Über 50-Jährige fürchten sich zum Teil stark vor einem Stellenverlust. Denn für viele ist es schwierig, wieder einen Job zu kriegen. Laufbahn- und Karriereberaterin Regula Hunziker Benoist von Perspectiv-Beratung in Uster ZH berät über 50-Jährige bei der Stellensuche. Sie fordert einerseits einen sachlichen Umgang mit dem Thema, andererseits auch eine konsequente Fokussierung auf die Kompetenzen von Bewerbern.
Betroffenen will sie zu Mut und Zuversicht bewegen: Im Interview nennt sie nicht umsonst Situationen, wo Neuanfänge gelingen und wo Chancen genutzt werden können. Genauso brauche es aber einen ehrlichen Blick auf sich und die eigenen Fähigkeiten.
cash: Welches war ihr letztes positives Erlebnis beim Betreuen von Leuten, die eine Stelle suchen oder sich neu orientieren wollen?
Regula Hunziker Benoist: Gerade kürzlich hatte ich einen Kunden, der entlassen wurde, weil seine Firma in Richtung High-Tech-Produkte eine ganz neue Richtung einschlug. Er konnte da nicht mehr mithalten. Er hatte aber ein anderes Unternehmen im Auge, wohin er eine Initiativ-Bewerbung schickte. Dies klappte, und er bekam eine neue Stelle.
Wie ging dieser Bewerber vor?
Er besuchte Präsentationen bei der Firma, die er im Auge hatte. Er setzte sich mit diesem Unternehmen intensiv auseinander, machte sich dort bekannt und leistete damit schon viel Vorarbeit. Ich besprach mit ihm dann das genaue Vorgehen und wir überlegten, an wen er sich im Unternehmen wenden soll. Wir bereiteten seine Bewerbungsunterlagen zeitgemäss auf. Unglücklich verfasste Bewerbungen oder ein falscher Adressat können darüber entscheiden, ob jemand eine Stelle bekommt oder nicht. Wer sich lange nicht mehr beworben hat, ist in formellen Fragen der Bewerbung oft sehr unsicher.
Haben Sie eine Erfolgsquote? Wie viele Ihrer Kunden bringen sie zurück ins Arbeitsleben?
Im Bereich Outplacement, also wenn ich entlassene Bewerber im Auftrag ihrer alten Firma betreue, kann ich 90 Prozent der Betroffenen zu einer neuen Stelle begleiten.
Die Job-Chancen dürften aber nach Branchen sortiert unterschiedlich aussehen?
Die Branche entscheidet stark über die Chancen von Bewerbern – mehr als etwa das Geschlecht oder die Frage nach akademischer oder nicht-akademischer Ausbildung. Bei guten Handwerkern, auf dem Bau oder Gesundheits- und Pflegewesen bestehen oft keine grösseren Probleme bei der Stellensuche. Schwierig ist es bei einfacheren kaufmännischen Tätigkeiten, wo keine spezifischen Kenntnisse vorweisbar sind. Auch der Detailhandel ist nicht einfach, genauso wenig wie Marketing- oder Kommunikationsberufe. In der Informatik wiederum gibt es viele Untersegmente, so dass das Bild nicht einheitlich ist.
Bleiben Betroffene eher in derselben Branche oder wechseln sie in andere?
Über 50-Jährige haben es einfacher, wenn sie in der gleichen Branche bleiben. Aber natürlich geht dies nicht immer, vor allem nicht in schrumpfenden Wirtschaftszweigen. Was die Qualifikation betrifft: Heute geht der Trend dazu, dass viel an Weiterbildung dokumentiert werden muss. Aber diese Weiterbildungen müssen Sinn ergeben. Wer mit 50 in internationalen Firmen kein Englisch kann, hat ein Problem. Andere Fähigkeiten lassen sich aber auch noch erlernen.
Trotz Ihrer Erfolgsbeispiele wird Arbeitslosigkeit über 50 als bedeutendes gesellschaftliches Thema diskutiert. Wie schätzen sie die Belastung ein für Leute, die in diesem Alter eine neue Stelle suchen müssen?
Die Belastung ist gross und der Schock nach einer Entlassung sitzt bei den meisten tief. Betroffene müssen akzeptieren, dass die Stellensuche Zeit braucht.
Wie lange dauert solch eine Stellensuche in der Regel?
Wir sprechen von neun bis zwölf Monaten. Das heisst natürlich auch: Einige haben nach einem Monat eine neue Stelle, andere sind noch nach 18 Monaten auf der Suche. Ich sage den Leuten auch immer, dass die Stellensuche bis auf weiteres ihre eigentliche Aufgabe sei. Es ist ein regelrechter Job. Man muss Energie haben, sich Zeit nehmen und auch schauen, dass man nach diesem Schock der Entlassung Tritt fasst und es einem wieder einigermassen gut geht.
Machen Stellensuchende typische Fehler?
Gut ist, wenn man den Blick nach vorne richten kann. Wut, Enttäuschung oder Bitterkeit nach der Entlassung dürfen die Leute nicht beherrschen. Der Gedanke: 'Dies ist ungerecht, warum passiert dies mir?' sollte keinen zu grossen Raum erhalten. Man muss dies überwinden, sonst wird es schwierig.
Wie fördern Sie diesen Prozess?
In diesem Punkt sage ich den Betroffenen beispielsweise, wie ihr Verhalten bei mir ankommt. Ich bin dann wie ein Spiegel. Der Prozess ist vergleichbar mit der Trauer: Nach einem Verlust, und beim Beruf betrifft dies Sicherheit, ein soziales Netz, eine Identifikation mit der Tätigkeit, muss man einen neuen Bezug zur Zukunft gewinnen. Ich zeige den Leuten auf, wie sie Stufe um Stufe weiterkommen.
Wie lange dauert so ein Prozess?
Das ist sehr unterschiedlich. Er sollte aber nicht zu lange gehen.
Wie können sich Betroffene selbst helfen?
Man soll sich fragen, wo man steht, was man bieten kann. Es bringt nichts, sich selber etwas vorzumachen. Es bringt auch nichts, wenn ich den Leuten Fähigkeiten attestiere, die sie nicht wirklich haben. Viele müssen sich zudem mit dem Arbeitsmarkt überhaupt wieder vertraut machen.
Kann es sein, dass sehr gehemmte Menschen – oder dann, solche mit einer Querulanten-Natur – es besonders schwer haben?
Stellensuchende müssen lernen, sich und ihre Kompetenzen attraktiv zu 'vermarkten'. Das fällt nicht allen leicht. Man sollte das nicht zu forsch, aber auch nicht zu bescheiden anpacken. Das übe ich oft mit meinen Kunden.
Teil der Diskussion ist auch: Man wirft Unternehmen vor, sie liessen über 50-Jährige bei Stellenbesetzungen de facto ausser Acht. Gibt es da eine zu rigorose Haltung?
Ja, es gibt eine Form von Diskriminierung. Aber unternehmerisches oder gesellschaftliches Umdenken zu fordern halte ich für sinnlos. Ich habe noch nie erlebt, dass so etwas funktioniert. Wichtiger ist, dass das 'Kompetenzangebot' älterer Bewerber auf dem Arbeitsmarkt besser und konsequenter in die Waagschale geworfen wird. Das Lebensalter sollte weniger im Zentrum stehen.
Arbeitslosigkeit wird oft auch als finanzielle Gefahr empfunden. Sind Lohneinbussen bei einer Neuorientierung unvermeidlich?
Bei über 50-jährigen ist Lohn ein ganz grosses Thema. Und da hilft nichts: Man muss bei vielen den Markt sozusagen neu abgleichen. Es wird am Markt nicht das Lebensalter entlöhnt, sondern die Kompetenzen. Wer lange in einer Firma war, verdient unter Umständen viel. Bei einer Neuorientierung stellen dann einige fest, dass sie salärtechnisch hoch eingestuft waren.
Wird ein Lohnrückgang auch als Demütigung empfunden?
Es gibt solche, denen klar ist, dass sie zurückstecken müssen. Andere kämpfen innerlich dagegen an, vor allem diejenigen, welche die Höhe des Lohns stark mit dem Selbstwertgefühl verbinden.
Wie gehen Betroffene damit um, dass sie als Arbeitslose weniger Geld bekommen?
Die Arbeitslosenversicherung bezahlt 70 bis 80 Prozent des vorhergehenden Lohns. Damit kann man vorübergehend klarkommen. Aber es tun sich bei vielen schon existentielle Ängste auf. Ein grosses Thema ist neben den verfügbaren Mitteln im Alltag die Pensionskasse. Wer nicht angestellt ist, fällt in eine Freizügigkeitspolice. Die Angst macht sich dann breit, dass nicht mehr genug angespart werden kann.
Was wiegt schwerer: Jugendarbeitslosigkeit oder Arbeitslosigkeit über 50?
Im Unterschied zu jungen Arbeitnehmern ist bei Menschen über 50 die Arbeit oft stark identitätsstiftend. Dazu kommt, dass eine gewisse Sorglosigkeit jungen Leuten natürlich viel leichter fällt als den älteren Arbeitskräften. Man muss aber auch immer sehen: Die meisten über 50-Jährigen arbeiten zufrieden und gut in ihren Berufen. Wir müssen darauf achten, den Arbeitsmarkt über 50 in der Wahrnehmung auch nicht übermässig negativ oder problembehaftet zu sehen.