Wegen angeblicher Falschaussage in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist der 34-Jährige ins Visier der Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geraten. "Das ist eindeutig die grösste Krise seiner bisherigen Amtszeit", sagte Politikberater Thomas Hofer der Nachrichtenagentur Reuters. "Manche haben ihm ja fast eine Wundertätigkeit unterstellt, dieser Nimbus hat schweren Schaden genommen". Das Image des erfolgsverwöhnten Kurz, dem Ambitionen für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten nachgesagt werden, habe auch international immens gelitten.

Die WKStA geht dem Verdacht nach, dass Kurz im Ibiza-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt hat. In mehreren Anzeigen wurde dem ÖVP-Politiker vorgeworfen, auf Fragen zu seinem Einfluss bei der Bestellung eines Vertrauten als Chef der Staatsholding ÖBAG nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Die ÖBAG verwaltet die Staatsbeteiligungen an Unternehmen wie dem Ölkonzern OMV, der Telekom Austria oder dem Stromkonzern Verbund mit einem Gesamtwert von knapp 27 Milliarden Euro.

Kurz rechnet selbst mit einer Anklage, jedoch nicht mit einer Verurteilung. Einen Rücktritt hat er ausgeschlossen. Er sei überzeugt, nichts Unrechtes getan zu haben. "Was ich definitiv weiss, ist, dass ich mit dem Vorsatz in den U-Ausschuss gegangen bin, die Fragen wahrheitsgemäss zu beantworten", sagte Kurz.

Die rechtspopulistische FPÖ hat bereits den sofortigen Rücktritt gefordert. Die anderen Oppositionsparteien sehen bei einer Anklage den Zeitpunkt dafür gekommen. "Ein amtierender Bundeskanzler, der angeklagt ist und vor Gericht steht, kann sein Amt nicht mehr ausüben und muss die Konsequenzen ziehen," sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Für sie gibt es nur zwei Optionen: Rücktritt oder Amtsenthebung. Und auch die Mehrheit der Österreicher spricht sich in diesem Falle für einen Abgang des Kanzlers aus. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup von Mitte Mai unter 1000 Befragten fordern 58 Prozent, dass Kurz im Falle einer Anklage sein Amt niederlegt. Sollte es zu einer Verurteilung kommen steigt dieser Wert auf 81 Prozent.

Schon wieder Neuwahlen?

Letztendlich wird jedoch viel von den Grünen abhängen, die zusammen mit der ÖVP von Kurz die Regierungskoalition bilden. "Das Verhalten der Grünen wird spannend, sollte es zu einer Anklage kommen", sagte der Politologe Peter Filzmaier. Bisher hat Vizekanzler Werner Kogler offen gelassen, wie seine Partei dann reagieren würde. Beobachter schauen daher mit Spannung auf den Bundeskongress der Grünen Mitte Juni.

Für die Grünen ist das politische Kalkül nicht einfach. Die Mehrheit ihrer Anhänger spricht sich zwar in Umfragen für einen Rücktritt von Kanzler Kurz im Falle einer Anklage aus. Doch bei Neuwahlen drohen die Grünen ihren Platz auf der Regierungsbank zu verlieren. Hingegen dürfte sich die ÖVP aller Skandale zum Trotz als stärkste Kraft behaupten. Die ÖVP liegt in Umfragen mit 33 bis 35 Prozent etwa zehn Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten (SPÖ). Die Grünen kommen auf zehn bis 13 Prozent. Experten halten sofortige Neuwahlen daher für unwahrscheinlich.

Bei Falschaussage drohen bis zu drei Jahre Haft

"Die Grünen können nicht in Neuwahlen gehen, weil sie nichts vorzuweisen haben", sagte Hofer. Die Partei presche daher mit Klima- und Energiethemen voran, wie etwa der Ökosteuer, und könne der ÖVP bei einem Festhalten an der Koalition möglicherweise politische Zugeständnisse abringen. "Werner Kogler geht es zu allererst darum, dass diese Koalition noch eine Zeit lang bestehen bleibt", so Hofer. "Dass die Regierung die volle Legislaturperiode bis 2024 hält, wage ich aber auch zu bezweifeln."

Auch Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik geht nicht davon aus, dass die Grünen sofort auf Neuwahlen drängen. "Aus Sicht der Grünen spricht momentan nicht sehr viel dafür", sagte er. Diese Regierung habe keine Mehrheit mehr bei einer Wahl. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Grünen nach der nächsten Wahl wieder regieren ist nicht sehr hoch". Sollten die Österreicher vorzeitig zur Wahlurne schreiten, wäre es die dritte Regierung, die unter Kurz zerbrochen ist, der erstmals 2017 Bundeskanzler wurde.

Der Streit um die Aussagen des Kanzlers könnte die Justiz noch lange beschäftigen. Im Falle einer Anklage und sollte es zu einer Verurteilung kommen, könnten Jahre vergehen bis zu einem letzininstanzlichen Urteil. Die Höchststrafe für "Falsche Beweisaussage" liegt bei bis zu drei Jahren Haft. Bei einer Strafe von sechs Monaten unbedingter oder zwölf Monaten bedingter Freiheitsstrafe verliert ein Politiker per Gesetz sein Amt.

(Reuters)