cash.ch: Herr Wenger, erwarten Sie, dass die Europäische Zentralbank ein weiteres Anleihenkaufprogramm auflegen wird?

Bernhard Wenger: Die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen, ja. Die Wachstums- und Inflationserwartungen in der Eurozone sind schwächer geworden. Wir haben im zweiten Quartal auch beobachtet, dass relativ viel Kapital in europäische Anleihen geflossen ist: Auch dies spricht dafür, dass ein weiteres Quantitative Easing (QE) der EZB erwartet wird.

Hängt dies mit der neuen EZB-Führung zusammen, die im Herbst antreten wird?

Die neue EZB-Führung unter Christine Lagarde wird zwar 'dovish' sein, unseren Erwartungen nach aber nicht sofort die Strategie ändern. Möglich ist, dass Anleihen mit längerer Laufzeit gekauft werden. Wenn die EZB wieder Anleihen kauft, werden die Renditen von Unternehmensanleihen unter Druck kommen.

Ein neues QE der EZB wäre nicht unbedingt im Sinne der Schweizer Nationalbank: Euro-Franken-Kurs streift 1,10er-Marke - geht es weiter abwärts?

Negativ rentierende Bonds machen heute einen Viertel aller ausstehenden Anleihen aus. Beunruhigt Sie dies?

Es ist natürlich eine Herausforderung für Investoren. Aber es ist eine Realität, mit der man sich abfinden muss. Tiefere Zinsen – also mehr erwartete Kapitalzuflüsse in Anleihen – können als Zeichen für eine drohende Rezession gesehen werden. Die Zinssenkungen von Notenbanken sind aber auch ein Mittel gegen eine Rezession. Das Verdikt ist noch nicht gefällt, welches von beiden Signalen das verlässlichere ist.

Sehen Sie eine Rezessionsgefahr?

Die US-Notenbank Fed versucht ja mit ihren Zinssenkungen – dass Ende Juli eine kommt, ist eingepreist – einer Rezession entgegenzuwirken. Für 2019 sehen wir die Rezessionsgefahr in den USA als sehr gering an. Bis Juli 2020 sehen wir die Wahrscheinlichkeit nicht höher als 30 Prozent. Weniger berechenbar ist, was auf der politischen Seite passiert.

Wie verhalten sich die Investoren?

Wir sehen derzeit nicht, dass sich Investoren bei den Anleihen extrem defensiv positionieren. Auch bei den Aktien gab es noch keine starken Untergewichtungen. Ein Zeichen aber, dass Investoren vorsichtiger geworden sind, zeigt sich bei vermehrten Zuflüssen in Gold.

Wie wird der Zinssenkungsprozess in den USA aussehen?

Der Zinssenkungszyklus wird von Investoren anscheinend noch nicht als nachhaltig gesehen. Dafür sprechen Abflüsse und weniger grosse Positionierungen in US-Treasuries, wie wir sie im zweiten Quartal beobachtet haben. Die Fed wird wohl in der Tat die Zinsen nicht zu schnell senken, auch aufgrund der robusten Fundamentaldaten. Sie hätte für zukünftige Massnahmen zudem mehr Munition übrig.

Investoren glauben nicht, dass die US-Renditen lange tief bleiben - deswegen ist die Nachfrage am Primär- und Sekundärmarkt zuletzt unterdurchschnittlich gewesen (Grafik: State Street Bond Compass Q3 2019). 

Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen sie bezüglich der Zinsen aber keine Trendwende.

In Europa ist eine Trendwende nach oben wegen der wirtschaftlichen Fundamentaldaten unwahrscheinlich. Zudem können sich viele Länder wegen ihrer hohen Schulden hohe Zinsen gar nicht leisten. Und in den USA gehen wir ja davon aus, dass die Fed die Zinsen bald senken wird.

Sie haben bei State Street Global Advisors mit dem «Bond Compass» die Bewegungen am Bondmarkt beobachtet. Haben sich Investoren mehr in Richtung Schwellenländer positioniert, wo die Renditen ja noch höher sind?

Im zweiten Quartal gab es in den Emerging Markets weniger Zuflüsse, allerdings hat sich dies im Juli wieder geändert. Für Schwellenländeranleihen in Lokalwährung spricht ein möglicher schwächerer Dollar und eine mögliche rückläufige Inflation. Grundsätzlich erwarten wir in diesem Bereich Zuflüsse. Viele Investoren möchten ohnehin stärker geographisch diversifizieren.

Was empfiehlt State Street den Anlegern?

Schwellenländeranleihen sind sicherlich eines der Investmentthemen, das wir bevorzugen. Dann empfehlen wir den breiten Bondmarkt in Form eines breit angelegten ETF – dort kann man im Vergleich zu Schweizer Bundesobligationen bis zu zwei Prozentpunkte mehr Rendite finden. Es ist auch ratsam, wieder Anleihen mit längerer Laufzeit zu suchen, da die Notenbanken die Zinsen tendenziell wieder senken. Vor einem halben Jahr hingegen suchte man noch kürzere Laufzeiten, denn es wurden ja noch Zinssteigerungen erwartet.

Haben Sie auch einen Tipp für mutigere Investoren?

Einer unserer Contrarian Tipps ist, US-Inflationsanleihen zu kaufen. Fallen die Fed-Zinssenkungen doch stärker aus als erwartet, könnte die Inflation durchaus anziehen. Für Income-orientierte Anleger bieten sich neben Anleihen- auch Aktien-ETF mit stabilem Dividendenwachstum an.

Bernhard Wenger ist Geschäftsführer von State Street Global Advisors in Schweiz. Das ist der Asset-Management-Arm von State Street, einem der grössen Vermögensverwalter der Welt und der weltweit grössten Custodianbank mit Sitz in Boston, USA. Er leitet in Zürich das Geschäft mit Exchange Traded Funds (ETF) in der Schweiz. Davor war Wenger bei Morgan Stanley, HSBC und BNP Paribas tätig.