Es sind die grössten und mächtigsten Unternehmen und Institutionen des Landes, bei denen Bruno Gehrig seine Karriere durchlief: So war er unter anderem Verwaltungsratspräsident der Swiss Life, Verwaltungsratspräsident der Swiss, Direktoriumsmitglied und später Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, Vizepräsident von Roche und Verwaltungsrat bei der UBS und Mitglied der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK).
Das sind Stationen der Vergangenheit, und lange war es ruhig um Gehrig. Doch nun wird er bei Raiffeisen die interne Untersuchung im Fall des gestrauchtelten Ex-CEO Pierin Vincenz leiten. Die Beteiligungen, welche die Regionalbankengruppe in den vergangenen 13 Jahren zukaufte, werden von Gehrig und der Wirtschaftskanzlei Homburger analysiert. Ex-Raiffeisenchef Vincenz wird beschuldigt, sich bei solchen Zukäufen bereichert zu haben. Vincenz, der in Zürich nach wie vor in Untersuchungshaft sitzt, bestreitet die Vorwürfe.
Von Haus aus ist Raiffeisen-Chefermittler Gehrig Ökonom und ehemaliger Professor am Swiss Institute for Banking & Finance der Universität St. Gallen. Ausserdem ist er Mitglied der Christlichdemokratischen Partei der Schweiz, die er in Wirtschaftsfragen beriet. Doch in der Zeit, wo er stark in Verwaltungsratstätigkeiten engagiert war, erlitt Gehrig Ende 2005 einen Hirnschlag, der das Sprachzentrum beeinträchtige. Gehrig erholte sich aber davon und führte seine damaligen Ämter weiter. Er sagte später einmal, er habe grosses Glück gehabt.
«Filz ist das nicht»
In den vergangenen Jahren ist der heute 71-jährige gebürtige St. Galler kürzer getreten und hat die meisten seiner Mandate beendet. Das Präsidium der Swiss hat er 2016 abgegeben. Heute widmet sich Gehrig unter anderem im Vorstand des Musikkollegiums Winterthur und als Stiftungsrat der Karthause Ittingen im Thurgau gesellschaftlichen Engagements. Der Fall Vincenz bringt ihn aber zurück ins Zentrum des Interesses. Raiffeisen beauftragt einen Ex-Manager mit langer Erfahrung und genauer Kenntnis der Finanzbranche mit der Aufklärung der Affäre Vincenz und will damit Vertrauen in die Marke zurückgewinnen.
Mit seiner Ämter-Kumulation steht der stets bescheiden auftretende Gehrig allerdings nicht unbedingt im Ruf einer grossen Distanz zum Geschehen. Seine Verflechtungen zu Grosskonzernen, der Finanzwelt und der Politik waren eng. Die Themen, mit denen seine Mandate in Verbindung standen, sind die grossen Themen der Schweizer Wirtschaft in den vergangenen Jahren: Sie reichen von der Finanzkrise und das Bankgeheiminis und die Geldpolitik über die Altersvorsorge bis zum Fluglärm-Regime am Zürcher Flughafen.
Gehrig selbst bestritt, dass in den Spitzen des Wirtschaftssystems ein Filz herrsche. Er sagte 2012 in einem Zeitungsinterview zur Tatsache, dass bei der UBS, Roche und der Swiss zum Teil die gleichen Leute in den Aufsichtsgremien sassen: "Filz ist das nicht. […] Das ist Zufall." Typisch für diese Zeit ist aber, dass Gehrig mit in der Bankenkommission sass, einer Vorläuferin der Finma, und so sowohl für die Aufsicht als auch für die beaufsichtigten Finanzunternehmen tätig war.
Rentenklau, AWD und UBS-Staatsrettung
Bei einer so umfangreichen Karriere konnte sich Gehrig Kritik nicht entziehen. Die Kürzungen von Altersrenten durch die Swiss Life trug dem Konzern des Vorwurf des "Rentenklaus" ein - der Begriff wurde daraufhin zum Schlagwort. Dass Gehrig 2008 dem teuren Kauf des deutschen Finanzprodukteverkäufers AWD zustimmte, war eine Fehleinschätzung, der die Swiss Life vier Jahre später einen Abschreiber über eine halbe Milliarde Franken einbrockte.
Ebenfalls 2008 war Gehrig Mitglied des UBS-Verwaltungsrates, als die vom Kollaps bedrohte Grossbank den Staat in einer kontroversen Entscheidung um Rettung ersuchen musste.
In einen veritablen Skandal verwickelt war Gehrig indessen nie. Das Verwaltungsratspräsidium der Swiss Life hatte er 2003 bis 2009 in jener Phase inne, als der Lebensversicherer nach Managementfehlern, einer übersteigerten Expansionsstrategie und Fehlspekulationen 2002 schwer in Schieflage geraten war. Auch musste Gehrig in dieser Zeit nach einem Bereicherungsskandal um Swiss-Life-Topmanager im Konzern aufräumen. Es sind wohl solche Erfahrungen und die damit verbundene Vertrauensbilanz, weshalb Raiffeisen Gehrig engagierte.