Am Sonntag stimmt die Schweiz über die Annahme der "Pro Service public"-Initiative ab. Diese Vorlage will es der Swisscom - und anderen Betrieben in staatlichem Besitz - verbieten, in der Grundversorgung nach Gewinn zu streben. Alle dort erzielten Überschüsse müssten wieder ins Geschäft reinvestiert werden - etwa in besseren Service.

Zwar haben sich sämtliche Parlamentarier gegen die Initiative ausgesprochen, doch liegt das "Ja"-Lager gemäss den aktuellsten SRG-Hochrechnungen (Stand 25. Mai) mit 46 Prozent Ja-Stimmen zu 41 Prozent Nein-Stimmen weiterhin in Front. Das verunsichert die Anleger, wie auch folgende Grafik zeigt:

Entwicklung der Swisscom-Aktie in den letzten drei Monaten. Quelle: cash.ch

Die Swisscom-Aktie erlebte in den letzten zwei Monaten eine fast 10-prozentige Talfahrt. "Viele Anleger zögern noch mit dem Kauf von Swisscom-Aktien, da sie das Ergebnis der Abstimmung abwarten wollen", sagt Andreas Müller, Analyst der Zürcher Kantonalbank (ZKB), gegenüber cash. Ein mögliches "Ja" sei dabei zum Teil in den Kurs eingepreist.

Zocker setzen auf Swisscom-Titel

Doch ob die Initiative tatsächlich angenommen wird, scheint mit jedem Tag ungewisser. Denn: Die Befürworter haben erheblich an Terrain eingebüsst. Im April sprachen sich bei der ersten SRG-Umfrage noch 58 Prozent für und nur 26 Prozent gegen die Initiative aus. Die Stimmung scheint umzuschlagen, das Anliegen verliert an Zustimmung in der Bevölkerung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Gegner die Popularität der Initiative erkannt haben und mächtig Gegensteuer geben.

Anleger könnten ob dieser Ausgangslange nun Lunte riechen. Schliesslich würde eine Ablehnung des Anliegens am Sonntag die in der Aktie einpreiste Möglichkeit einer Annahme auf einen Schlag eliminieren und wohl für einen Kursanstieg sorgen. Deshalb rät Panagiotis Spiliopoulos, Leiter Aktien Research bei der Bank Vontobel: "Wer von einem 'Nein' am Sonntag überzeugt ist, sollte sich jetzt mit Swisscom-Aktien zudecken."

Spiliopoulos geht davon aus, dass der Aktienkurs bei einer Ablehnung am ersten Handelstag nach der Abstimmung auf einen Schlag um zwei bis drei Prozent aufwärts gehen würde. Sein Berufskollege Müller von der ZKB glaubt gar, dass die ganzen "verlorenen 8 bis 10 Prozent" in ungefähr einem Monat wieder aufgeholt seien. In diesem Szenario wären Swisscom-Titel eine ideale Investition mit einem netten Gewinn in relativ kurzer Zeit.

«Ja» als Horrorszenario?

Nur könnten am Sonntag auch die Befürworter die Nase vorne haben. Was wäre dann? Müller von der ZKB sieht bei einer Annahme "kein unmittelbares Desaster an der Börse kommen". Die Swisscom-Aktie könne zwar am ersten Handelstag zwei bis drei Prozent nachgeben und ungefähr einen Monat lang unter Druck kommen, danach gäbe es jedoch zwei bis drei Jahre, in denen die Initiative in den Hintergrund rücke und die Swisscom-Aktie nach Fundamentaldaten beurteilt würde. Längerfristig könne es dann jedoch zu negativen Kurs-Auswirkungen kommen, schliesslich "wird der Swisscom durch die Initiative ein Korsett angelegt, welches ihre Konkurrenten nicht haben."

Damit spricht Müller die beiden Konkurrenten Sunrise und Salt an, die komplett privat gehalten und deshalb von der Vorlage nicht direkt tangiert sind. Indirekt hätten sie dann jedoch einen Vorteil gegenüber der Swisscom, da sie eben keine Auflagen erfüllen müssten.

Noch dramatischer beurteilt das Ganze Spiliopoulos von Vontobel: "Bei einem 'Ja' würde die Swisscom-Aktie nochmals deutlich sinken", ist der Aktien-Experte überzeugt. Wie stark, sei nur sehr schwer einschätzbar, da die Initiative mit zu vielen Unsicherheiten verbunden sei. Das ganze Board und Management müsse durch Beamte ersetzt werden, Minderheitsaktionäre würden die Swisscom mit Verantwortlichkeitsklagen zudecken, und ausserdem gäbe es von der Swisscom keine Dividenden mehr, da diese an den generierten Cashflow gebunden seien und dieser nun wegfalle.

Streitpunkt Dividende

Ein kompletter Dividendenwegfall, ein wahres Horrorszenario für den Telekom-Konzern. Schliesslich findet die Aktie vor allem wegen der hohen Dividendenrendite von fast fünf Prozent bei seinen Anlegern grossen Anklang. Und auch der Staat profitiert bis anhin durch seinen Swisscom-Mehrheitsanteil jährlich von Dividendenauszahlungen zwischen 500 bis 550 Millionen Franken.

Doch beim Thema Dividende herrscht Uneinigkeit: "Warum sollte die Swisscom keine Dividende mehr auszahlen dürfen?", tritt Mit-Initiant Peter Salvisberg auf cash-Anfrage dieser Behauptung vehement entgegen. Es handle sich hier um einen Grundlagenirrtum: Da von der Initiative nur die Grundversorgung betroffen sei, könne die Swisscom aus den anderen Geschäftsbereichen durchaus eine Dividende vergüten. Deshalb sei es "reine Spekulation", wie gross ein Dividendenausfall tatsächlich sein würde.

Ausserdem, so Salvisberg weiter, könne das dem Bund entgangene Geld stattdessen bei der Swisscom bleiben und für bessere Dienstleistungen oder Preissenkungen eingesetzt werden.

Privatisierung als Ausweg?

Bei einer Annahme bliebe auch noch die Flucht nach vorne: Aktuell hält die Schweizerische Eidgenossenschaft mit 51 Prozent die Mehrheit des Aktienkapitals. Der Staat könnte die Idee der vollständigen Privatisierung der Swisscom aufs Tapet bringen, um die von ihm unerwünschten Folgen der Initiative zu umgehen.

Eine mögliche "Entstaatlichung" der Swisscom wurde bereits letzten Dezember in einem OECD-Bericht gefordert. Darin wurde moniert, die ehemalige Monopolistin Swisscom geniesse immer noch Vorteile und bremse so den Wettbewerb. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schlug in diesem Zusammenhang eine vollständige Privatisierung vor. Auch Seco-Direktorin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch machte in diesem Jahr Äusserungen in diese Richtung.

Würde die Initiative schlussendlich tatsächlich eine Privatisierung ins Rollen bringen, wäre das sicherlich nicht im Sinne der Initianten.