In Gesprächen mit mehr als einem Dutzend Wirtschaftsvertretern zeigt sich, dass die Kritik nicht nur die Energiekrise betrifft, sondern die Nerven mittlerweile bei einer ganzen Reihe von Themen blankliegen. Auch wenn es am Donnerstag für die Gaspreisbremse Applaus gab, prallen offensichtlich die Kulturen der auf ihr Geschäft bedachten Firmen-Manager und des grün geführten Ministeriums aufeinander, das Themen wie Nachhaltigkeit und Menschenrechte vorantreiben will. Es habe schon lautstarke Auseinandersetzungen gegeben, erfuhr Reuters von Beteiligten. "Immer häufiger muss man mit BMWK-Vertretern erst einmal Debatten darüber führen, wie Märkte funktionieren", klagt ein Firmenchef.

Das sind neue Töne, nachdem die Wirtschaft von dem hemdsärmeligen und problemorientierten Minister anfangs ganz angetan und erleichtert war. Habeck nahm den Bossen zunächst die Sorge vor zu viel Regulierung. Im Gegenteil zeigte er in der Energiekrise, dass er etwa die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung für den Ausbau von Wind- und Solarstrom vorantrieb. Doch je länger die Gas- und Strompreise in ungeahnte Höhen stiegen, desto stärker wurden die Differenzen sichtbar. Die Honeymoon-Phase zwischen Wirtschaft und Wirtschaftsminister ist vorbei.

"Der Bundeswirtschaftsminister ist mit einem grossen Vertrauensvorschuss des Mittelstands gestartet. Davon hat er in der Debatte um die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie in Deutschland einen Gutteil aufgebraucht", sagt etwa der Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW, Markus Jerger, zu Reuters. Die Kritik der Wirtschaft entzündet sich an verschiedenen Punkten – der Energiepolitik, dem Umgang mit China sowie Rüstungsexportkontrollen.

Zwar legte die Regierung am Donnerstag endlich eine Finanzierungszusage für eine Gas- und Strompreisbremse vor, was Branchenverbände begrüssten - aber die Details etwa für die Höhe der Preisdeckel und trotzdem nötige Hilfsprogramme sind noch nicht geklärt. Und mit dem nun beschlossenen "Belastungsmoratorium", mit dem die Regierung der Wirtschaft verspricht, "unverhältnismässige zusätzliche Bürokratielasten" zu vermeiden, brüstete sich nicht etwa der Wirtschaftsminister, sondern Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Parallel dazu stürzt Habeck in den Umfragen ab. Laut einer Insa-Umfrage sind nur noch 34,9 Prozent der Befragten der Meinung, er sei die richtige Besetzung - 49,9 Prozent glauben dies nicht. Vor kurzem hatte der Grünen-Politiker noch an der Spitze der Beliebtheitsskala gelegen. "Er agiert eigentlich sehr pragmatisch, hört sich die Sorgen an", lobt ein Top-Manager ausdrücklich. Wie die meisten anderen Firmenvertreter will er nicht namentlich genannt werden. Unternehmen und Ministerien arbeiten derzeit an so vielen Baustellen miteinander, dass sich kein CEO eine offene Schlacht mit dem Grünen-Politiker leisten will. Hinter vorgehaltener Hand wird aber über fehlende Entscheidungen und "ideologisch" auftretendes grünes Führungspersonal im Ministerium geklagt. "Uns schlägt massives Misstrauen entgegen", sagt ein Wirtschaftsvertreter.

Habeck springt bei Energie über eigenen grünen Schatten

Habeck profitierte in Umfragen lange davon, dass er gerade nicht als grüner Partei-Soldat wahrgenommen wurde. In der Wirtschaft wurde er für die Bereitschaft gelobt, auf der dringend nötigen Suche nach russischem Erdgas einen für Grüne ungewöhnlichen Weg zu gehen - bis zum Bückling im Emirat Katar, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Auch der schnelle Bau der LNG-Terminals, der mögliche Umstieg auf Öl und Kohle als Gasersatz oder der gesetzlich vorgeschriebene Vorrang für den Ausbau der Erneuerbaren Energien vor Naturschutzbedenken durch das Energiesicherungsgesetz wird als Plus genannt. Am Dienstag ermöglichte er den Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken bis Mitte April.

Gekippt ist die Stimmung nach Angaben mehrerer Wirtschaftsvertreter, weil es wochenlang keine Klarheit über die Entlastung bei den hohen Gas- und Strompreisen gab - während Frankreich einen staatlichen fixierten Industriestrompreis einführte. Dazu kommt das empfundene Chaos bei der Gasumlage, die nach langem Gerangel nun doch nicht umgesetzt. Gerade im Mittelstand kam zudem nicht gut an, dass Wirtschaftshilfen im dritten Entlastungspaket nur kurz erwähnt wurden. Denn der Wirtschaftsminister wird traditionell als Wahrer der Unternehmensanliegen gesehen. Was nicht übersehen werden darf: Die Lobbyisten der verschiedenen Branchen stehen ihrerseits unter Druck ihrer Mitgliedsfirmen und müssen schon deshalb Richtung Habeck keulen.

Im BMWK wird der Vorwurf zurückgewiesen und betont, dass Habeck eben nicht allein agieren könne. Mal müsse er auf Entscheidungen in der EU warten. Mal sei es Finanzminister Lindner, der mit dem Pochen auf die Schuldenbremse die nötigen Entscheidungen bremse. Umgekehrt klagt ein führender FDP-Politiker: "Habeck legt jeden Tag neue Ideen vor, Lindner soll dafür das Geld finden." Ein gewisser Grad an Genervtheit über ein als überaktiv empfundenes Wirtschaftsministerium gibt es auch in anderen Ministerien.

Dass Habeck öffentlich auf den Stresslevel seiner Beamten angesichts der Dauerkrise verweist, kommt in anderen Teilen der Regierung und der Wirtschaft ebenfalls nicht gut an - weil derzeit alle massiv unter Druck stehen. Firmenvertreter werfen ihm vor, dass er den Stress dadurch verschärft habe, dass er viele unerfahrene Leute ins Haus geholt habe. "Wir reden mit NGO-Vertretern", lästert ein Unternehmenschef gegenüber Reuters. Dafür sei letztlich der Minister selbst verantwortlich.

China- und Rüstungspolitik bergen Konfliktpotenzial

Während Habeck bei der Energiepolitik ein Getriebener ist, wird das Ministerium bei der China- und Rüstungsexportpolitik als "missionarisch" empfunden, wie ein Manager sagt. Die Idee, künftig auch deutsche Investitionen in China überprüfen zu wollen, sorgte für grossen Ärger – bis sie offenbar einkassiert wurde. Man habe gar nichts gegen den Wunsch einer stärkeren Diversifizierung und betreibe sie selbst, sagen Firmenvertreter. "Aber die Regierung soll uns lieber im Asien-Geschäft helfen als das China-Geschäft schlecht reden", fordert einer von ihnen. Immerhin, so ein Manager, habe Habeck den Konzernen vergangene Woche in einem Treffen nun einen Dialog über die künftige China-Politik zugesagt.

Habeck, dem Ambitionen auf die Grünen-Kanzlerkandidatur 2025 nachgesagt werden, steht auch unter Druck seiner Partei. Die Grünen wollen sichtbare Kurskorrekturen und eine Orientierung der Wirtschaftspolitik an Menschenrechts- und Ökologiestandards – zumal sie schon die längere Nutzung von Kohlekraftwerken und Atommeiler schlucken müssen. Ärger droht auch in der Rüstungsexportpolitik. Grüne und SPD-Linke sind mit dem klaren Willen angetreten, die Waffenexporte zu reduzieren. Aber Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat klargemacht, dass man sich bei europäischen Projekten auch nach lockereren Regeln der Partner richten müsse. Zum Testfall für Habeck könnte Indien werden: Während die USA gerade mit Neu Delhi verhandeln, Waffen zu liefern, um das Land von russischer Abhängigkeit bei Militärtechnologie zu befreien, steht das BWMK hier nach Angaben aus Wirtschaftskreisen auf der Bremse.

(Reuters)