Es war am 24. Oktober letzten Jahres. Jack Ma betrat die Rednerbühne am "Bund Summit" in Shanghai. Ma, Gründer und Master Mind des Internet-Riesen Alibaba, stand vor seinem wohl grössten Erfolg als Unternehmer. Die Alibaba-Tochtergesellschaft Ant Financial befand sich kurz vor dem Börsengang, nicht weniger als der weltgrösste sollte es werden. Das Initial Public Offering sollte Ma, mit 61 Milliarden Dollar Vermögen reichster Chinese, noch wohlhabender machen.
Also sprach Jack Ma, ein gewiefter Rhetoriker, an diesem Oktober-Tag vor Chinas Finanzelite. Und was er in den 20 Minuten sagte, hatte es in sich. China habe eine anachronistische behördliche Regulierung, was Innovationen im Keim ersticke. China habe viele grosse staatliche Banken, die grossen Flüssen oder Arterien ähnelten. China aber brauche mehr Seen, Tümpel, Ströme und alle Arten von Sümpfen im Finanzsystem, rief Ma den Zuhörern zu. Den Behörden- und Regierungsvertretern im Publikum soll der Atem gestockt haben.
Jack Ma hätte es eigentlich wissen müssen: Mit der kommunistischen Partei Chinas legt man sicher besser nicht an. Und schon gar nicht stellt man sie offen bloss.
Die Quittung folgte schon wenige Tage später. Die Regierung kündigte eine breit angelegte Kartell-Untersuchung gegen Alibaba und andere chinesische Online-Giganten an wegen Verdachts auf monopolistische Praktiken. Die Firmen waren der Führung in Peking schlicht zu mächtig, zu unkontrollierbar und wahrscheinlich auch zu überheblich geworden. Die Folgen: Ant musste den Börsengang absagen, der Aktienkurs von Alibaba sackte bis Jahresende einen Viertel ab und erleichterte Hauptaktionär Jack Ma um 11 Milliarden Dollar. Er darf das Land offenbar bis auf weiteres nicht mehr verlassen.
Gewiss: Jack Ma mag mit seinen Aussagen in Shanghai recht gehabt haben. Aber der Auftritt von Ma wird wohl als symbolisch in die Geschichte eingehen für die Hybris, also den Hochmut, welche die grossen Tech-Unternehmen auch in den USA in den letzten Jahren entwickelt haben. Grundhaltung: Von «Anything goes» bis zu «We don’t care». Facebook zum Beispiel kann oder will bis heute keine überzeugende Rechenschaft über die Nutzung seiner Nutzerdaten abliefern.
Das Jahr 2021 könnte nun eine Wende bringen. Die grossen Tech-Konzerne geraten nicht bloss in China mehr und mehr unter regulatorischen und juristischen Druck. Die Europäische Kommission will per Gesetz die Marktmacht der grossen Tech-Konzerne beschneiden, nachdem die EU in den letzten drei Jahren bereits milliardenschwere Bussen gegen die Konzerne verhängt hatte. In den USA, wo die Giganten noch wenig reguliert sind, haben im letzten Jahr 48 Bundesstaaten und die US-Bundeshandelskommission Klage gegen Facebook eingereicht.
Die Beweggründe sind ähnlich wie in China: Facebook habe eine marktbeherrschende Stellung und soll widerrechtlich ein Monopol aufgebaut haben. Die Übernahmen von Instagram oder WhatsApp sollen für illegal erklärt werden. Im Oktober hatte das US-Justizministerium und elf Bundesstaaten auch die Alphabet-Tochergesellschaft Google verklagt. Zentraler Vorwurf auch hier: Möglicher Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Daraus könnte der grösste US-Wettbewerbsfall in den letzten 20 Jahren entstehen, sind sich Beobachter einig.
So ähnlich die Entwicklungen in China und in den USA sind: Die Reaktion der Börse könnte unterschiedlicher nicht sein. Während in China die Alibabas und Tencents an der Börse abstürzen, legen die Titel der US-Tech-Giganten weiter munter zu. Denn die Investoren wissen genau, welche Vorteile eine Zerschlagung von Facebook & Co. hätte. (Forcierte) Börsengänge von Instagram oder WhatsApp brächten erheblichen Mehrwert für die Aktionäre.
Eine wahre Anlegerperle wäre auch Youtube als eigenständiges börsenkotiertes Unternehmen. Morgan Stanley schätzte den Wert des Videoportals Mitte 2018 auf rund 160 Milliarden Dollar, das wird heute deutlich mehr sein. Gekauft hatte Google das Startup im Jahr 2006 noch für 1,65 Milliarden Dollar. Anleger hätten durch eine Regulation bei den Tech-Giganten für einmal kaum etwas zu verlieren.