Die Kolumne "Gopfried Stutz" erschien zuerst im |
Wenn wir im eng geknüpften sozialen Netz ein allfälliges Loch orten möchten, finden wir es am ehesten bei der Taggeldversicherung. Die meisten Firmen schliessen für ihre Angestellten eine kollektive Taggeldversicherung ab. Das funktioniert mehr oder weniger. Problematisch ist es bei den Selbständigen.
Junge und Gesunde können bei einem Krankenversicherer problemlos eine zahlbare Taggeldversicherung laut Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abschliessen. Wer aber nicht mehr so jung oder so gesund ist, steht unter Umständen ohne Versicherungsschutz da. Taggeldversicherer können Gesuche laut VVG ohne Grund ablehnen. Wir kennen das von Spital- und anderen Krankenzusatzversicherungen. Sie basieren auch auf dem VVG. Auch hier ist es einem Versicherer überlassen, wie weit er Personen mit erhöhtem Gesundheitsrisiko versichern will.
Nun will die St. Galler Nationalrätin Barbara Gysi Taggeldversicherungen für obligatorisch erklären. Im Juni reichte sie eine Motion ein. Der Bundesrat will davon nichts wissen.
Interessant, nur wenig bekannt ist Folgendes: Es gibt auch Taggeldversicherungen, die auf dem Krankenversicherungsgesetz (KVG) basieren. Zwischen KVG und VVG gibt es einen erheblichen Unterschied: Die Kassen unterliegen bei KVG-Versicherungen einem Aufnahmezwang. Sie müssen also auch Personen versichern, die ein chronisches Leiden haben und damit ein erhöhtes Risiko darstellen.
Für die Kassen ist das natürlich nicht interessant. Sie wenden dazu einen üblen Trick an: Da sie gemäss KVG Aufnahmegesuche nicht grundlos ablehnen dürfen, werden sie einer selbständigen Person ein Angebot für eine Taggeldversicherung laut KVG anbieten, sollte der Mann oder die Frau darauf beharren. Doch die Kasse beschränkt das maximal versicherte Taggeld auf ein paar wenige Franken. Bei Helsana, Concordia, Visana oder der KPT beträgt das maximale Taggeld 30 Franken; bei Swica 40, bei Sanitas bloss zehn und bei der CSS lediglich sechs Franken.
Wer schliesst schon eine Versicherung ab, um bei Unfall oder Krankheit läppische sechs Franken pro Tag zu erhalten? Die Taggeldversicherung laut KVG verkommt damit zur Farce.
Was Barbara Gysi nun mit einer Motion versucht, wollten Gewerkschaften schon 1997 mit einer Volksinitiative bewerkstelligen, brachten aber die Unterschriften nicht zusammen. Es folgten weitere Vorstösse, immer mit dem gleichen Ziel: das Problem der Taggeldversicherungen zu lösen. Dabei waren es nicht immer nur SP-Mitglieder, die hier Handlungsbedarf orteten.
2014 verlangte Mitte-Politikerin Ruth Humbel nicht mehr als das: «Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine Gesetzesrevision vorzulegen, welche allen Erwerbstätigen einen wirksamen Versicherungsschutz bei Erwerbsausfall durch Krankheit garantiert.» Der Nationalrat lehnte das Ansinnen ab – freilich nur mit 105 zu 88 Stimmen. Ob die Zeit nun reif ist?