Am 25. März 2017 demonstrierten in Bern Tausende für Frieden, Freiheit und Demokratie im Land zwischen Schwarzem- und Mittelmeer. Dies acht Monate nach einem gescheiterten Putschversuch und drei Wochen vor einer Volksabstimmung über mehr Macht für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Organisiert wurde die Demonstration von kurdischen Vereinen, der SP und Grünen sowie weiteren Organisationen. Zu dieser Kundgebung stiessen im Verlauf des Nachmittags etwa 150 Menschen, welche sich beim alternativen Berner Kulturzentrum Reitschule versammelt hatten.
In diesem Demonstrationszug wurde das Plakat mit der Aufschrift "Kill Erdogan with his own weapons!" ("Tötet oder Töte Erdogan mit seinen eigenen Waffen") mitgeführt. Zu sehen war auch der Kopf von Erdogan und eine Pistole, welche auf ihn gerichtet war. Die "Revolutionäre Jugendgruppe Bern" bekannte sich später zum Plakat.
Noch am Tag der Kundgebung protestierte die Türkei beim Aussendepartement EDA in Bern und bestellte in Ankara die Schweizer Vize-Botschafterin ein. Es kam auch zu einem Telefongespräch zwischen den beiden Aussenministern. Die Türkei forderte eine Untersuchung und Erdogan sagte, die Schweiz müsse aufhören, Terrororganisationen zu unterstützen.
Bereits am Tag nach der Demo leitete die Berner Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung ein. Dies wegen des Verdachts auf öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit. Dieses Verfahren mündete vor etwa einem Jahr laut Angaben der Beschuldigten in vier Strafbefehle wegen Widerhandlung gegen diesen Straftatbestand.
Diese Strafbefehle haben die vier Beschuldigten angefochten, weshalb es am Dienstag und Mittwoch im Berner Amthaus zum Prozess kommt. Es geht auch um andere Vorwürfe wie Landfriedensbruch und Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen.
Prozess als Politbühne nutzen
Wie ein vor dem Prozess gebildetes "Unterstützungskomitee" den Medien mitteilte, wollen die vier Beschuldigten den Prozess "für politische Inhalte" nutzen. Es gehe darum, Erdogan den Prozess zu machen, schrieb es auf einem eigens eingerichteten Twitter-Konto. Das Komitee führt auch eine eigene Internetseite.
Linksautonome Kreise unterstützen in Bern schon lange die Opposition in der Türkei und kurdische Bewegungen.
Schon vor dem Prozess greifen das Unterstützungskomitee und die Anwälte der Beschuldigten auch das EDA und die Staatsanwaltschaft an. Der Zürcher Rechtsanwalt Bernard Rambert, der einen der Beschuldigten vertritt, sagt: "Mit ihrer Anklage kapituliert die Staatsanwaltschaft vor dem Druck des EDA, welches sich ihrerseits als willfähriges Instrument des Despoten vom Bosporus zeigt".
Sechsmal habe sich das EDA in dieser Angelegenheit bei der Berner Kantonspolizei und bei der Staatsanwaltschaft zum Stand des Verfahrens erkundigt. Das gehe aus den Akten hervor.
Das EDA sagt dazu auf Anfrage, der Grundsatz der Gewaltenteilung verbiete es, sich in Justizverfahren einzumischen. Es habe in keiner Art und Weise Einfluss auf das Verfahren genommen und sich lediglich über den Stand des Verfahrens informieren lassen.
Auch die Berner Generalstaatsanwaltschaft sagt, die Staatsanwaltschaft dürfe gemäss Strafprozessordnung die Öffentlichkeit über hängige Verfahren orientieren. Dies gelte insbesondere bei einer besonderen Bedeutung eines Straffalles. Medien machten häufig Gebrauch von dieser Bestimmung und holten Auskünfte ein.
Auf die Anfragen des EDA habe die Staatsanwaltschaft jeweils einzig geantwortet, dass das Verfahren noch hängig sei.
Spezielle Prozess-Bedingungen
Speziell am Prozess sind nicht nur die Begleitumstände, speziell sind auch die Bedingungen, unter denen das Verfahren stattfindet. Die Verfahrensleitung hat - bisher ohne Angabe von Gründen - die Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausgeschlossen. Medienschaffende können nur teilnehmen, wenn sie vorher eine "Verpflichtungserklärung" unterschreiben.
Damit sollen sie garantieren, dass sie keine Namen von Verfahrensbeteiligten und keine Informationen preisgeben, welche Rückschlüsse beispielsweise auf die berufliche Tätigkeit von Klägern, Zeugen oder Beschuldigten zulassen. Tun sie das doch, droht eine Anklage wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen.
(AWP)