Wir treffen Martin Scholl am Hauptsitz der Zürcher Kantonalbank ZKB an der Bahnhofstrasse. Nebst einem Stapel Bankunterlagen trägt der Bankchef stets eine Flasche Desinfektions-Mittel mit sich. Vor dem Gespräch macht sie die Runde. Das Signal ist klar, die Corona-Krise geht auch am systemrelevanten Kantonsinstitut nicht spurlos vorbei. Schliesslich sind die Finanzmärkte in Aufruhr. Das heimtückische Virus hat der langanhaltenden Wertschriften-Party ein jähes Ende bereitet.
Es könnten derzeit keine Obligationen mehr ausgegeben werden, sagt der ZKB-Chef nüchtern. "Die Liquiditätsbeschaffung über den Kapitalmarkt ist seit einigen Tagen wegen der Corona-Krise praktisch eingefroren, weshalb nun Bankkrediten eine besondere Bedeutung zukommt, auch für grössere Unternehmen."
Schaden für die Bonität
Gefordert sind besonders die wichtigsten Schweizer Konsortialbanken UBS, Credit Suisse und ZKB. Sie müssen mit den grossen Kreditnehmern – meist kotierte Konzerne und grosse Familienfirmen – nun über die Kreditkonditionen verhandeln. Denn das Corona-Virus setzt der Bonität der Unternehmen arg zu. Praktisch über Nacht fallen die Erträge komplett weg.
Koordination ist das Gebot der Stunde. Auch für Martin Scholl: "Wir stehen mit anderen grossen Geschäftsbanken in Kontakt." Es sei klar, dass alle ihren Beitrag leisten müssen: Bund, Kantone, Geschäftsbanken, Vermieter und auch die Unternehmer, so der ZKB-Chef.
Frage: Wie sehr kann sich ein Unternehmen noch verschulden?
Wenn quasi über Nacht mehrere Monatsumsätze wegbrechen, könne dies nicht einfach nur durch zusätzliche – rückzahlbare – Kredite finanziert werden. Das Verschuldungspotenzial der Unternehmen sei nicht derart hoch.
"So unschön es ist, es sind auch staatliche Beiträge gefordert", mahnt der wirtschaftsliberale Bankchef deshalb: "Diese zeitlich befristete Nothilfe muss schnell gesprochen werden, da es sich simultan um einen Angebots- und Nachfrageschock handelt. Andernfalls könnten unverschuldete Masseninsolvenzen die Erholung der Wirtschaft nach der akuten Pandemiephase nachhaltig gefährden."
Gatekeeper Banken
Für den ZKB-Chef ist klar, welche Rolle den hiesigen Finanzinstituten in der Corona-Krise zukommen muss: jene des verlässlichen Mittelmanns. "Die Geschäftsbanken können – neben der eigenen Vergabe von zusätzlichen Krediten – helfen, die Staatshilfen unbürokratisch und bedürfnisgerecht an die Unternehmen weiterzuleiten. Beispielsweise indem die Banken ihre 'Gatekeeper-Rolle' wahrnehmen."
Das bedeute im Fall der ZKB: "Wir kennen unsere Kreditnehmer bestens und können mit Solvenz-Checks plausibilisieren, ob die angemeldeten Corona-Hilfen gegenüber den Behörden auch gerechtfertigt sind."
Chance für die Banken
Gleichzeitig sieht Scholl in der grassierenden Corona-Krise auch eine Chance für die Finanzinsitute, ihre Rolle für die Realwirtschaft herauszustreichen – "indem wir unseren Kunden zeigen, dass wir in jeder Lage verlässliche Partner sind. Wir Banken sind die Lebensadern der Realwirtschaft und haben grosses Interesse daran, dass der Geldkreislauf funktioniert."
Sagts und eilt mitsamt Desinfektionsmittel zum nächsten Meeting.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf HZ.ch unter dem Titel: «'Der Kapitalmarkt ist praktisch eingefroren'».