Die Währungshüter beschlossen am Donnerstag, den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte auf nunmehr 2,0 Prozent anzuheben. Der an den Finanzmärkten massgebliche Einlagensatz wurde im selben Umfang auf 1,50 Prozent erhöht.
MICHAEL HEISE, CHEFÖKONOM HQ TRUST:
"Die Falken im EZB-Rat haben die Oberhand behalten. Sie hatten bei dem grösseren Zinsschritt die Argumente auf ihrer Seite."
THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:
"Die EZB bleibt im Turbo-Modus. Die europäischen Währungshüter wollen in Anbetracht einer Inflationsrate von knapp zehn Prozent möglichst rasch mit den Zinsen nach oben. Immerhin liegt nun der Hauptrefinanzierungssatz bei zwei Prozent. Solch ein Zinsniveau war vor einiger Zeit noch undenkbar. In Anbetracht der hohen Teuerungsraten hat man auch im EZB-Hochhaus in Frankfurt Muffensausen zu bekommen. In den vergangenen Monaten wechselten immer mehr EZB-Mitglieder ins Lager der Falken. Das Ende der Fahnenstange ist deshalb auch noch nicht erreicht. Die EZB wird aller Voraussicht nach im Dezember mit einer Zinsanhebung um 50 Basispunkte nochmals nachlegen."
FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW:
"Dieser zweite grosse Zinsschritt in Folge war zwangsläufig. Die EZB hat im Vergleich zur Fed den rechtzeitigen Start bei der Zinswende verpasst. Daher muss sie angesichts der Rekord-Inflation jetzt besonders schnell aus dem Terrain unangemessen niedriger Leitzinsen heraus. Diesen Kurs tragen auch die bisherigen Tauben im EZB-Rat mit. Die wirklich kontroversen Debatten dürften dem Gremium erst im nächsten Jahr bevorstehen. Die hohe Inflation und noch mehr die gestiegenen Inflationserwartungen sprechen für Zinsanhebungen auf Werte in Richtung von vier Prozent im Jahresverlauf 2023."
OTMAR LANG, CHEFVOLKSWIRT TARGOBANK:
"Ob der EZB-Rat so viel Glück haben wird und sich 2023 alles zum Guten wendet, ist noch nicht abzusehen. Auch wenn die Inflationsrisiken abnehmen sollten, die Gefahr einer mittelschweren Rezession im Euroraum steigt schneller und manifestiert sich mit fast allen Datenveröffentlichungen zur aktuellen Konjunkturentwicklung immer mehr. Doch dass die hohen Inflationsraten mittelfristig eine sehr hartnäckige Wachstumsbremse sind, haben inzwischen auch die Tauben im EZB-Rat verinnerlicht. So zieht der ganze Rat in der aktuellen Lage kontinuierlich am gleichen Strang und gibt damit ein entschlossenes Bild ab. Damit ist noch kein erfolgreiches Handeln garantiert, aber es sieht erfolgsversprechend aus. Die Angst vor der Rezession in 2023 hat sie alle in die gleiche Spur gebracht."
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:
"Die EZB sollte ihre Leitzinsen in den kommenden Monaten weiter entschieden anheben und sich nicht von der anbahnenden Rezession irritieren lassen. Der Euroraum braucht einen EZB-Einlagensatz in der Grössenordnung von vier Prozent. Andernfalls legen die zuletzt massiv gestiegenen Inflationserwartungen der Bürger weiter zu, und die hohe Inflation setzt sich dauerhaft fest."
ULRICH KATER, CHEFVOLKSWIRT DEKABANK:
"Eine entschlossene Inflationsbekämpfung durch einen grossen Zinsschritt ist das einzig richtige Signal, welches die EZB senden musste. Es wird nicht die letzte Zinserhöhung sein. Zwar wird sich die Hälfte der gegenwärtig hohen Inflationsraten mit einer Beruhigung der Energiepreise im kommenden Jahr von selbst zurückbilden. Die andere Hälfte der Inflation wird jedoch über Zweitrundeneffekte noch lange nachwirken. Hier wird die EZB noch lange gegenhalten müssen. Und das bedeutet, dass die Zinsen in einer Rezession nicht gleich wieder gesenkt werden können."
JÖRG ASMUSSEN, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER GDV:
"Die EZB hat im Moment keine leichten Entscheidungen mehr zu treffen: Wenn man zu spät mit dem Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik beginnt, braucht man grosse Zinsschritte, auch wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, zu einer Rezession beizutragen. Da das primäre Mandat der EZB Preisstabilität ist, war dies heute ein richtiger Schritt, dem vermutlich ein weiterer in diesem Jahr folgen wird."
(Reuters)