurde für zwei Monate unter Hausarrest gestellt. Der Geistliche der ukrainisch-orthodoxen Kirche wird verdächtigt, religiöse Streitigkeiten befeuert und den russischen Angriffskrieg gerechtfertigt zu haben, wie ukrainische Medien aus dem Gerichtssaal berichteten. Der Klostervorsteher muss nun elektronische Fussfesseln tragen. Der Kontakt mit Gläubigen ist ihm untersagt. Der 61-Jährige bestreitet die Vorwürfe und spricht von einem politischen Verfahren.

Hintergrund sind Streitigkeiten um die Nutzung des Höhlenklosters und die Stellung der ukrainisch-orthodoxen Kirche im Land allgemein. Bis Kriegsbeginn war die Kirche dem Moskauer Patriarchat unterstellt. Obwohl sie sich nach Beginn des Konflikts vom Patriarchat lossagte, wird sie von der politischen Führung in Kiew weiterhin der Spionage und Agitation für Moskau verdächtigt. In Kiew wurde 2018 schon die von Moskau unabhängige Orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet. In dem Zusammenhang hat der Staat der ukrainisch-orthodoxen Kirche nun auch das Nutzungsrecht für das Höhlenkloster entzogen. Die dort lebenden Mönche weigern sich aber auszuziehen. Ein Gerichtsverfahren läuft.

Das wird am Sonntag wichtig

Die Kämpfe im Osten der Ukraine, speziell um die Städte Bachmut und Awdijiwka, gehen weiter. In Kiew wird mit Reaktionen der Anhänger der ukrainisch-orthodoxen Kirche auf den Hausarrest des Vorstehers des Höhlenklosters gerechnet.

(AWP)